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Guten Tag Frau Freitag! Ich habe einen 19 Monate alten Sohn und erwarte in 5 Wochen unser 2. Kind. Als Entlastung für mich haben wir vor 4 Wochen mit der Eingewöhnung in einer Krippe begonnen. 

Kinder ziehen lassen. Immer wieder.
Kinder ziehen lassen. Immer wieder.Bild: Kafi Freitag
FRAGFRAUFREITAG

Guten Tag Frau Freitag! Ich habe einen 19 Monate alten Sohn und erwarte in 5 Wochen unser 2. Kind. Als Entlastung für mich haben wir vor 4 Wochen mit der Eingewöhnung in einer Krippe begonnen. 

Allerdings hat unser Sohn nun gerade eine ziemliche "Mama Phase" (was wohl auch mit der fortschreitenden Schwangerschaft zu tun hat) und will ohne mich nicht in der Krippe bleiben. Die Krippenleiterin meint auch das sich dies wohl bis zur Geburt des 2. Kindes nicht ändern wird. Nun breitet sich eine kleine Panik in mir aus und der Respekt vor der neuen Situation mit 2 Kindern ist groß. Es gibt nun 2 Möglichkeiten und ich würde gerne von Ihnen wissen welche dieser beiden Sie bevorzugen würden: 1. Ich begleite meinen Sohn, in der Hoffnung das er nach der Geburt alleine dort bleiben wird, weiterhin in die Krippe und bleibe vor Ort damit er sich gut integrieren kann und die bisherige Eingewöhnungszeit nicht „umsonst“ war. Oder 2. Ich stoppe das "Projekt Krippe" bis zum Sommer und starten dann einen neuen Versuch. Zwischenzeitlich suche ich mir Unterstützung im Haushalt oder einer Babysitterin die stundenweise nach Hause kommt. Ariane, 32
27.03.2015, 17:2527.03.2015, 18:31
Kafi Freitag
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Liebe Ariane 

Eines vorweg: Es gibt nie nur 2 Möglichkeiten zur Lösung eines Problems. Nie. So auch bei Ihnen nicht, aber dazu später.

Was kann ich Ihnen gut nachfühlen! Es ist ja bei mir bereits 10 Jahre her, dass ich meinen Sohn in die Krippe eingewöhnt habe, aber ich erinnere mich wahnsinnig gut daran. Das tut vermutlich jede Mutter, denn schliesslich ist es ein erstes grosses Loslassen des Kindes. Davon kommen später noch viele mehr, aber das erste Mal ist natürlich sehr prägend. Ein grosser Schritt, für Eltern und Kind. Und ein wahnsinnig wichtiger.

Was bin ich in den 10 Tagen der Eingewöhnung schweren Herzens unter dem Wink-Fenster (vermutlich eine Erfindung einer sadistisch veranlagten kinderlosen Krippengründerin) gestanden und habe meinem weinenden Sohn zugewunken und mir die eigenen Tränen verbissen, bis um die Hausecke war. Dort habe ich losgeplärrt, als gäb's kein Morgen. Aber ich habe es durchgezogen. Weil ich wusste, dass er in der Krippe Dinge erlebt und lernt, die für seine Entwicklung wichtig sind. Weil ich wusste, dass ich nur dann eine gute Mutter sein kann, wenn ich auch mal einen Tag lang etwas für mich machen kann. Weil ich wusste, dass es vor mir Millionen Eltern geschafft haben und es nach mir Millionen von Eltern schaffen würden. Weil ich es so wollte.

Ihr Sohn ist jetzt in einem Alter, wo er unter gleichaltrige Kinder gehört. Das können Sie ihm zu Hause nicht bieten. Darum bin ich kategorisch gegen Ihre beiden Möglichkeiten. Und ich sage Ihnen auch, warum:

Möglichkeit 1 ist keine gute Idee. Sie haben Ihren Sohn bereits 4 Wochen eingewöhnt und damit ist dann auch mal gut. Wenn Sie darauf warten, dass er eines Tages einfach "Bye Mama, einen schönen Tag" sagt, dann können Sie noch weitere 25 Jahre warten. Denn das wird nicht passieren. Ihr Sohn spürt ganz genau, dass es Ihnen nicht leicht fällt, ihn dort zu lassen und gibt drum alles, dass Sie es nicht tun. Das ist ein Game, welches jedes Kind spielt, das ist ganz normal. Sie müssen lernen, zu gehen, auch wenn er noch tobt und weint. Das gehört dazu und es ist meistens nach 10 Minuten vorüber. Ich habe damals mit der Krippenleiterin ausgemacht, dass sie mich anruft, wenn mein Sohn nach 30 Minuten noch traurig ist und weint. Das hat sie kein einziges Mal getan und ich habe bei anderen Kindern beobachten können, wie schnell sie mit dem Drama aufhören, sobald die Eltern weg sind. Man könnte manchmal sogar das Gefühl bekommen, sie würden es der Eltern zuliebe machen, damit diese nicht das Gefühl bekommen, ersetzbar und unwichtig zu sein.

