Südkorea war teuer, Japan ist noch teurer. Damit mein Reisebudget nicht überstrapaziert wird, habe ich in den vergangenen Wochen oft im Zelt übernachtet. Das Wichtigste beim Wildcampen: ein Fluss oder ein See in der Nähe. Ein stinkender Tramper ist mässig populär besonders bei den sehr auf Hygiene bedachten Japanern.
In einem Aussenquartier der Millionenstadt Hiroshima finde ich ein geeignetes Schlafplätzchen. Es liegt nicht nur an einem kleinen Fluss, sondern ist durch eine grosse Brücke auch noch vor schlechter Witterung geschützt. Das ist jetzt, während der japanischen Regenzeit, Gold wert.
Am Morgen wache ich jedoch bereits um 6.15 Uhr auf, da über meinem Kopf der Verkehr auf der Autobahn immer lauter wird. Ich will aber sowieso früh raus, um bei der nahegelegenen Autobahneinfahrt mein Autostopp-Glück zu versuchen.
Als ich das Zelt abbaue, finde ich plötzlich meinen bereits zusammengepackten Schlafsack nicht mehr. Ich durchwühle mehrere Male mein Gepäck, suche mit meinen Augen irritiert die Umgebung ab, doch er ist nirgends zu sehen. Da ausser mir weit und breit niemand hier ist, steht schnell fest: Der Schlafsack muss irgendwie den betonierten, rund drei Meter hohen Abhang heruntergerollt sein – in den Fluss.
Ich lasse deshalb alles liegen und folge dem Flussverlauf. Vielleicht habe ich ja Glück und er bleibt irgendwo hängen. Tatsächlich: Rund zweihundert Meter weiter unten, nach einem kleinen Tunnel, entdecke ich ihn. Hier wächst dichtes Gras im Wasser, welches das kleine, schwarze Knäuel aufhält. Ich klettere den ebenfalls asphaltierten Abhang herunter und fische es heraus.
Da der Kanal nur wenige Meter breit ist und mir das Wasser gerade einmal bis zu den Knien reicht, gelingt das problemlos. Weil der Abhang aber so steil ist, komme ich nicht mehr hinauf. Um besser klettern zu können, werfe ich deshalb sowohl den Schlafsack als auch meine Flipflops auf den schmalen Pfad. Doch auch ohne diesen Ballast schaffe ich es nicht. Der Beton ist nass und glitschig, ich finde nirgends Halt. Erst einige Meter weiter flussabwärts, wo durch ein grosses Rohr zusätzliches Wasser in den Fluss strömt, kann ich mich schliesslich mühevoll heraufziehen – geschafft!
Überglücklich will ich den geretteten Schlafsack sowie die Flipflops aufsammeln – doch sie sind nirgends zu finden! Ich drehe mich verwirrt im Kreis. Habe ich jetzt meinen Verstand verloren? Werde ich Opfer einer versteckten Kamera? Ich habe die beiden Dinge doch gerade eben hier hinaufgeworfen. Es kann kaum fünf Minuten her sein. Und in der Zwischenzeit ist niemand vorbeigelaufen.
Schliesslich finde ich aber eine rationale Erklärung für den erneuten Verlust: Der schmale Pfad wird von einer kleinen, rund dreissig Zentimeter breiten Vertiefung durchtrennt, durch die ebenfalls etwas Wasser fliesst. Als ich in den Kanal heruntergestiegen bin, ist mir das gar nicht aufgefallen. Ich hatte nur den Schlafsack im Kopf – und jetzt muss ich diesen sowie die Flipflops direkt da reingeworfen haben.
Also folge ich erneut dem Wasser. Dieses Mal dem kleinen Kanal, barfuss – und erfolglos. Nach einigen hundert Metern läuft der kleine in den grossen Kanal, der Fluss wird grösser und grösser, vom Schlafsack und den Flipflops keine Spur. Ich gebe auf und trotte der Hauptstrasse entlang zu meinem Gepäck zurück.
Als ich beim Fussgängerstreifen auf grün warte, kommt ein älterer Herr mit grüner Leuchtweste auf mich zu. Der Rentner sorgt dafür, dass die Schulkinder sicher über die Strasse gelangen. Er deutet auf meine nackten Füsse und sagt irgendetwas auf Japanisch. Gestenreich versuche ich ihm zu erklären, dass ich meine Flipflops an den Bach verloren habe. Dann gehe ich weiter zu meinem Platz.
Dort angekommen, muss ich mich erst einmal setzen. Ich bin stocksauer auf mich: Da schlafe ich irgendwo unter einer ungemütlichen Brücke, um Geld zu sparen. Und dann schmeisse ich meinen teuren Schlafsack in den Fluss – und die Flipflops gleich hinterher. Wie kann man nur so dumm sein, denke ich mir. Ich könnte mich ohrfeigen!
Während ich so vor mich hinfluche, kommt auf einmal der nette ältere Herr zu mir. In der Hand hält er ein Paar knallgelbe Kunststoffsandalen im Crocs-Style. Er drückt sie mir in die Hand, lächelt mich aufmunternd an und winkt meine tausend «arigato», Japanisch für «danke», schüchtern zur Seite. Dann geht er wieder – und mit ihm mein Ärger über den Verlust von Schlafsack und Flipflops.