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Sie möchten gern ewig leben? Diese Leute arbeiten daran, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen

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Ewig jung

Sie möchten gern ewig leben? Diese Leute arbeiten daran, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen

Ob Eintagsfliege oder Grönlandwal, jedes Lebewesen hat seine Lebensspanne. Auch der Mensch: Spätestens bei rund 120 Jahren ist Schluss. Das könnte sich ändern. 
06.03.2014, 07:0925.06.2014, 15:18
Daniel Huber
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Der zurzeit älteste Mensch ist eine Frau aus Japan. Misao Okawa feierte am Mittwoch ihren 116. Geburtstag. Nur noch sechs Jahre, und Okawa könnte mit dem vermutlich ältesten Menschen aller Zeiten gleichziehen: Die Französin Jeanne Louise Calment starb 1997 mit 122 Jahren. 

«Ich möchte nicht durch meine Arbeit unsterblich werden, sondern dadurch, dass ich am Leben bleibe.» 
Woody Allen

Bei rund 120 Jahren liegt offenbar die «Schallmauer» der maximalen menschlichen Lebensspanne. Der Homo sapiens ist damit relativ langlebig; von den höher entwickelten Organismen leben nur einige Walarten (der Grönlandwal bringt es auf über 200 Jahre), Riesenschildkröten und Störe länger.  

Kurzlebig: Eintagsfliege
Kurzlebig: EintagsfliegeBild: Wikipedia/Richard Bartz

Dennoch wäre der Mensch nicht Mensch, würde er sich mit dieser Beschränkung zufriedengeben. Mangels wirksamer Mittel trat die Menschheit der Zumutung des Alterns allerdings lange Zeit einzig mit den Waffen der Fantasie entgegen (siehe Infoboxen).  

Gilgameschs Verjüngungspflanze
Schon im uralten Epos des Königs Gilgamesch wird die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit zum Thema. Der mythologische König von Uruk sucht nach einer Verjüngungspflanze, die er auf dem Grund des Meeres auch findet. Doch sie wird ihm von einer Schlange gestohlen. Gilgamesch, obwohl zu zwei Dritteln Gott, muss sterben – das eine Drittel Mensch macht ihn sterblich. 

Craig Venter sieht das Heil in der Datenflut

Die moderne Medizin hat da handfestere Resultate geliefert: Die Lebenserwartung ist seit der Industrialisierung stetig gestiegen. Das alles ist aber noch nichts, wenn man einigen zukunftsfrohen Visionären glauben mag. So hat der Biochemiker Craig Venter gerade erst am vergangenen Dienstag die Gründung seiner Firma Human Longevity Inc. (HLI) verkündet. Der Name ist Programm: Das Unternehmen will Altersleiden wie Krebs, Herzkrankheiten und Demenz den Garaus machen und so, wie die «Zeit» schreibt, den Tod austricksen.

Craig Venter
Craig VenterBild: AP

Der 67-jährige Venter, berühmt-berüchtigt geworden durch die rücksichtslos vorangetriebene Entschlüsselung des menschlichen Genoms, setzt dabei auf die Sequenzierung des menschlichen Erbguts. Mit der Zeit sollen pro Jahr 100'000 Genome untersucht und gespeichert werden. Das komplette menschliche Erbgut besteht aus etwa drei Milliarden Bausteinen. Davon sind knapp 1,5 Prozent Gene. 

Diese gigantischen Datenmengen will Venter mit weiteren Daten, etwa zu Proteinen und Stoffwechsel, in Beziehung setzen. Daraus sollen neue Erkenntnisse fliessen, die sich in neuen Diagnoseverfahren und Therapien niederschlagen. 

Wenn auch berechtigte Zweifel bestehen, ob diese gewaltige Anhäufung von Genomdaten wirklich substantielle Resultate liefern kann, so dürfte sie zumindest kommerziell interessant sein. Pharmafirmen werden sicherlich Interesse an den Daten zeigen. 

Craig Venter 2011 über die Biologie der Zukunft (engl.) Video: Youtube/TEDx Talks
Lucas Cranach d. Ä.: Der Jungbrunnen
Lucas Cranach d. Ä.: Der JungbrunnenBild: PD
Der Jungbrunnen
Gewässer, die demjenigen, der daraus trinkt oder darin badet, ewige Jugend oder ewiges Leben schenken, sind aus verschiedenen Zeiten und Kulturen bekannt. Der «Jungbrunnen» – berühmt ist das Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren – ist sogar sprichwörtlich geworden. Die spanischen Konquistadoren in Amerika suchten nicht nur nach dem sagenhaften Goldland El Dorado, sondern auch nach dem Jungbrunnen. 