Wenn Sie Ihren Sohn noch länger eingewöhnen, dann kann es passieren, dass die Eingewöhnung mit dem Tag der Entbindung endet. Und das wäre mehr als fatal. Ihr Sohn würde daraus schlussfolgern, dass er jetzt abgeschoben wird, weil ein Geschwisterchen da ist. Dieses Vorgehen könnte die Beziehung der beiden Kinder stark beschädigen. Das sollten Sie darum in gar keinen Fall tun.

Möglichkeit 2 ist auch keine gute Idee. Wenn Sie Ihren Sohn jetzt wieder aus der Krippe nehmen, dann wird ihn das lebenslang prägen. Und nein, das ist jetzt kein Witz. Mit 19 Monaten kapieren Kinder schon unglaublich viel. Im Prinzip viel zu viel, aber es ist nun mal so... Er wird schnallen, dass er seinen Kopf durchgesetzt hat und er wird im Gegenzug nicht lernen, etwas durchzuziehen. Ich weiss, dass das im Bezug auf ein so kleines Kind seltsam klingt. Aber das ist es nicht. Kinder werden genau in dieser Zeit stark von solchen Entscheidungen geprägt. Und der Abbruch vom Eingewöhnen in die Krippe wäre eine Prägung, die es ihm später im Leben nicht sehr einfach machen wird. Es werden Klassenlager folgen und ­später noch ganz andere Dinge, durch die ein Mensch durch muss. Das hat auch mit der Stärkung der eigenen Resilienz zu tun. Resilienz ist im Moment ein riesen Thema in der Forschung. Sie entscheidet, ob man als Mensch Enttäuschungen und Rückschläge gut verkraftet, oder nicht. Sie ist zu einem Teil angeboren und wird zu einem Teil in den ersten Lebensjahren gestärkt oder eben geschwächt. Kinder, die in einem Elternhaus aufwachsen, in dem ihnen etwas zugemutet, aber auch zugetraut wird, haben später eine höhere Resilienz als Kinder, die man vor allem behütet und bewahrt.

Und es hat auch mit Vertrauen zu tun. Trauen Sie Ihrem Kind zu, dass es den Schritt schafft, oder nicht? Soll aus Ihrem Sohn ein Mensch werden, der sich selber etwas zutraut, oder nicht? Hier geht es um die Werte, die sie Ihren Kindern mitgeben wollen. Mir persönlich ist es sehr wichtig, dass mein Sohn Selbstvertrauen hat und möglichst selbstständig durch sein Leben gehen kann. Wenn Sie ihn jetzt aus der Krippe nehmen, dann ist das auch ein Zeichen Ihres Misstrauens gegenüber Ihrem eigenen Kind.

Mein Sohn war letztes Jahr zum ersten Mal in einem Ferienlager. Und zwar nicht mit seiner Schulklasse, sondern in einem Sportlager, wo er kein einziges Kind kannte. Er hatte wirklich Pech und teilte sein Zimmer mit einem Kind, dass ausschliesslich Französisch sprach. Dementsprechend war es unglaublich hart für ihn, er hatte wahnsinniges Heimweh. Es war das erste Mal, dass er in diesem Rahmen alleine von Zuhause weg war und er rief mich manchmal mitten in der Nacht weinend an. Es hat mir beinahe das Herz gebrochen, müssen Sie wissen. Und ich habe ihm sogar angeboten, dass ich ihn jederzeit abholen würde, wenn es gar nicht gehen würde. Das hat ihm Sicherheit gegeben und er hat die Woche überstanden. Er wusste, dass wenn er heimkommen würde, er beim nächsten Lager die gleiche Erfahrung nochmals würde machen müssen. Das wollte er nicht. Er wollte da durch. Und er hat es geschafft und ist um etwa 5 cm grösser wieder heimgekommen. Für mich war es eine schlimme Woche, mein mütterliches Herz wurde stark malträtiert. Ich weiss darum ganz genau, wie Sie sich fühlen.

Aber auch wir Eltern dürfen uns nicht schonen. Auch wir müssen es uns zutrauen, dass wir das schaffen. Wir bekommen Kinder und haben die Aufgabe, sie zu beschützen. Trotzdem müssen wir lernen, Sie loszulassen und anderen Menschen anzuvertrauen. Das ist nicht easy, aber es ist enorm wichtig. Denn wenn Sie diesen Schritt nicht machen, dann werden Sie Ihr künftiges Leben nur noch nach Ihren Kindern ausrichten und Ihr Leben ohne Rücksicht auf sich selber um diese herum planen. Das ist nicht gesund, liebe Ariane. Sie bekommen in etwa einem Monat ein 2. Kind und Sie haben vollkommen richtig entschieden, dass Sie dann mehr Zeit für das Baby brauchen. Lassen Sie sich Ihre Pläne nicht von einem U2 durchkreuzen, weil sonst übernimmt er die Führung zu Hause. Und damit eines klar ist: Der Chef sind SIE!

Ganz herzlich! Ihre Kafi.

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Kafi Freitag (39) beantwortet auf ihrem Blog www.FragFrauFreitag.ch Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.ch.



Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (www.FreitagCoaching.ch) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie ist verheiratet und Mutter eines zehnjährigen Sohnes.



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