Uiguren, Hongkong, Handelskrieg und Big Brother. China hatte im Westen seit Jahrzehnten nicht mehr ein so schlechtes Image. Wie wird das in Singapur beurteilt?
In Asien vermeiden wir es grundsätzlich, uns in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen. Die Problematik mit den Uiguren betrachten wir daher als eine interne Sache der Chinesen.
Hier im Westen ziehen wir Vergleiche zu Konzentrationslagern. Ist das übertrieben?
Die Chinesen betrachten es vor allem als Angriff auf ihre Gemeinschaft.
Weshalb lassen sie den Uiguren nicht ihren Glauben und ihre Lebensweise? Sie stellen ja keine ernsthafte Gefahr dar.
Harmonie ist eines der zentralen Anliegen der chinesischen Kultur. Sie haben Angst, dass das Beispiel der Uiguren Schule machen und auf andere Minderheiten überspringen könnte. Das Ziel besteht darin, Uiguren in die Kultur der Han-Chinesen zu integrieren.
Was ist in Hongkong los?
Auch hier steht Peking offenbar vor einem unlösbaren Problem. Das Motto «ein Land, zwei Systeme» hat lange erstaunlich gut funktioniert. Hongkong hat für China als Finanz- und Handelsplatz lange wertvolle Dienste geleistet.
Was läuft jetzt schief?
In den letzten Jahren haben sich die Menschen in Hongkong immer härter für ihre eigenen Interessen eingesetzt und ihre Lebensweise verteidigt. Auch Peking hat auf stur geschaltet. Die Fronten haben sich auf beiden Seiten verhärtet; und die Tatsache, dass die Regierung von Hongkong inkompetent ist, hat die Situation auch nicht verbessert.
Ist es bloss die Jugend, die rebelliert?
Junge Menschen leiden unter den hohen Lebenskosten in Hongkong, vor allem den hohen Mieten. Dazu kommt die Konkurrenz der zugewanderten Chinesen und der aufstrebenden Städte wie Shenzhen. Das drückt auf die Löhne. Viele Junge haben daher den Glauben an die Zukunft verloren.
Stimmt die These, wonach die Revolte in Hongkong primär von einer verwöhnten Jugend getragen wird?
Nein. Das mag in bei den «Regenschirm-Protesten» im Jahr 2014 noch der Fall gewesen sein. Die aktuellen Demonstrationen werden jedoch von fast allen Einwohnern in Hongkong unterstützt, auch von der älteren Generation. Geschäftsfreunde sagen mir, alle ihre Mitarbeiter seien auf der Seite der Demonstranten. Nur die Gewalt wird abgelehnt.
Wie wird dieser Konflikt ausgehen?
Schwer zu sagen. Ich fürchte, er wird noch länger andauern.
Nun hat sich auch Präsident Donald Trump hinter die Demonstranten gestellt. Wird das den Handelskrieg zwischen den USA und China noch verschärfen?
Trump ist vom Kongress dazu gezwungen worden. Er meint es nicht wirklich ernst. Er hat sich auch nicht öffentlich dazu geäussert.
Peking hat jedoch darauf reagiert und Gegenmassnahmen angekündigt.
Es ging einzig darum, das Gesicht zu wahren. Es ist das übliche «Wie-du-mir-so ich-dir»-Spiel, um die eigene Bevölkerung zu beruhigen. Auf die Verhandlungen für ein Handelsabkommen wird das keine Folgen haben.
Wird es überhaupt je ein Handelsabkommen geben?
Wahrscheinlich wird es ein oberflächliches Abkommen geben, das für eine gewisse Ruhe an der Strafzollfront sorgen wird. Doch die strukturellen Probleme werden ungelöst bleiben. Die Positionen sind zu weit entfernt.
Die Chinesen wären froh, wenn Trump die Wahlen im nächsten November gewinnen würde, lautet eine oft gehörte Hypothese. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja. Die Chinesen sind bisher mit den Republikanern besser zurechtgekommen als mit den Demokraten. Deshalb wären sie mehr als happy, wenn Trump wiedergewählt würde.
