Roger Federer ein Spielball der Strömung – das könnte zum Problem werden
Obschon ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand, wehrte sich Roger Federer vehement und demonstrativ gegen negative Gedanken, als er nach Erklärungen für das 6:3, 3:6, 5:7 gegen den Österreicher Dominic Thiem (ATP 4) suchte. Natürlich sei es traurig, natürlich sei er enttäuscht und natürlich sei es frustrierend.
Doch der 37-Jährige sagte eben auch, er fühle sich körperlich und mental frisch. «Das ist wie ein Sieg für mich. Das unterschätzen viele Leute. Denn ich spiele oft mit Problemen.» Dass der Körper im für Tennis-Profis methusalemischen Alter von bald 38 Jahren noch mitspielt, wertet er als Erfolg. Das Beispiel des um fünf Jahre jüngeren Rafael Nadal, der vor dem Halbfinal gegen den Schweizer das Handtuch werfen musste, zeigt dies am besten.
Die Gesundheit gibt Federer die Freiheit, sich mit seinem Spiel zu beschäftigen. Er sagt: «Ich spielte fantastisches Tennis und habe Klarheit im Kopf, wie ich die Ballwechsel gestalten will.» Dem verpassten Sieg wolle er nicht nachtrauern. «Ich habe keine grosse Lust auf negative Energie und ich will nicht in ein Loch fallen, das nicht nötig wäre.»
Stattdessen richtete er den Blick nach vorne. Nach Miami, wo er im Vorjahr im Startspiel gescheitert war und «ich viel besser spielen möchte. Dafür darf ich mich nicht zu sehr im Sand begraben.» Vielmehr schaue er auf einen geglückten Saisonstart zurück, der in Dubai im 100. Turniersieg kulminiert hatte.
Damit es in Florida zum 26. Duell der beiden früheren Davis-Cup-Kollegen kommt, müssen beide ihre Auftaktpartie gewinnen. Federer trifft in der 2. Runde entweder auf den Australier Matthew Ebden (ATP 50) oder einen Qualifikanten, Wawrinka bekommt es mit dem Franzosen Pierre-Hugues Herbert (ATP 49) oder dem Serben Filip Krajinovic (ATP 103) zu tun, gegen die er beide noch nie gespielt hat.
Federer vs. Wawrinka – die bisherigen Duelle
Der Trubel um die Marke übertüncht die Tatsache, dass Federer seit Monaten den Nachweis schuldig geblieben ist, bei den grössten Turnieren noch der Grösste zu sein. Nur zwei Mal spielte er im letzten Jahr gegen Dominator Novak Djokovic und verlor beide Male. Gar 17 Monate liegt das letzte Kräftemessen mit seinem ewigen Rivalen Rafael Nadal zurück. Auch darum trauerte er dem geplatzten Halbfinal nach. Allzu gerne hätte Roger Federer sich und der Welt bewiesen, dass es dem Zufall geschuldet ist, dass er derzeit bei keinem der wichtigen Turniere Titelhalter ist
Schon Ende 2018 war er zur Erkenntnis gelangt, dass er im falschen Fahrwasser unterwegs gewesen war. Dass er mehr Turniere bestreiten und sich mit den Besten messen muss, um sie auf jenen Bühnen zu besiegen, die ihm die Welt bedeuten. Allzu oft hatten ihm dort Referenzwerte und Selbstvertrauen gefehlt.
Auch darum beschloss er, im Frühling wieder auf Sand zu spielen. Doch nun sieht sich Federer Strömungen ausgesetzt, die er nicht beeinflussen kann, die ihm aber schaden: bis auf Stan Wawrinka waren die Hürden auf dem Weg in den Final mit Gojowczyk (ATP 85), dem bis dahin in diesem Jahr sieglosen Edmund (ATP 23) und Hurkacz (ATP 67) von überschaubarer Qualität. Thiem hatte bis Indian Wells in diesem Jahr in drei Monaten nur drei Siege feiern können.
No days off.@rogerfederer | @HardRockStadium #MiamiOpen pic.twitter.com/sY0L3YDzpa
— Miami Open (@MiamiOpen) 19. März 2019
Auch in Dubai war Federer auf keinen Spieler aus den Top 10 getroffen. Doch genau diese Duelle braucht er, um in Wimbledon um den Titel spielen zu können. Denn mit der Aussage, keine negativen Gedanken zulassen zu wollen, offenbarte Federer auch eine gewisse Ratlosigkeit. Er hatte genug und gut gespielt, doch für den Turniersieg reichte es nicht. Woran es lag? «Schwer zu sagen», sagte er und sprach von «Fragezeichen». Fragezeichen, die offenbar nur Spiele gegen Djokovic, Zverev oder Nadal zu beseitigen vermögen. Am besten schon in Miami. Wenn es die Strömung zulässt.