Ohne ging fast nichts. Dank des Internets war auch in Coronazeiten vieles möglich: die Arbeit und der Unterricht daheim. Die virtuellen Treffen mit Freunden und Familie. Der Kurs vor dem Laptop. Doch rund die Hälfte der Weltbevölkerung hat weiterhin keinen Zugang zum Internet. In den ärmsten Ländern sind mehr als 80 Prozent der Menschen offline. Die Pandemie habe eine «grosse, grobe Ungleichheit» in der Welt offenbart, konstatiert Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web.
Nicht nur er zog eine düstere Bilanz, als die Vereinten Nationen jüngst zu einem hochrangigen Treffen luden, an dem UNO-Generalsekretär António Guterres eine «Roadmap» für digitale Kooperation vorlegte. Ziel dieses Aktionsplans: die digitale Welt verbessern, sie sicherer und gerechter machen. Nehme die digitale Ungleichheit nicht ab, warnt Guterres, sinke die Chancengleichheit weiter.
Die UNO will konkrete Massnahmen entwickeln, wie die globale digitale Kooperation verbessert werden könnte.
Der Aktionsplan setzt die Empfehlungen um, die ein Gremium mit 22 Mitgliedern aus Wirtschaft und Politik, aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft erarbeitet hat.
Geleitet wurde das sogenannte High-Level-Panel von Melinda Gates, der Mäzenin und Gattin von Microsoft-Gründer Bill Gates, und Jack Ma, dem Chef des chinesischen Internetriesen Alibaba.
Mit der ehemaligen Bundesrätin Doris Leuthard war auch die Schweiz prominent vertreten. Die einstige CVP-Politikerin wurde 2018 vom UNO-Generalsekretär in das Gremium berufen.
Mit dem nun vorliegenden Aktionsplan ist Leuthard zufrieden. Viele Empfehlungen seien aufgenommen worden, sagt sie. «Kein Staat, keine Regierung alleine kann die digitale Welt sicher, möglichst gerecht und ethisch korrekt ausgestalten.» Während manche Länder versuchen, das Internet zu regulieren, besitzen die grossen Konzerne faktisch das Datenmonopol.
Entscheidend sind laut Leuthard neue Formen der Zusammenarbeit. Vertreter aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft müssten besser integriert werden. «Für uns in der Schweiz mit den breiten Vernehmlassungen und unserer demokratischen Kultur ist das ein kleiner Schritt, global sind wir weit davon entfernt.» Überdies dürfe man eben nicht vergessen, dass viele Menschen bis heute weder Zugang zu Strom noch zum Internet haben. «Da nützen die schönsten Regeln nichts.»
Tatsächlich klaffen bei den Vereinten Nationen zwischen Bekenntnissen und Taten oft Lücken. Erfindet der Aktionsplan also die Welt neu? Nun, auch er bedient sich der blumigen Phrasen und Schlagwörter, die in Digitalisierungsdebatten oft zu hören sind. Leuthard weiss: «Es gibt viele Analysen und Berichte mit ähnlichen Wertvorstellungen und Prinzipien.» Man beginne nicht im luftleeren Raum. Die UNO sieht sich als Mittler. Nach zähen Jahren sei es gelungen, staatliche und nichtstaatliche Akteure auf höchster Ebene zusammenzubringen – «Multistakeholderism» nennt sich das.
«Universelle Regeln für die analoge Welt gelten grundsätzlich auch für die digitale», betont Leuthard. Da und dort brauche es Ergänzungen, müsse die Auslegung geklärt werden.
Als zentral erachtet die frühere Infrastrukturministerin nebst «rasch anwendbaren Grundregeln» für künstliche Intelligenz vor allem die Menschenrechte. Die UNO verlangt in ihrem Aktionsplan, dass die grossen Techkonzerne diese im digitalen Raum garantieren. Auch die Staatengemeinschaft müsse sich da auf gemeinsame Werte und Prinzipien einigen, fordert Leuthard. «Es gibt heute unzählige Mechanismen und nationale Alleingänge, die das Ganze fragmentieren und verkomplizieren. Das hilft nur den grossen Unternehmen.»
Wenn die UNO die Führung übernehme und rasch vernünftige Regeln erarbeite – sie denkt da etwa an eine Charta –, dann könne dies auf fruchtbaren Boden stossen. «Es ist ja erstaunlich, dass Unternehmen wie Microsoft und Google selbst nach einer gewissen Regulierung rufen», stellt Leuthard fest. Sie riskierten zunehmend Reputationsschäden und wüssten nicht, wie umgehen mit Hassrede, Fake News oder Rassismus im Netz. Als schwierig bezeichnet sie hingegen die Differenzen zwischen den USA und China. «Daher braucht es eine starke Schweiz und ein starkes Europa.»
Wie die Ziele der UNO genau umgesetzt werden, ist in manchen Punkten noch unklar. Generalsekretär Guterres will nun mehrere Bündnisse und Initiativen lancieren. Klar ist hingegen: Ab 2021 soll es einen UNO-Gesandten für Technologie geben – mit einem schlagkräftigen Apparat im Rücken. Für diesen Posten wurde laut dem deutschen Fachportal «Heise» schon früh der Name von Doris Leuthard kolportiert; fürs Erste bleiben dies Spekulationen.
Eher klären dürfte sich die Frage, wo das UNO-Digitalgremium seinen Sitz haben wird. Als Standort ist auch Genf im Gespräch. In der Stadt sind bereits andere Organisationen in diesem Bereich beheimatet. Der Bund hat eine Genfer Stiftung mitgegründet, die insbesondere Entwicklungen der digitalisierten Welt voraussehen und vorschlagen soll, wie die Schweiz und die internationale Gemeinschaft ihnen begegnen könnten. Dazu kommt die Swiss Digital Initiative, deren Ziel es ist, ethische Standards in der digitalen Welt zu verankern.
Die dahinterstehende Stiftung wird ebenfalls von Doris Leuthard geleitet. Sie hält die Stadt für prädestiniert als Sitz des neuen UNO-Gremiums. Leuthard nimmt ihre Ex-Regierungskollegen in die Pflicht: «Ich hoffe, der Bundesrat engagiert sich dafür und ergreift die Chance, in Genf ein solch zukunftsträchtiges Zentrum zu etablieren.»
(bzbasel.ch)
Dass Gates und Ma so wichtige Rollen einnehmen, finde ich aber auch extrem ungeschickt von der UNO.