Nach dem Schock der «Panama Papers»-Enthüllungen haben die Isländer einen politischen Aussenseiter ins oberste Staatsamt gewählt. Der parteilose Historiker Gudni Thorlacius Jóhannesson wurde bei der Präsidentenwahl mit knapp 40 Prozent zum neuen Staatschef bestimmt.
Nach der Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmen lag der 48-Jährige am Sonntag mit 39.1 Prozent der Stimmen uneinholbar vor der Unternehmerin Halla Tómasdóttir mit 27.9 Prozent. Der Historiker war mit seinen Auftritten als Politik-Experte im Fernsehen bei einem breiten Publikum auf der Nordatlantik-Insel beliebt.
Jóhannesson, der am Sonntag 48 Jahre alt wurde und bereits vor der Wahl als Favorit galt, hatte sich in der Nacht vor Anhängern in Reykjavik zum Nachfolger von Präsident Ólafur Ragnar Grímsson erklärt. Dieser war nach 20 Jahren nicht erneut angetreten.
Die Präsidentenwahl am Samstag wurde begleitet von der Euphorie der Isländer über ihre Fussball-Nationalmannschaft. Diese hatte sich Jahr erstmals überhaupt für eine EM qualifiziert. Dann erreichte sie sogar das Achtelfinale und tritt am Montag gegen England an.
Frust über politische Elite
Das starke Ergebnis für den Politikneuling Jóhannesson wird als Beleg für die Frustration weiter Teile der isländischen Bevölkerung mit der politischen Elite gewertet.
Der Wahlkampf für die Präsidentenwahl stand unter dem Eindruck der Enthüllungen der «Panama Papers» über geheime Briefkastenfirmen in Steuerparadiesen, die im April Ministerpräsident Sigmundur David Gunnlaugsson zum Rücktritt zwangen.
Der isländische Regierungschef war unter Druck geraten, nachdem sein Name im Zusammenhang mit einer Briefkastenfirma auf den britischen Jungferninseln aufgetaucht war. Auch Grimsson war in Bedrängnis, da seine Frau Verbindungen zu Offshore-Firmen sowie Konten auf den Britischen Jungferninseln hatte. Der 73-Jährige stellte sich nach 20 Jahren im Amt daher nicht mehr zur Wahl.
Das Ansehen der politische Elite hatte bereits stark gelitten durch die Finanzkrise 2008, die das kleine Land an den Rand des Ruins gebracht hatte. Bei der diesjährigen Präsidentenwahl kam der frühere Ministerpräsident Davíd Oddsson nur auf 13 Prozent der Stimmen. «Der Repräsentant der alten Ära wurde zurückgewiesen, die Leute schauen in die Zukunft», sagte ein Politikwissenschaftler.
Neue Verfassung versprochen
Der isländische Präsident hat weitgehend repräsentative Funktionen und gilt als Garant der Verfassung und der Einheit des Inselstaates. Jóhannesson sprach sich im Wahlkampf dafür aus, die Verfassung zu verbessern oder sie durch eine neue zu ersetzen. Die derzeitige Verfassung wurde 1944 nach der Unabhängigkeit Islands von Dänemark verabschiedet. Eine Reform gilt seit langem als notwendig.
Die Wahl am Samstag wurde auch überschattet vom Beschluss der Briten zum Austritt aus der EU. Für Jóhannesson wie für die Mehrheit der 334'000 Isländer kommt ein EU-Beitritt ihres Landes nicht in Frage. Die isländische Mitte-Rechts-Regierung hatte im vergangenen Jahr die von der linken Vorgängerregierung 2009 eingereichte Bewerbung um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zurückgezogen. (sda/afp/dpa)