Google sucht nach «dem Algorithmus der Unsterblichkeit»

Nicht zuletzt aus diesem Grund hat wohl auch der Internetriese Google die Firma Calico gegründet. Der Suchmaschinenkonzern steckt Geld in Projekte, die sich nicht unbedingt kurzfristig rechnen müssen, sogenannte «Moon Shots». Dazu zählen selbstfahrende Google-Autos oder das Projekt Loon, das abgelegene Gebiete via Ballon mit einem Internetzugang versorgen will. 

Calico soll für Google nach «dem Algorithmus der Unsterblichkeit» suchen, wie «Spiegel Online» schreibt. Auch hier soll, wie bei Venters HLI, die systematische Auswertung riesiger unstrukturierter Datenmengen neue Erkenntnisse liefern. Calico wird gemäss Google-Chef Larry Page die menschliche Lebenserwartung um mehrere Jahrzehnte erhöhen. 

Wie ambitioniert dieses Ziel ist, lässt sich daran ermessen, dass die Heilung von Krebs – wie Page in einem Interview mit dem US-Magazin «Time» vorgerechnet hat – die Lebenserwartung nur gerade um drei Jahre verlängern würde. 

Boss von Calico ist der Molekularbiologe Arthur Levinson, der bis 2009 den Biotechnologiekonzern Genentech führte. Dort und bei Apple ist Levinson zudem Vorstandsvorsitzender; er sitzt auch bei Roche im Verwaltungsrat. 

Louis Jean François Lagrenée: Le lever de l'Aurore (Tithonos und Eos)
Louis Jean François Lagrenée: Le lever de l'Aurore (Tithonos und Eos)Bild: PD
Ewiges Leben – ohne ewige Jugend
Eos, die griechische Göttin der Morgenröte, verliebte sich unsterblich in einen Sterblichen: Tithonos, der Sohn des trojanischen Königs Laomedon. Sie erbat sich vom widerstrebenden Göttervater Zeus das ewige Leben für ihren Geliebten, vergass aber, zugleich um ewige Jugend zu bitten. So wurde Tithonos stets älter und unansehnlicher, ohne sterben zu können. Schliesslich schrumpfte er so sehr, dass nur noch seine keifende Stimme übrig blieb. Zeus verwandelte ihn dann in eine Zikade, die Eos stets begleitete. 

Ray Kurzweil will ab 2045 unsterblich sein

Einer der eifrigsten Propagandisten des ewigen Lebens steht ebenfalls auf der Google-Lohnliste: Ray Kurzweil. Der Futurist, seit Dezember 2012 «Director of Engineering» beim IT-Konzern, ist davon überzeugt, dass der Durchbruch zum ewigen Leben kurz bevorsteht. Etwa im Jahr 2024 soll die Biotechnologie menschliche Gene reparieren und optimieren können

Ray Kurzweil
Ray KurzweilBild: AP

Endgültig gestorben ist das Altern laut Kurzweil dann etwa im Jahr 2045. Dann werden Nanobots, winzige Roboter, alte oder defekte Zellen in unserem Körper austauschen und als Teil der Immunabwehr Krankheitserreger bekämpfen. Zu dieser Zeit werden wir auch unser Bewusstsein in der Cloud abspeichern können. Bis dann will der jetzt 66-jährige Kurzweil unbedingt durchhalten. Deshalb hält er sich an eine gesunde Diät, treibt Sport und schluckt massenhaft Vitaminpräparate. 

«Wenn Sie im Jahr 2035 mit einem Menschen sprechen, werden Sie mit jemandem sprechen, der eine Kombination von biologischer und nicht-biologischer Intelligenz ist.»
Ray Kurzweil

Grundlage für den Innovationsschub, der das alles ermöglichen soll, ist für Kurzweil die exponentielle Dynamik der Informationstechnologie, wie sie schon im Moore'schen Gesetz von der Verdoppelung der Leistung von Computerchips alle ein bis zwei Jahre beschrieben ist. 

Diese Dynamik wird, so Kurzweil, auch dazu führen, dass Maschinen intelligenter werden als Menschen. Diesen Moment der Verschmelzung bezeichnet Kurzweil, in Anlehnung an den Mathematiker John von Neumann, als «Singularität», einen allumfassenden technischen Wandel, einen strukturellen Bruch in der Geschichte der Menschheit. 

Ray Kurzweil lässt sich über Unsterblichkeit im Jahr 2045 aus (engl.)Video: Youtube/2045ru

Aubrey de Grey kämpft gegen die «seven deadly things»

«Altern ist auf jeden Fall ungesund.» 
Aubrey de Grey

Schon äusserlich entspricht der britische Wissenschaftler Aubrey de Grey dem Bild eines Visionärs: Der hagere Biogerontologe trägt einen langen Bart, der jedem Hippie Ehre machen würde. Für de Grey ist klar: «Altern ist auf jeden Fall ungesund.» 

