Der Fall «Carlos» – mittlerweile auch bekannt als Fall «Brian» – erlangte durch eine SRF-Dokumentation grosse mediale Aufmerksamkeit. Grund der öffentlichen Empörung waren die hohen Kosten für ein Sondersetting, das den 24-jährigen Brian nach etlichen gescheiterten Massnahme-Versuchen endlich resozialisieren sollte. Der mediale Druck führte schliesslich zum Abbruch des Settings und Brian sitzt nach einer Schlägerei derzeit in der Stafvollzugsanstalt Pöschwies ein. Das Urteil zur 29-Punkte Anklage wird am Mittwoch gefällt – ihm droht eine Verwahrung.
Das bevorstehende Urteil und der Fall «Brian» waren daher das Thema vom SRF-«Club» am Dienstagabend. Mitdiskutiert haben unter anderem Daniel Jositsch (SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor), Anna-Lisa Offenfuss (Sonderpädagogin) und Frank Urbaniok (forensischer Psychiater). Hauptthemen waren das Sondersetting, die drohende Verwahrung und die Möglichkeiten für die Zukunft.
Brian fiel bereits früh negativ auf und kam mit dem Gesetz in Konflikt. Mit elf wurde er das erste mal ins Gefängnis gesteckt. Er blieb jedoch ein Problemfall und von einer Besserung konnte keine Rede sein. Was sollte unternommen werden, um den jungen Mann wieder auf die richtige Bahn zu führen?
Experten waren der Ansicht, dass ein Sondersetting erfolgversprechend war. Das Sondersetting kostete jedoch 29'200 Franken pro Monat, was für Viele nicht nachvollziehbar war und einen riesigen medialen Druck auslöste, was schliesslich zum Abbruch des Settings führte. Der Abbruch der speziellen Massnahme war gemäss Daniel Jositsch ein grosser Fehler:
Jositsch meinte, dass die Verantwortlichen Personen hinter ihrer unpopulären Entscheidung hätten stehen und dem öffentlichen Druck hätten standhalten müssen. Eine angeordnete Massnahme einfach abzubrechen sei höchst fragwürdig. Dieser Meinung war auch Anna-Lisa Oggenfuss. Ihrer Meinung nach war die Massnahme im Fall Brian äusserst erfolgversprechend – schliesslich zeigten sich zum ersten Mal deutliche Fortschritte in Brians Verhalten.
Auch die Kosten seien durchaus gerechtfertigt gewesen, so Oggenfuss: «Reintergration ist teuer», aber nicht zu teuer, weil Fortschritte erkennbar waren. Solche Massnahmen seien erst dann ungerechtfertigt, wenn innerhalb von fünf Jahren keine Verhaltensänderung erkennbar sei. Ausserdem kostet Brian den Staat mittlerweile viel mehr, insbesondere auch dann, wenn er tatsächlich verwahrt werden sollte.
Nach Abbruch des Sondersettings kam Brian in ein Jugendgefängnis bis das Bundesgericht diese Massnahme als ungerechtfertigt ansah und Brian auf freien Fuss kam. Kurze Zeit später liess er sich zu einer Schlägerei hinreissen und wurde zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. In Haft eskalierte die Situation und Brian wurde in 29 Punkten erneut angeklagt. Die Staatsanwaltschaft plädiert auf eine Verwahrung.
Verwahrt kann Brian nur werden, wenn er der schweren versuchten Körperverletzung schuldig gesprochen wird. Laut Daniel Jositsch absolut unverhältnismässig, weil...
Normalerweise werden schwere Sexual- oder Gewaltstraftaten mit Verwahrung bestraft, wovon bei Brian nicht die Rede sein kann. Hinzu kommt, dass eine Verwahrung in den meisten Fällen nicht aufgehoben wird, da eine Besserung des Verhaltens in Verwahrungs- und Isolationshaft eher unwahrscheinlich ist und niemand für eine ehemals verwahrte Person die Verantwortung übernehmen will. Brian hätte folglich schlechte Chancen auf eine ernsthafte Überprüfung der Massnahme nach einigen Jahren, wie Frank Urbaniok feststellte.
Bei dem jungen Mann führt auch die Isolation zu einem gesteigert aggressiven Verhalten, weshalb die Massnahme in seinem Fall ganz und gar nicht erfolgversprechend ist. Erfolgreich ist eine Massnahme nämlich dann, wenn innerhalb von fünf Jahren eine Verhaltensverbesserung erkennbar ist. Doch was würde in diesem Fall zu einem Erfolg führen?
Die derart hohe mediale Aufmerksamkeit machte Brian quasi zu einem «Promi», wie Daniel Jositsch feststellte. Diese Aufmerksamkeit ist für den 24-Jährigen schlicht zu viel – der Druck ist kontraproduktiv für eine positive Entwicklung.
Sowohl der Strafvollzugsexperte Benjamin Brägger als auch Jositsch sehen eine gute Möglichkeit in der Versetzung von Brian in einen anderen Landesteil. An einem Ort, wo er unbekannt ist. So würden ihm Gefängniswärter und involvierte Personen anders begegnen und Brian hätte die Chance, wieder zu Menschen Vertrauen zu fassen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Resozialisierung.
Schlussendlich geht es darum, dass sowohl auf die öffentliche Sicherheit als auch auf die Freiheitsrechte und die Entwicklung von Brian Rücksicht genommen wird. Doch das Eine geht nicht ohne das Andere, weshalb beim Urteil vom Mittwoch ganz sorgfältig abgewägt werden muss – und der Entscheid unabhängig vom grossen öffentlichen Druck gefällt wird.
Kunz hatte den Fall an den hohen Kosten aufgehängt. Und heute? Eine Verwahrung kostet den Staat ein Vielfaches dessen und ist zudem noch unbefristet.
Die ganze Geschichte soll man auch aus folgender Optik betrachten: Die vielen Straftaten, die Brian nun angelastet werden, erfolgten mehrhetlich im Strafvollzug. Zudem gibt es für schwere Körperverletzung 10 Jahre, keine Verwahrung!