Sie nennt sich «Friedensjournalistin» und huldigt Wladimir Putin. Alina Lipp ist im deutschsprachigen Raum die wohl bekannteste Ukraine-Krieg-Bloggerin auf Kreml-Kurs. Jetzt ist sie verschwunden.
Damit ist sie nicht die Erste. Ein Kollege verschwand im April 2024 ebenfalls – und wurde danach tot aufgefunden – ein anderer hatte einen tödlichen Töff-Unfall. Noch ein weiterer soll sich im Februar das Leben genommen haben, nachdem er über russische Verluste berichtet hatte. Eine Übersicht.
Alina ist ein Spross der deutsch-russischen Freundschaft: Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Russe. Die beiden lernten einander kurz vor dem Mauerfall kennen. Alina kam 1993 in Hamburg zur Welt.
Nach ihrem Abitur zog es Alina zum ersten Mal nach Russland, wo sie die Sprache lernen wollte. Zurück in Deutschland engagierte sie sich in der Partei Bündnis 90/Die Grünen im Umweltausschuss von Hannover und studierte an der Universität Hildesheim Umweltsicherung.
Für ihre Bachelorarbeit folgte Alina ihrem Vater auf die besetzte Krim, wo dieser seit 2018 lebt – als Selbstversorger. Dort startete sie 2019 ihren YouTube-Kanal «Glücklich auf der Krim».
Gemäss ihrer Autorenseite auf der Bloggerseite «Frische Sicht», deren Gründer während Corona an Querdenker-Demos war, lebte sie nach Abschluss des Bachelors wieder in Deutschland und schloss einen Master in Nachhaltigkeitswissenschaften ab. Bevor es sie 2021 definitiv auf die besetzte Krim verschlagen hat.
Seit dem Krieg berichtet Lipp aus dem Konfliktgebiet. Sie sagt, sie sei «gegen Ungerechtigkeit» und wolle «die andere Seite» abbilden. Sie nennt sich «Friedensjournalistin». Gleichzeitig soll sie als offizielle Kriegskorrespondentin für den russischen staatlichen Medienkonzern «Rossiya Segodnya» tätig sein, wie sie selbst sagt.
Alina Lipps Hauptmedium ist Telegram. Über den Kanal «Neues aus Russland» liefert sie ihren über 180'000 Abonnentinnen und Abonnenten ihre Sicht auf den Krieg. Normalerweise postet sie Beiträge, die sie selbst verfasst oder von anderen Kanälen weiterleitet. Unter den deutschen und russischen Beiträgen befinden sich Videos und Posts, die die ukrainische Armee diskreditieren, den russischen Angriffskrieg positiv darstellen oder Putin-Propaganda zeigen.
Ihren Kanal fütterte sie normalerweise mehrmals täglich, bis sie am 15. April einen Kurzurlaub ankündigte.
Es war also nicht überraschend, dass man die darauffolgenden Tage nichts von ihr hörte. Dass ihr Kurzurlaub nun allerdings schon über eine Woche dauert, lässt angesichts anderer verschwundener Kriegsblogger aufhorchen. Der deutsche Journalist Jan-Henrik Wiebe schreibt auf X:
Alina Lipp ist selbst - so wie der Amerikaner Russell Bentley - keine Muttersprachlerin und spricht Russisch mit deutlichem Akzent. Dass auch sie irgendwann in die Fänge einer paranoiden russischen Einheit gelangt, ist nicht unwahrscheinlich. 3/
— Jan-Henrik Wiebe (@jan_wiebe) April 22, 2024
Doch was war denn da mit Russell Bentley, den Wiebe in seinem Post erwähnt?
Russel Bentley war neben Alina Lipp einer der bekanntesten ausländischen Kreml-Blogger. Lipp und Bentley zeigten sich denn auch häufig gemeinsam und reposteten ihre Beiträge gegenseitig.
Bevor Bentley für Putin Propaganda verbreitete, sass er wegen Drogendeals in den USA im Gefängnis.
Am 12. April postete Alina Lipp auf Telegram eine Vermisstenmeldung – gesucht wurde eben Russell Bentley, der den Spitznamen «Texas» trug:
Lipp beruft sich bei ihrem Post auf die Pressestelle der selbst ernannten Volksrepublik Donezk (DNR), die am 12. April eine Suchmeldung nach Bentley herausgab:
Ob der Aufenthaltsort von Bentley den Russen wirklich so unbekannt war, ist schwer zu sagen. Denn drei Tage nach der Veröffentlichung der Suchmeldung der DNR, am 15. April, erklärte Russell Bentleys Frau, Lyudmila Bentley, auf dem russischen Facebook-Pendant VK, dass Bentley von russischen Soldaten der 5. Panzerbrigade «brutal festgenommen» worden sei und nun «illegal festgehalten» werde. Der Telegram-Kanal Astra ergänzte, Bentley sei verschwunden, als er die Folgen des ukrainischen Angriffs auf eine Militäreinheit filmte.
Vier Tage später, am 19. April, wurde der Tod von Bentley durch die paramilitärische, russische Volksmiliz «Batalon Wostok» über die sozialen Medien bestätigt. Auch Alexander Kofman, Sprecher der Volksrepublik Donezk, erklärte auf Telegram, dass Russell Bentley tot sei. Kofmann hatte die Angabe aus erster Hand von Lyudmila Bentley, wie er auf Telegram schrieb:
Den Post hat er später wieder gelöscht.
