Keine Sekte will eine Sekte sein. Logisch. Wer das absolute Heil verkündet und glaubt, im Besitz der letzten Wahrheit zu sein, ist in der eigenen Wahrnehmung keine Sekte.
Pech nur, dass es keine Wahrheit gibt. Und doof auch, dass das von Menschen erfundene Heil eine Projektion ist. Wenn da Gott oder die erleuchteten Götter nicht wären, auf die sich die meisten Sekten berufen.
Die göttlichen Wesen sind schliesslich allwissend und allmächtig. Wer sich auf sie beruft, spricht also auch im Namen der Wahrheit. Nur: Noch niemand hat den allwissenden Gott gesehen oder authentische Botschaften von ihm empfangen. Gott bleibt also eine Spekulation.
Wer ehrlich zu sich ist, muss mit der Erkenntnis leben, dass es womöglich keinen lieben Vater gibt, der schützend seine Hand über uns legt, uns vor schweren Krankheiten bewahrt und uns nach dem Tod in seinem schönen Himmel empfängt.
Diese Erkenntnis ist schmerzhaft. Doch solche Schmerzen sind es, die die Sehnsucht nach Gott nähren.
Zurück zu den Sekten, die keine sein wollen. Sie verteidigen sich mit dem Argument, das Wort Sekte stamme von secta – abspalten.
Tatsächlich gab es früher neben den Weltreligionen praktisch nur Splittergruppen, die auf Konfrontation mit der Mutterkirche gegangen waren und sich «reformiert» oder abgespaltet hatten.
Das bekannteste Beispiel liefert der Reformator Luther, der aktuell gefeiert wird. Er war vom Personenkult und dem Ablasshandel der katholischen Kirche angewidert und gründete eine Gegenbewegung.
Diese als Sekte zu bezeichnen, wäre allerdings falsch. Abspaltungen leiten meist fundamentalistische Gläubige ein, die mit den Anpassungen an den Zeitgeist nicht einverstanden sind. Zum Beispiel die unzähligen Freikirchen, die man auch als christliche Splittergruppen mit sektenhaften Aspekten bezeichnen kann.
In den letzten rund 50 Jahren haben aber Hunderte von «Religionsgründern» und Gurus neue religiöse und spirituelle Gruppen gegründet, die keine Abspaltungen sind. Es handelt sich bei der Mehrheit um Psychosekten wie Scientology oder VPM (Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis) und esoterische Gruppen.
Obwohl die meisten ausgeprägte sektenhafte Tendenzen zeigen, sehen sie sich ebenfalls nicht als Sekte. Sie seien keine Abspaltungen und somit keine Sekte, rechtfertigen sie sich.
Doch: Der Begriff Sekte leitet sich nicht nur von secta ab, sondern auch von sequi, also Folge, Nachfolge. Eine Gruppe kann also auch eine Sekte sein, wenn sie einer Idee oder Person folgt. Und da es keine religiöse Gruppe ohne Führungsfigur gibt, die das angebliche Heil vermittelt, trifft die Definition von Sekte auch auf die meist synkretistischen Neugründungen zu.
Alles Sekte oder was? Ja, fast alles Sekte, ob Abspaltung oder guru-zentrierte Gemeinschaft. Ausserdem wird der Glaube an einen absoluten Gott problematisch, ist er doch lediglich eine Hypothese. Deshalb laufen religiöse oder pseudoreligiöse Gemeinschaften, die an eine absolute Wahrheit glauben, immer Gefahr, sektenhafte Aspekte zu kultivieren.
Ich würde den Begriff Sekte noch ausweiten: Konsumenten werden oftmals mit quasi sektenartigen Methoden bei der (Geld-) Stange gehalten. Guck nur mal an einem Samstag in eine beliebige Elektronik Abteilung, allen voran Apple, an. Oder Fussball Fans. Oder eine Parteiversammlung. Verschwörungstheoretiker.
Wir Menschen sind Rudeltiere, suchen Anerkennung und Gleichgesinnte. Die Frage dabei ist, wie absolut unser Weltbild ist sowie wie wir mit nicht-Rudelmitglieder umgehen.
Ist alle 'draussen' bedrohlich oder eine Inspiration.