Im Wahlkampf hat sich Trump jedoch als grosser Gegner Chinas verkauft.
Nun ziehen sich die USA jedoch immer mehr von den Weltmärkten zurück. Das eröffnet China neue Möglichkeiten. So hat Russland soeben eine neue Pipeline nach China eröffnet. In Asien hat Trump den Freihandelsvertrag TPP platzen lassen. Bei diesem Vertrag wäre China ausgeschlossen gewesen. Nun haben sich die asiatischen Länder auf einen Freihandelsvertrag geeinigt, bei dem auch China mit von der Partie ist. Das ist die Grundlage für neue Supply Chains ohne amerikanische Beteiligung.
Wird die neu entdeckte Liebe zwischen China und Russland zu einer Bedrohung des Westens?
Auf jeden Fall. Wir werden noch mehr Kollaboration zwischen Ländern mit Rohstoffen wie Russland und China sehen. Aber auch Brasilien und Andere werden sich vermehrt an China wenden. Dazu gesellt sich der Technokrieg. Gerade für Schwellenländer ist der chinesische IT-Konzern Huawei sehr interessant.
Was bedeutet das für die Weltwirtschaft?
Wir steuern auf eine Balkanisierug zu. Langfristig wird es zwei Supply Chains geben: eine von den USA und eine von China beherrschte. Weil die chinesische Technik deutlich billiger ist, werden sich wahrscheinlich die meisten Schwellenländer China anschliessen, auch die afrikanischen.
Die Nato betrachtet China als neuen Hauptgegner. Zu Recht?
Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen: Es ist der Westen gegen den Rest der Welt. Das ist auch für die Länder Asiens zunehmend ein Problem. Sie müssen sich entscheiden, ob sie sich dem Westen oder China zuwenden wollen.
Sie kommen aus Singapur. Wie erleben Sie diesen Konflikt?
Wir haben gute Verbindungen auf beide Seiten. Aber ob wir diese an sich komfortable Position langfristig halten können, wird sich weisen. Selbst ein Land wie Japan, das stark mit dem Westen verbunden ist, kann seine Verbindungen nach China nicht mehr kappen. Alle müssen eine heikle Balance finden.
Auch das Gleichgewicht zwischen Arm und Reich ist gestört. Lässt sich die wachsende Ungleichheit noch stoppen?
Kürzlich haben mehrere bedeutende amerikanischen Unternehmensführer und Banker erklärt, die Ära des reinen Shareholder Values sei vorüber. Wir müssten nun ein Zeitalter des sogenannten Stakeholder Values einleiten. Das bedeutet, dass nicht nur das Wohlergehen der Aktionäre wichtig ist, sondern aus das Wohlergehen der Mitarbeiter, der Zulieferer und der Standort eines Unternehmens. Richtig. Die Japaner praktizieren diesen Stakeholder-Value-Ansatz schon seit langem. Auch der Westen muss wieder lernen, dass die Maximierung des Profits nicht das Mass aller Dinge sein kann.
Da wir von Profiten sprechen: 2019 war ein ausgezeichnetes Börsenjahr. Müssen wir nun mit Rückschlägen rechnen?
2019 war aussergewöhnlich, vor allem wenn man sich die zahlreichen politischen Risiken vor Augen führt: Handelskriege, politische Unruhen etc. Ich fürchte jedoch, dass die Kursrekorde nicht nachhaltig sein werden. Ich erwarte daher Rückschläge, vor allem in den USA. Für Asien bin ich optimistischer.
Und für Europa und die Schweiz?
Deutschland scheint sich zu erholen. Das ist eine gute Botschaft für Europa. Für die Schweiz sehe ich keine Probleme.
China mag im Westen unbeliebt sein. In den Schwellenländern wird das Land aber gerne als Vorbild betrachtet, welches dem Westen die Stirn bieten kann. Das sollte uns Sorgen machen.
So lange der Westen meint, dem Rest alles diktieren zu können, wird er wohl weiter als arrogant wahrgenommen werden. Der Tradewar ist das beste Beispiel für ebendiese Arroganz.