Die Eröffnungsfeier erinnert an eine Ouverture von Olympischen Spielen en miniature. Es sind ja nicht mehr als 150 sondern bloss 18 teilnehmende Nationen, deren Flaggen ins Stadion getragen werden. Aber der Rahmen stimmt. Martialischer Sound, Lichtspiele und der TV-Moderator Nik Hartmann, der vor Begeisterung überbordet.
Es ist ein gelungener Auftakt zu einem wundersamen Sportfest. Zur wahrscheinlich erstaunlichsten WM, die wir in der Schweiz je veranstaltet haben. Ins Bild passt, dass auch Zugs Stadtpräsident Dolfi Müller etwas sagen darf. Müller ist ein Sozialist. Adrett steckt das feuerrote Einstecktuch in der Brusttasche. Mit ziemlicher Sicherheit ist ihm gar nicht bewusst, dass mit dieser Streethockey-WM mehr als hundert Jahre nach der Gründung seiner SP die ersten Welttitelkämpfe nach den wahren sozialistischen Grundsätzen Wirklichkeit geworden sind.
Selbst die Kommunisten haben es in den Zeiten des realen Sozialismus nie geschafft, was die Zuger in diesen Tagen vollbringen: Eine WM fürs Volk. Gratiseintritt. Sogar die Sowjets konnten es einst nicht lassen, dem werktätigen Volk bei Weltmeisterschaften ein paar Kopeken Eintrittsgeld abzuknöpfen.
Aber nicht der «Rote Dolfi» hat dieses Wunder einer Gratis-WM in Zug möglich gemacht. Sondern ein Zuger Erzkapitalist. Der Gartenbauer Maurus Schönenberger. Im Vergleich zum ihm verblasst selbst die legendäre Gärtner- und GC-Mäzenen-Dynastie der Familie Spross.
Maurus Schönenberger ist Präsident der Oberwil Rebells, die acht der letzten neun Schweizermeister-Titel im Streethockey geholt haben. Er amtiert als OK-Chef der WM und sein Trainer Tibor Kapanek (er beschäftigt ihn in seiner Firma als Gärnter) ist auch Nationaltrainer. Wer den Reichen und Mächtigen in Zug die Hecken schneidet, die Tulpen-Beete düngt und die Rosen pflegt, findet auch einen Weg in ihre Herzen.
Globale Unternehmen mit Sitz in Zug wie der Chemie-Gigant Sika und der Rohstoff-Titan Glencore alimentieren diese WM und finanzieren ein Budget von sage und schreibe zwei Millionen Franken. Deshalb ist es möglich, freien Eintritt zu gewähren und drum herum ein Party-Rahmenprogramm (u.a. mit Pegasus, Oesch's die Dritten und Beatrice Egli) zu bieten.
Die Rechnung geht auf. Zum Startspiel am Freitag gegen die Bermudas (die Schweiz gewinnt mit 1:0) sind bereits weit über 4000 Fans gekommen. Am Sonntagnachmittag könnte die Arena gegen Kanada (14 Uhr) voll werden.
Streethockey bietet beste Unterhaltung. Wer vom Eishockey kommt, denkt politisch unkorrekt: «Wie Frauenhockey. Aber taktisch besser und weniger Fehlpässe.» Wer politisch korrekt ist, sagt: «Eishockey mit angezogener Handbremse.» Und bald zieht dieses Spiel den Betrachter in den Bann. Auf einem Eishockeyfeld wird in Turnschuhen mehr oder weniger nach Eishockeyregeln mit Hockeystöcken und einem roten Ball auf ein Eishockeytor gespielt.
Weil das Gleiten und die explosive Beschleunigung auf Schlittschuhen nicht möglich sind, wirkt das Spiel langsamer. Aber es ist intensiv und taktisch enorm anspruchsvoll. Weil Laufen anstrengender ist als Gleiten, gilt Streethockey als anstrengender als Eishockey. Das bestätigen Eishockeyspieler nach einem Street-Hockeyspiel immer wieder. Es muss sogar mehr gelaufen werden als beim Fussball.
Und was dem «Roten Dolfi» sicherlich gefällt: Der Zusammenschluss aller Proletarier aller Länder, das Ziel der Sozialistischen Internationale wird ausgerechnet in Zug, einem der kapitalistischsten und reichsten Stadtstaaten der Welt endlich Wirklichkeit. Die Street-Hockeyspieler sind ja alles Amateure. Also Sport-Proletarier. Die Zulassungsregeln sind locker: Ein Pass ist nicht nötig. Eine Aufenthaltsgenehmigung oder der Nachweis, dass Vater oder Mutter aus dem betreffenden Land stammen, reicht. Die Landesgrenzen sind überwunden und Nationalismus spielt in kaum einem anderen Sport eine so nebensächliche Rolle.
Streethockey interessiert seit jeher Hockeystars. Raphael Diaz und Damien Brunner sind am ersten Tag auch im Stadion. Und ich sehe einen Bären mit Rastalocken. Ist das nicht … nein, das kann nicht sein! Aber er ist es: Georges Laraque. 38 Jahre alt, 192 cm lang, 140 kg schwer. Gegen ihn sind selbst Brunner und Diaz nur «Bretzelibuebe».
Der «Schorsch» hat seine Eishockey-Karriere vor fünf Jahren beendet und gilt als einer der härtesten NHL-Spieler aller Zeiten – aber auch als ein Gentleman. Er spricht sanft wie ein Engel und strafte auf dem Eis wie ein zorniger Gott.
«Schorsch, was machst Du bloss in Zug?» Er grinst und erzählt, dass er Haiti coacht. Offiziell ist er zwar nur als Assistenz-Coach gemeldet. Aber klar ist, dass alle nur auf ihn hören. «Meine Eltern stammen von dort. Unsere Spieler haben haitianische Wurzeln, leben aber alle in und um Montréal. Die meisten sind meine Kumpels und wir bezahlen die Reise aus eigener Tasche.» Spielen könne er wegen Kniebeschwerden leider nicht mehr.
Das Bedauern des Kanadiers darüber, dass er nur coachen und nicht spielen kann, hält sich indes in Grenzen. «Im Streethockey gibt es ja keine Goons …» Das erste Spiel hat Haiti gegen Italien 1:4 verloren. Der glänzenden Partylaune Laraques tut es keinen Abbruch. Und ich frage mich: Trifft der Rasta-Bär wohl unseren Schlagerstar Beatrice Egli?