Zuerst die Religion. Dann die Politik. Und schliesslich das ausgedehnte Fest. Nach diesem Muster verlaufen die Landsgemeinden in Appenzell Innerrhoden am jeweils letzten Sonntag im April. So auch vorgestern. Punkt 12 Uhr – nach dem Ende des Gottesdienstes – schritten die Behördenmitglieder und die Ehrengäste zum Landsgemeindeplatz, begleitet von der lokalen Musikgesellschaft und der Kirchenglocke.
Mittendrin: Bundespräsident Didier Burkhalter. Dass der behäbige Takt der Marschmusik die Schrittfolge vorgab, nahm er nicht so genau. Er ging zu den zahlreichen Zuschauern am Strassenrand, schwatzte mal hier, mal da, und wo er auch auftauchte, brandete spontan Applaus auf. Die traditionsbewussten Appenzeller und der polyglotte Neuenburger – eine Kombination, die besser als erwartet funktionierte.
Burkhalter genoss das Bad in der Menge sichtlich. Keine Spur mehr vom zurückhaltenden und etwas spröden Magistraten, den man zu Beginn seiner Amtszeit erlebte. Der 54-Jährige ist in seinem Amt gewachsen wie schon lange kein Bundesrat mehr vor ihm.
Offenbar braucht er die politischen Knacknüsse – denn davon gibt es spätestens seit seiner Zusatzfunktion als Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mehr als genug. Keine zwei Monate nach dem Amtsantritt eskalierte die Lage in der Ukraine, sodass Burkhalter mittlerweile auch im Fokus der Weltöffentlichkeit steht. Dabei auch die innenpolitischen Baustellen nicht zu vernachlässigen, ist nicht einfach.
Doch Burkhalter scheint der Spagat zwischen Landsgemeinde und Weltpolitik zu gelingen – so lautet zumindest der Tenor bei den aussenpolitischen Kommissionen. Kein angefragtes Mitglied äussert sich grundsätzlich kritisch zum Aussenminister. Er habe sein Departement im Griff, werte die OSZE auf und habe an Profil gewonnen, findet etwa SVP-Aussenpolitiker Maximilian Reimann. Sein Doppelmandat sei für die Schweiz «in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall», sagt FDP-Nationalrätin Christa Markwalder.
Auf den wohlwollenden Worten ausruhen kann sich Burkhalter freilich nicht. Wie gefordert er tatsächlich ist, zeigt vor allem die jüngste Krise um die Entführung von westlichen Militärbeobachtern in der Ostukraine. Nach der Freilassung eines Schweden sind immer noch sieben Beobachter, darunter vier Deutsche, in der Hand russischer Separatisten. Burkhalter forderte gestern am Rand der OSZE-Terrorismustagung in Interlaken deren Freilassung. «Wir tun alles, damit diese Personen sofort freikommen.» Auch Russland setze sich dafür ein, sagte Burkhalter.
Diese Militärbeobachtermission ist nicht zu verwechseln mit der zivilen OSZE-Mission, die von sämtlichen OSZE-Mitgliedstaaten – also auch Russland – am 21. März beschlossen wurde. Derzeit sind 122 zivile Beobachter unter OSZE-Flagge in der Ukraine im Einsatz. Diese Mission soll laut Burkhalter auf bis zu 500 Personen aufgestockt werden. «Allerdings nur, wenn die Sicherheit gewährleistet werden kann.» Die Beobachter unterstehen direkt der OSZE. Sie sind in Fahrzeugen unterwegs, die mit dem Logo der Organisation versehen sind, und sie schicken ihre Berichte über die Lage in der Ukraine an die Organisation und nicht an einzelne Mitgliedstaaten.
Den Militärinspektoren haben indes nur einige wenige OSZE-Staaten zugestimmt. Rechtliche Grundlage bildet das Wiener Dokument von 2011 über «vertrauensbildende Massnahmen» der OSZE-Mitgliedstaaten. Gemäss diesem Dokument müsste eine Beobachtermission in einem Land vor allem aus Angehörigen von Nachbarstaaten bestehen. Deutschland, das die Hälfte der Mission stellt, ist derweil kein direkter Nachbar der Ukraine. Das achtköpfige Team ist seit Anfang März auf Wunsch der Regierung in Kiew unterwegs. Die Beobachter verfassen Berichte zuhanden der Verteidigungsministerien jener Staaten, die an der Mission beteiligt sind, sagte ein OSZE-Sprecher zu Spiegel online.
Die letzten Freitag entführte Truppe stand unter deutschem Kommando. Ihre Aufgabe bestand darin, die Situation aus unabhängiger Warte zu beobachten, Informationen zu liefern und damit Vertrauen und Transparenz zu verbessern. Die Inspektoren waren mit Fahrzeugen des ukrainischen Militärs unterwegs. Ob darauf ein OSZE-Logo angebracht wurde, ist unklar. Die deutsche Regierung hat bisher keine Angaben dazu gemacht, ob die Gruppe zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung in Uniform unterwegs war. Die OSZE-Regeln überlassen es den jeweiligen Verteidigungsministerien, zu entscheiden, ob die Beobachter in Zivil oder in Uniform unterwegs sind.
Klar ist aus völkerrechtlicher Sicht, dass die Entführung illegal ist. Für die Sicherheit wäre an sich die Ukraine zuständig. Da sich die Mission aber in einem Gebiet aufgehalten hat, in welchem der ukrainische Staat keine Gewalt (mehr) ausübt, drängt sich die Frage auf, wie fahrlässig die Inspektoren gehandelt haben. Kritik wird deshalb auch an der OSZE laut: Die österreichische Tageszeitung «Der Standard» wirft der Organisation in einem Kommentar vor, ein Glaubwürdigkeitsproblem zu haben. Der Weltöffentlichkeit sei erst am Sonntag klar geworden, dass es verschiedene OSZE-Missionen in der Ukraine gebe. Es sei zudem ein Stück weit verständlich, dass Militärbeobachter aus Nato-Staaten und namentlich aus Deutschland zumindest in der Ostukraine mit Argwohn betrachtet werden.
Obwohl der OSZE-Vorsitz den Einsatz der Militärinspektoren laut Schweizer Aussendepartement nicht beurteilt hat, rückt Burkhalter unter den Augen der Weltöffentlichkeit definitiv ins Zentrum der Militärmission – will er keinen Imageschaden erleiden, müssen die Geiseln schnellstmöglich freikommen. Die diplomatischen Geschicke des jovialen Romands sind mehr denn je gefordert.