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Schwere Vorwürfe gegen Bolsonaro – Ausschuss empfiehlt Anklage

Schwere Vorwürfe gegen Bolsonaro – Ausschuss empfiehlt Anklage wegen Corona-Politik

20.10.2021, 17:1320.10.2021, 19:41
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In Brasilien hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Corona-Politik der Regierung schwere Vorwürfe gegen Präsident Jair Bolsonaro erhoben und eine Anklage empfohlen. Im Abschlussbericht, den Senator Renan Calheiros am Mittwoch vorstellte, werden Bolsonaro neun teilweise schwere Verbrechen während der Corona-Pandemie zu Last gelegt.

Insgesamt sollen laut der Empfehlung weitere 65 Personen und Geschäftsleute sowie zwei Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. Völlig unklar bleibt vorerst, welche Folgen der Bericht haben wird.

epa09512182 Brazilian President Jair Bolsonaro participates in a ceremony of Modernization of the Standards of Safety and Health at Work at the Palacio do Planalto in Brasilia, Brazil, 07 October 2021 ...
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro.Bild: keystone

Was wird Bolsonaro vorgeworfen?

Die Vorwürfe gegen Bolsonaro reichen von Scharlatanerie über die Anstiftung zu Straftaten bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zwei der schwersten Verbrechen, Völkermord an der indigenen Bevölkerung und Mord, hatte eine Gruppe von sieben unabhängigen oder gegen Bolsonaro eingestellten Senatoren Medienberichten aus der Liste der Vorwürfe entfernt.

Wer wirft ihm das vor?

Der Untersuchungsausschuss besteht aus elf Mitgliedern, von denen sieben zur Opposition gehören oder als unabhängig gelten. In der kommenden Woche soll der Ausschuss voraussichtlich über den Abschlussbericht abstimmen. Eine Mehrheit ist notwendig, um den Bericht zu verabschieden. Dann kann er an Institutionen wie die Generalstaatsanwaltschaft geschickt werden.

Kommt es auch zu einer Anklage?

Unklar bleibt für Kommentatoren, ob die Empfehlungen auch zu Anklagen führen werden - oder ob der Untersuchungsausschuss nach fast sechs Monaten Arbeit mit mehr als 50 Aussagen in Samba oder Pizza endet, wie es in Brasilien heisst, wenn etwas im Sande verläuft.

Auch die Beantragung eines Amtsenthebungsverfahren, für dessen Einleitung der Bericht als Grundlage dienen könnte, ist fraglich. Die Eröffnung eines solchen Verfahrens hängt vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer ab - dieser gilt als Verbündeter der Regierung Bolsonaros.

epa09520323 Parishioners light candles and pray during a mass at the National Shrine of Our Lady of Aparecida in the city of Aparecida, located 170 kilometers from Sao Paulo, Brazil, 12 October 2021.  ...
Brasilien hat über 600'000 Corona-Tote zu beklagen. Hier Opferkerzen vor dem Schrein der Muttergottes von Aparecida, Brasilien, 12. Oktober 2021.Bild: keystone

Der Untersuchungsausschuss hatte auf dem Höhepunkt einer ausser Kontrolle geratenen Corona-Pandemie im April seine Arbeit aufgenommen. Sein Auftrag lautete, die Handlungen und Unterlassungen der Regierung des Rechtspopulisten Bolsonaro in der Pandemie zu beleuchten und die mögliche Veruntreuung von Bundesmitteln im Kampf gegen das Coronavirus zu überprüfen.

Die Brasilianer verfolgten den Ausschuss bisweilen wie eine Telenovela. Auch wenn sie dabei nicht immer wirklich Neues erfuhren, so wurden doch die Ausmasse von bereits Bekanntem deutlich. Etwa, dass die Regierung mehr als 50 E-Mails des Pharmaunternehmens Pfizer, das Corona-Impfstoffe nach Brasilien liefern wollte, unbeantwortet liess.

Wie ist die Lage in Brasilien?

Nach den USA und Indien verzeichnet Brasilien mit fast 22 Millionen Fällen die meisten Corona-Infektionen. Zuletzt überschritt das grösste Land in Lateinamerika die Marke von 600 000 Corona-Toten. Das Gesundheitssystem brach im März und April vielerorts zusammen.

Bolsonaro verharmlost das Coronavirus trotzdem seit Beginn der Pandemie und lehnt Schutzmassnahmen sowie Einschränkungen ab. Auch den Sinn von Impfungen zieht er in Zweifel. Der Präsident hat mehrmals betont, dass er selbst noch nicht gegen das Coronavirus geimpft sei. Ihm wird vorgeworfen, den Erwerb von Corona-Impfstoffen ausgeschlagen und verschleppt zu haben.

Seit Beginn der landesweiten Impfkampagne im Januar sind nun insgesamt mehr als 261 Millionen Impfdosen verabreicht worden, mehr als 100 Millionen Brasilianer sind komplett gegen das Coronavirus geimpft. Die Beschleunigung ist einer der Erfolge, den der Präsident des Untersuchungsausschusses, Senator Omar Aziz, diesem auf die Fahnen schreibt.


Die Zustimmung zur Amtsführung Bolsonaros ist im Laufe der Corona-Pandemie dagegen immer weiter gesunken. 53 Prozent der Befragten lehnten die Politik des Präsidenten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha im September ab. Das war das schlechteste Ergebnis für Bolsonaro seit seinem Amtsantritt 2019. (sda/dpa)

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Güzmo
20.10.2021 10:35registriert Juli 2019
Wider mal ein Artikel in SMS-Länge. 250 Worte, mehr als die Hälfte davon ist "Standart-Kontext" zum letzten Jahr Pandemie in Brasilien, den ihr immer dazuschreibt.

Etwas sehr minimalistisch., da sind meine Kommentare länger.

Kein Wort welcher Verbrechen er angeklagt ist, welche 70 Personen und welche Firmen mit ihm. Kann ich ja gleich zu twitter wechseln...
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banda69
20.10.2021 13:06registriert Januar 2020
Bolsonaro verharmlost das Coronavirus seit Beginn der Pandemie und lehnt Schutzmassnahmen sowie Einschränkungen ab. Folge: 600'000 Tote.

Bolsonaro ist Rechtspopulist. What else. Bolsonaro ist, wenn Wirtschaft und Geld vor Mensch und Umwelt kommen. Und ja, das ist bei der rechtspopulistischen SVP genau so. Bosonaro, Trump oder die SVP ist Hans was Heiri. Es sind Geschwister im Geiste, Tun und Kommunikation.
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Rivka
20.10.2021 10:36registriert April 2021
Wäre überrascht, wenn dieses schreckliches Individuum für seine unmenschlichen Taten bezahlen würde. Solche Monster sichern sich als erstes den Ar***, wenn sie an der Macht sind. D.h. Personen und Institutionen, die ihnen gefährlich werden können, werden unschädlich gemacht und mit eigenen Lakaien ersetzt. Siehe Erdogan und Trump...
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