In Spanien hat am Sonntag eine Parlamentsneuwahl begonnen, die unter dem Eindruck der Brexit-Entscheidung in Grossbritannien steht. 36.5 Millionen Wahlberechtigte waren zum zweiten Mal innerhalb gut eines halben Jahres zur Stimmabgabe aufgefordert.
Die Neuwahl war notwendig geworden, nachdem die grossen Parteien nach dem Urnengang am 20. Dezember 2015 keine Regierungskoalition hatten bilden können. Die Wahllokale öffneten um 0900 Uhr (MESZ).
Nach allen Umfragen dürfte sich allerdings auch diesmal keine klare Mehrheit ergeben. Die konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy dürfte aus der Wahl erneut als stärkste Kraft hervorgehen, die absolute Mehrheit aber weit verfehlen.
Die Linkspartei Podemos (Wir können) hoffte darauf, mehr Sitze zu gewinnen als die Sozialisten (PSOE). Die möglichen Auswirkungen des Brexits auf das Wahlergebnis waren unklar. Die Führer der grossen Parteien betonten, diesmal müsse eine Regierungsbildung auf jeden Fall gelingen. Eine zweite Neuwahl wurde ausgeschlossen.
Noch in letzter Minute hatten die konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy und die Sozialisten (PSOE) von Oppositionsführer Pedro Sánchez versucht, sich als Faktoren der Stabilität zu präsentieren, in der Hoffnung, dadurch Stimmen besorgter Wähler zu erhalten.
Rajoy nutzte die Brexit-Entscheidung der Briten zu einer Spitze gegen die Linkspartei Podemos (Wir können), die für ein Referendum über eine Trennung Kataloniens von Spanien eintritt. «Volksabstimmungen sollte man nur abhalten, wenn es unbedingt nötig ist», sagte der seit Dezember geschäftsführende Regierungschef nach Medienberichten vom Samstag. «Man darf die Verantwortung für schwere Entscheidungen nicht auf die Bürger abwälzen.»
Historischer Wechsel möglich
Podemos-Spitzenkandidat Pablo Iglesias entgegnete unterdessen am Samstag, Spanien stehe möglicherweise vor einem «historischen Wechsel».
Der 37-jährige Politologe vertrieb sich den sogenannten «Tag des Nachdenkens» mit Fussball- und Basketballspielen mit Parteikollegen in der Madrider Universidad Complutense und sagte vor Journalisten, er blicke der Wahl ruhig entgegen. Ein Abkommen mit den Sozialisten halte er diesmal für möglich.
Die Regierung teilte am Samstag mit, man rechne am Sonntag schon kurz nach 22:30 Uhr (zweieinhalb Stunden nach Schliessung der Wahllokale also) mit «nahezu endgültigen Ergebnissen». Für die Wahl sei alles bereit, versicherte Kommunikations-Staatssekretärin Carmen Martínez Castro am Samstagabend.
Im Dezember hatte Rajoys PP zwar gewonnen, die absolute Mehrheit aber verloren. Rajoy fand danach keinen Bündnispartner. Auch Sozialisten-Chef Sánchez scheiterte trotz eines Regierungspaktes mit den liberalen Ciudadanos (Bürger) beim Versuch der Bildung einer Regierung.
Die Sozialisten müssen laut Umfragen nun sogar befürchten, hinter der aufstrebenden Podemos auf Platz drei zurückzufallen. Iglesias schloss für die Neuwahl ein Bündnis mit der Vereinten Linken (IU), das ihr deutlich mehr Sitze einbringen dürfte. (sda/dpa)