Aubrey de Grey
Aubrey de GreyBild: EPA

Der Prozess des Alterns, so Aubrey, beginne noch vor unserer Geburt. Lange Zeit sei er aber harmlos; ein Vierzigjähriger sei noch fast so fit wie ein Zwanzigjähriger. Doch dann beschleunigt sich der Zerfall und nimmt Überhand. Das Altern, betont de Grey, sei mit Abstand die häufigste Todesursache.

Wenn es gelinge, diesen Alterungsprozess auszuschalten, würden die Menschen im Schnitt mindestens 1000 Jahre alt. Dass dies für manche abschreckend klingt, liegt für de Grey vor allem an der Vorstellung eines langen Siechtums, das heute oft mit einer langen Lebensdauer einhergeht. Doch der Biogerontologe meint 1000 Jahre in einem gesunden, jugendlichen Körper.

De Grey hat – in Anspielung auf die sieben Todsünden («seven deadly sins») – «seven deadly things» ausgemacht, die uns ins Grab zwingen: sieben Ursachen des Sterbens. Dazu zählen beispielsweise Mutationen im Zellkern und in den Mitochondrien, Zellverlust und -schwund sowie Ansammlung von Abfallstoffen in den Zellen. 

Für einige dieser «deadly things» werden bereits Therapien oder Reparaturmöglichkeiten erforscht. De Grey ist der Meinung, dass zu wenig Geld in die Erforschung der anderen Sterbeursachen fliesst. Da Fortschritte hier nur schon im Tierversuch noch zehn oder fünfzehn Jahre entfernt seien, investiere die an kurzfristigen Resultaten interessierte Pharmaindustrie nicht genug Geld. 

De Grey, der als Informatiker begann und als Quereinsteiger zur Biogerontologie kam, wird von der Fachwelt eher ignoriert. Für seine These spricht immerhin, dass nicht jeder Organismus dem Schicksal des Alterns unterworfen ist. So scheint es, dass einige Seegurkenarten oder Süsswasserpolypen – aber auch Pilze – potenziell unbegrenzt leben können. Das gilt auch für Bakterien, die sich unter idealen Bedingungen beliebig weiter teilen können. 

Aubrey de Grey spricht 2013 über den Kampf gegen das Altern (engl.)Video: Youtube/TEDx Talks

Bekannt ist auch, dass ein wichtiger biologischer Mechanismus, der unsere Lebenszeit begrenzt, ausgeschaltet werden kann. Dieser Mechanismus besteht in der Verkürzung der sogenannten Telomere (von gr. τέλος für Ende und μέρος für Teil), den Enden der 46 Chromosomen des Menschen, bei jeder Zellteilung. Erreichen sie eine bestimmte Minimallänge, kann sich die Zelle nicht mehr teilen und stirbt oder stellt das Wachstum ein. 

Ausgeschaltet werden kann diese biologische Stoppuhr mit einem Enzymkomplex, der Telomerase. Bei Spermien verlängert sie beispielsweise die Telomere ständig, indem sie neue Sequenzen am Ende der Chromosomen dazukopiert. Das Problem dabei: Auch Krebszellen besitzen diese Fähigkeit; sie sind deshalb unsterblich. Hält man also die biologische Stoppuhr an, erhöht man das Krebsrisiko massiv. 

Chromosom mit Telomeren. 
Chromosom mit Telomeren. Bild: PD

Sollte es tatsächlich gelingen, Alter und Tod zu besiegen, so müssten sich unsere Gesellschaft und unser Menschsein grundlegend verändern. Für de Grey ist beispielsweise völlig klar, dass dann nur noch wenige Kinder geboren werden dürften – der Ersatz für die wenigen unfallbedingten Verluste an Menschenleben. Die Bevölkerung unter solchen Umständen konstant zu halten wäre eine grosse Herausforderung. 

Die Modelle, die von einer Verschmelzung von Mensch und Maschine ausgehen oder das Bewusstsein auf einem digitalen Medium speichern und allenfalls in einer virtuellen Welt leben lassen wollen, implizieren einen noch weit radikaleren Wandel des Menschenbilds. Wir dürfen gespannt sein – falls wir dann noch leben. 

Bald eine obsolete Mahnung? Beinhaus in Naters mit der Inschrift: «Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr.»
Bald eine obsolete Mahnung? Beinhaus in Naters mit der Inschrift: «Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, das werdet ihr.»Bild: campontour.nl
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