Seither steht der Verdacht im Raum, dass Bentley sterben musste, weil ihn russische Soldaten aufgrund seines ausländischen Akzentes für einen ukrainischen oder amerikanischen Spion hielten. Der ehemalige DNR-Sicherheitsminister Alexander Khodakowsky forderte eine Untersuchung der gemeldeten Entführung und mutmasslichen Ermordung Bentleys sowie eine «vorbildliche Bestrafung» der Täter, wie das «Institute for the Study of War» (ISW) schreibt – die Nachricht von Khodakowsky wurde mittlerweile gelöscht.
Nicht nur Bentley, sondern auch andere russische Militärblogger starben in diesem Jahr – einer wohl bei einem Unfall nur wenige Tage nach dem Amerikaner. Ein anderer soll sich selbst erschossen haben, nachdem er Verlustzahlen preisgegeben hatte, die dem Kreml wohl nicht gefallen haben.
Bei einem Verkehrsunfall kam am 20. April 2024 «Misha from Canada» ums Leben. Auch er, der mit bürgerlichem Namen Michail Kasperow hiess und aus Russland stammte, lebte auf der besetzten Halbinsel Krim. Seit Kriegsbeginn zeichnete er sich als enthusiastischer Putin-Propagandist aus und sammelte Gelder für das russische Militär.
Am 20. April machte die Meldung die Runde, dass Kasperow bei einem Töff-Unfall gestorben sei.
Kasperow unterhielt mehrere YouTube-Kanäle. Sein grösster Kanal hat über 130'000 Follower. Bis zu seinem Tod war Kasperow Kreml-treu. Unter seinem letzten Video heisst es in der Beschreibung: «Verschiedene Skeptiker und alle möglichen Liberalen mögen sagen: ‹Wozu das alles? Warum kann das russische Verteidigungsministerium die Truppen nicht mit allem versorgen, was sie brauchen?›» Kasperow beantwortet die Frage so:
«Misha from Canada» stand also bis zum Schluss hinter dem Angriffskrieg des Kreml.
Etwas verdächtiger erscheint der Fall von Andrey Morozow, der unter dem Pseudonym Murz als russischer Militärblogger berichtete und zuletzt in der 4. motorisierten Schützenbrigade diente. Bereits ab 2014 kämpfte er im Donbass-Krieg und war unter anderem in der Schlacht von Debalzewe dabei – eine der blutigsten Operationen des Krieges im Donbass vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Er starb im Februar 2024.
Auf seinem Telegram-Kanal «Нам пишут из Янины» («Sie schreiben uns aus Janina») erreichte er über 100'000 Menschen, mit denen er seine Gedanken teilte. In seinen Posts äusserte er sich üblicherweise sehr kritisch gegenüber der russischen Regierung und beschuldigte diese, zu wenig für den Sieg zu tun. Den Krieg per se stellte er jedoch nie infrage.
In seinen letzten Posts kündete Morozow am 21. Februar 2024 seinen Suizid per Erschiessen an. Er bat darum, über seinen Tod «nicht traurig zu sein». Gleichzeitig schreibt er in dieser Suizidankündigung davon, gezwungen worden zu sein, einen bestimmten Post auf seinem Kanal zu entfernen. Die angeblichen Erpresser bezeichnete er als «politische Prostituierte».
Das Kreml-kritische Online-Portal Meduza geht davon aus, dass es sich um denjenigen Beitrag handelt, in dem Morozow nur wenige Tage vor der Abschiedsbotschaft, am 18. Februar 2024, die Einnahme der Stadt Awdijiwka in der Region Donezk durch russische Truppen kommentierte. Er schreibt darin, dass während dieses einen Angriffes 16'000 Russen gefallen und 300 gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden seien.
Russische Propagandisten hielten dem entgegen, dass es sich bei den Zahlen von Morozow «eher um Fälschungen und Verleumdungen gegen das russische Verteidigungsministerium» handle, schrieb damals BBC Russian Service. Bis heute ist nicht geklärt, wie viele Soldaten bei der Einnahme von Awdijiwka tatsächlich starben. Allerdings vermutet auch das ISW, dass Russland bei Awdijiwka hohe Verluste zu verzeichnen hatte.
Am 20. Februar löschte Murz den Awdijiwka-Post. Gleichentags fand im Kreml ein Treffen zwischen Putin und dem russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu statt, wie Mediazona schreibt. Schoigu verkündete im Anschluss des Treffens die Einnahme der Stadt «mit minimalen Verlusten». Ob der Post von Murz den Kreml zu dieser Aussage gedrängt hat, ist nicht eruierbar.
Andrey Morozows Tod am 21. Februar 2024 wurde von mehreren anderen Kriegsbloggern bestätigt. «Russland ist meine Heimat», schrieb er in seinem Abschiedspost. Doch das Land sei von Arschleckern, Journalisten, die lügen, und Generälen, die Tausende Soldaten opfern, erobert worden. So könne er Russland nicht mehr dienen. Und dann ruft er noch in seiner Abschiedsnachricht dazu auf, die «ukrainischen Nazis so effizient wie möglich zu töten».