Erben erhalten zwei Silberpokale aus Sammlung Budge zurück

Erben erhalten zwei Silberpokale aus Sammlung Budge zurück

06.11.2017, 18:08

Das Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen hat sich dazu entschlossen, zwei Objekte aus der Sammlung Züst an die Erben der jüdischen Kunstsammlerin Emma Budge zurückzugeben. Die wertvollen Silberpokale stammen aus NS-Raubkunst.

Während der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 wurden in Deutschland und den annektierten und besetzten Ländern eine grosse Anzahl Kunstwerke konfisziert. Solche Raubkunst kam während und auch nach der Zeit des Deutschen Nationalsozialismus unter anderem auch in die Schweiz.

Das Bundesamt für Kultur (BAK) unterstützt zehn Schweizer Museen dabei, die Herkunft von Kunstwerken in ihren Beständen zu erforschen, um allfällige NS-Raubkunst zu eruieren. Auch das Forschungsprojekt des Historischen und Völkerkundemuseums St. Gallen wird vom Bund mit 20'000 Franken unterstützt.

Historische Sammlung aufgearbeitet

Das Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen arbeite seit 2010 die Herkunft seiner Objekte auf, wobei der Fokus bisher auf der völkerkundlichen Sammlung lag, sagte Museumsdirektor Daniel Studer am Montag vor den Medien. Die Ausstellung «Giovanni Züst - Silber, Antiken, Malerei» sei Anlass gewesen, auch die Historische Sammlung aufzuarbeiten.

Giovanni Züst (1887–1976), Speditionsunternehmer mit baslerisch-appenzellischen Wurzeln, verschenkte seine grosse Kunstsammlung nach Basel, Rancate TI und St. Gallen. Die Silbersammlung kam 1959 ans Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen.

Die Sammlung umfasst rund 130 Objekte vom 16. bis ins 18. Jahrhundert - darunter Pokale, Humpen und eine Kanne in Form eines Strausses. Bei der Aufarbeitung der Sammlung Züst seien zwei Pokale in Segelschiff-Form als NS-Raubkunst identifiziert worden, sagte Studer.

1500 Objekte wurden enteignet

Die Pokale gehörten zur Kunstsammlung von Emma Budge (1852-1937), eine jüdische Sammlerin und Mäzenin in Hamburg. Ihre Sammlung umfasste rund 1500 Objekte. Mitte der 1930er-Jahre wurde ihr Wert auf rund 1 Million Reichsmark geschätzt.

Wann und wo Giovanni Züst die Pokale erwarb, sei bis heute unklar. 1937 wurde die Sammlung Emma Budge versteigert. Dies gehe unter anderem aus dem 1969 erschienen Katalog zur «Silbersammlung Züst» hervor. Recherchen hätten ergeben, dass der Erlös der Versteigerung 1937 auf ein staatlich kontrolliertes Sperrkonto geflossen sei, teilt das Museum mit.

Weil die berechtigten Erben nicht über den Erlös aus der Versteigerung hätten verfügen können, käme dieser Schritt einer Enteignung gleich. Die Recherchen wurden in Zusammenarbeit mit dem Vertreter des 2007 eingesetzten Testamentsvollstreckers der Erbengemeinschaft Emma Budge durchgeführt.

In Deutschland werde, im Gegensatz zur Schweiz, schon lange nach NS-Raubkunst gesucht, sagte Lothar Fremy, Anwalt der Erbengemeinschaft. Trotzdem hätten erst 150 bis 200 Einzelgegenstände der Sammlung Budge lokalisiert werden können; 70 bis 80 wurden zurückerstattet. Die beiden Pokale, je rund 150'000 Franken wert, gehen in den Handel. Den Erlös erhalten die Erben.

Gerechte und faire Lösungen

Drei weitere Objekte der Sammlung Züst haben eine interessante Geschichte. «Zwei gehörten zur Silbersammlung von Alfred Pringsheim, dem Schwiegervater des Schriftstellers Thomas Mann», sagte Peter Müller, Provenienzforscher des Museums. Die Sammlung sei 1938 von der Gestapo beschlagnahmt, 1946 aber den rechtmässigen Besitzern ihren Nachkommen zurückgegeben worden. Diese gaben die beiden Objekte dann in den Handel.

Ein drittes Objekt, der Nautiluspokal, konnte von den jüdischen Besitzern, der Familie Ullmann in Frankfurt, 1938 nach London in Sicherheit gebracht werden und wurde 1960 regulär verkauft.

Die Abklärungen erfolgten nach den Washingtoner NS-Raubkunst-Richtlinien von 1998, sagte Müller. Das Ziel ist, «gerechte und faire Lösungen» zu finden. Zu diesem Zweck sollen die Ergebnisse der Herkunftsabklärungen öffentlich zugänglich gemacht werden. Das Historische und Völkerkundemuseum St. Gallen wird im kommenden März einen Bericht veröffentlichen. «Seine Provenienzen lückenlos zu dokumentieren, wird aber keinem Museum gelingen», so Müller. (sda)

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