«Goldbugs» (Goldkäfer) werden diejenigen genannt, die an das gelbe Metall glauben. Der Übername ist nicht als Kompliment gedacht. Der typische Goldkäfer ist ein älterer, konservativer Herr, der die österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich Hayek verehrt und dem «Sadomonetarismus» huldigt. Pausenlos jammert er über die Staatsverschuldung und permanent will er sparen, vor allem bei den Sozialausgaben.
Investitionen in Gold haben zudem keinen volkswirtschaftlichen Nutzen. Sie erhöhen die Produktivität in keiner Art und Weise. Es handelt sich vielmehr um eine Art mystischen Glauben an die Alchemie. John Maynard Keynes, der bedeutendste Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, bezeichnete Gold denn auch als «barbarisches Relikt».
Was wir derzeit erleben, kann man jedoch als späte Rache der Goldkäfer bezeichnen. Der Preis des gelben Metalls ist in den vergangenen Monaten geradezu explodiert, von 1700 Dollar pro Feinunze auf derzeit über 2300 Dollar pro Feinunze. Experten halten eine Steigerung von bis zu 4000 Dollar pro Feinunze in absehbarer Zeit für möglich.
Es gibt vier Gründe für den Höhenflug des Goldes. Hier sind sie:
Trotz Lockdown und zerbrochenen Lieferketten konnte eine Depression als Folge der Covid-Krise vermieden werden. Eine unerwünschte Nebenwirkung hält sich jedoch hartnäckig. Die Inflation hat sich zwar deutlich abgeschwächt, liegt jedoch vielerorts immer noch über der 2-Prozent-Marke, welche für die Zentralbanker als Richtschnur gilt.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich das rasch ändern wird. Die amerikanische Wirtschaft boomt. Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wird diesen Boom weiter antreiben. Es herrscht ein Mangel an Facharbeitern. Die Babyboomer, die mit reichlich Geld in Rente gehen, geniessen ihren Lebensabend in vollen Zügen und heizen so den Konsum an. Gold ist der klassische Schutz vor Inflation. Deshalb ist es derzeit auch so begehrt.
Das Wirtschaftswunder in China hat unter anderem dazu geführt, dass die Bank of China ihre Tresore mit amerikanischen T-Bonds vollgestopft hat. Das ändert sich nun. Die Chinesen erleben derzeit, dass im Westen die russischen Vermögen eingefroren und möglicherweise gar konfisziert werden. Das macht auch Peking nervös. «Raus aus dem Dollar, rein ins Gold», lautet daher die Devise der Chinesen.
Der Höhenflug des goldenen Metalls macht den Wechsel doppelt attraktiv. Am Shanghai Futures Exchange sind die Futures-Positionen der Händler geradezu explodiert. Futures sind Derivate, die den Erwerb eines Vermögenswertes zu einem abgemachten Preis ermöglichen.
Der Krieg in der Ukraine hat den chinesischen Run aufs Gold ausgelöst. «Man kann sich leicht vorstellen, dass die Spannungen im Nahen Osten diesen Trend noch verstärken werden», stellt Rana Foroohar in der «Financial Times» fest.
Die USA haben nach wie vor ein massives Defizit in ihrer Leistungsbilanz. Sollte Donald Trump wieder Präsident werden, will er deshalb einen generellen Strafzoll von zehn Prozent einführen. Auch die Biden-Regierung will die Importe möglichst reduzieren, allen voran diejenigen aus China. Ein schwacher Dollar hilft bei diesen Bemühungen, er verteuert die Importe und verbilligt die Exporte. «Es würde nicht überraschen, dass sich der Dollar abschwächt, unabhängig davon, wer ins Weisse Haus einziehen wird», stellt Foroohar fest. Um den Wertverlust des Greenback zu kompensieren, flüchten daher viele ins Gold.
Die Bewältigung der Covid-Krise hat die vielerorts meist schon hohe Staatsverschuldung noch mehr in die Höhe schiessen lassen. Das erhöht die Gefahr, dass diese Schulden dereinst «monetisiert» werden, will heissen, mit der Gelddruckerpresse der Notenbanken beglichen werden. Das wiederum erhöht die Inflationsgefahr, und das wiederum macht Gold noch attraktiver.
Zurzeit entwickelt sich die Weltwirtschaft eigentlich besser als erwartet. Selbst in Europa hellt sich der Konjunktur-Himmel auf. «Wir können klare Zeichen einer Erholung feststellen», erklärte Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, vergangener Woche.
Langfristig hingegen verdüstern sich die Aussichten. Kristalina Georgieva, Direktorin des Internationalen Währungsfonds, befürchtet gar, dass wir auf «lauwarme Zwanzigerjahre» zusteuern. Will heissen, auf eine Dekade mit dem schwächsten Wachstum der Weltwirtschaft seit langem.
Der Grund für diesen Pessimismus ist ein toxischer Mix aus schwachem Wachstum der Produktivität, einer zunehmenden Abschottung der nationalen Volkswirtschaften und den geopolitischen Spannungen.
Die Zukunft sieht trübe aus. Donald Kohn, ein ehemaliger Ökonom der US-Fed, der heute am Brookings Institute tätig ist, erklärt gegenüber der «Financial Times»: «In den Neunziger- und den Nullerjahren gab es eine Reihe von positiven Angebots-Schocks, der Fall des Eisernen Vorhangs, Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation etc.» Solche Ereignisse sind derzeit nicht in Sicht.
Die Goldkäfer waren lange das Gespött der Ökonomen-Zunft. Ihre immer und immer wiederholten Warnungen vor Hyperinflation und Börsen-Crash haben sich bisher nie erfüllt. Derzeit verspüren sie jedoch Rückenwind. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist allerdings zu hoffen, dass ihr Triumph von kurzer Zeit sein wird.