Die Lebenswege der Menschen sind oft unergründlich. Jener von Xenia Anatoljewna Sobtschak ist besonders auffällig. Früher galt sie als «Russlands Paris Hilton», als Glamourgirl und Symbolfigur einer luxusverliebten neureichen Elite. Sie feierte wilde Partys, moderierte eine russische Version von «Big Brother» und liess sich in eindeutig-zweideutigen Posen ablichten.
Dann kam der Wandel: Nach der manipulierten Parlamentswahl 2011 schlüpfte die heute 33-jährige Sobtschak in eine neue Rolle: Sie wurde zur Politaktivistin und führenden Stimme der Opposition. Als Wladimir Putin sich 2012 erneut zum Präsidenten wählen lassen wollte, mokierte sie sich in einem Video über Promis, die Putin nicht immer freiwillig ihre Unterstützung zusicherten.
Im heutigen Russland aber leben Regimegegner gefährlich. Nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow soll eine Todesliste aufgetaucht sein, auf der sich auch Xenia Sobtschaks Name befindet. Dies berichtete die «Nowaya Gazeta», Russlands letzte liberale Zeitung. Ebenfalls auf der Todesliste stehen Alexej Wenediktow, Chefredaktor des kremlkritischen Radiosenders «Echo Moskwy», und der Ex-Oligarch Michail Chodorkowsi, der 2014 nach zehn Jahren aus dem Straflager entlassen wurde und heute in Rapperswil lebt.
Putins Pressesprecher Dmitri Peskow dementierte die Existenz einer solchen Liste. Bei Nemzows Beisetzung jedoch soll Xenia Sobtschak von einem Unbekannten bedroht worden sein: «Sie sind die Nächste.» Danach habe sie Personenschutz erhalten.
Nun soll sie Russland sogar verlassen haben, und zwar auf Empfehlung der Sicherheitsdienste, berichtete die Zeitung «Kommersant». Sie habe dies ihren Freunden am letzten Freitag mitgeteilt, bei der Feier zur Lancierung der russischen Ausgabe des französischen Modemagazins «L'Officiel», die sie als Chefredaktorin leitet. In einem Tweet amüsierte sich Sobtschak über den Bericht, ohne ihn zu dementieren. Ob sie ausgereist ist, bleibt vorerst unklar.
Официально:друзья немного преувеличили про иммиграцию, ужин L'officiel действитело был душевным и с хорошим вином:) http://t.co/7zodq17mRj
— Ксения Собчак (@xenia_sobchak) 16. März 2015
Xenias Geschichte ist aus einem weiteren Grund bemerkenswert: Ihr Vater Anatoli Sobtschak war ein führender Reformpolitiker im postsowjetischen Russland. 1991 wurde der Rechtsprofessor zum Stadtpräsidenten von St.Petersburg gewählt. Als Mitarbeiter engagierte er einen ausrangierten KGB-Agenten, der einst bei ihm studiert hatte: Wladimir Putin. Sobtschak machte ihn 1992 zu seinem Stellvertreter und vermittelte ihm 1996 einen Job im Kreml beim damaligen Präsidenten Boris Jelzin, nachdem er nicht wiedergewählt worden war.
Wegen Korruptionsvorwürfen flüchtete Anatoli Sobtschak danach ins Exil nach Frankreich, kehrte zwei Jahre später jedoch nach Russland zurück. Sein «Ziehsohn» Putin war inzwischen Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB und hielt seine schützende Hand über ihn. Im Februar 2000 starb Anatoli Sobtschak mit 63 Jahren an einem Herzinfarkt. Bis heute halten sich Gerüchte, wonach er in Wirklichkeit vergiftet wurde.
Ohne Anatoli Sobtschak wäre Wladimir Putin kaum geworden, was er heute ist. Seine Tochter Xenia wurde wegen dieser Nähe in Oppositionskreisen anfangs kritisch beäugt, bis klar wurde, dass sie es ernst meinte. Immerhin hatte das ehemalige It-Girl in Moskau Politik studiert. In Putins Fragestunde im Dezember 2014 gelang es ihr, zwei kritische Fragen zu stellen, zur «Hetzjagd» auf Oppositionelle und zu den Repressalien gegen Angehörige von Terrorverdächtigen in der Kaukasusrepublik Tschetschenien.
Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von Boris Nemzow veranlasst zu haben. Er hat sich die Gunst von Wladimir Putin erkauft, indem er die notorische Unruheregion mit brutalen Methoden «befriedete». In letzter Zeit aber soll sich Kadyrow zunehmend eigenmächtig verhalten. Hat er es nun auf Xenia Sobtschak abgesehen?
Sollte sie tatsächlich auf einer Todesliste stehen, wäre dies ein fatales Signal. Wenn eine Xenia Sobtschak in Russland nicht sicher ist, ist niemand mehr sicher.