Lieber Georg
Schön, dass Sie zwischen dem vielen Müll aufsammeln noch etwas Zeit haben, mir zu schreiben. Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen danken. In den letzten Tagen habe ich mich für den Einsatz der KESB bedankt und den der Gynäkologen und heute ist die Müllabfuhr dran. Auch dies ein unterbewerteter Job, ohne den wir kaum anständig leben könnten.
Ich bin auch kein Fan der Street Parade. Letztes Jahr war ich zum ersten Mal etwas schauen und das hat mich dermassen mitgenommen, dass ich danach ein paar Antworten lang mit Bildmaterial von den diebenachtelnackten Frauen und Männern arbeiten musste, um das Ganze zu verdauen. In früheren Jahren habe ich mich immer davon gemacht und hätte mein Lieblingshotel noch ein freies Kämmerlein gehabt, ich hätte es auch in diesem Jahr getan. Aber so bin ich gezwungen, hier zu bleiben und das Wochenende auszusitzen.
Ob der Anlass überflüssig ist, weil ich nichts damit anfangen kann? Wohl kaum! Das wäre ja wirklich sehr überheblich. Eine Party, welche knapp eine Million Besucher anzieht, kann einfach nicht überflüssig sein. Und die 1,8 Millionen Franken Budget, welche dafür veranschlagt wurden, sind zu einer guten Hälfte dadurch gedeckt, dass man den Securitas-Mitarbeiter, der jeweils ab 22 Uhr unser Quartier vor Freierverkehr abgeschirmt hat, in dem er eine Schranke bediente, entlassen und sämtliche Schranken versuchsweise für ein halbes Jahr abgebaut hat. Ob ich das gut finde, ist auch hier wieder eine andere Frage. Ich persönlich hätte die freundlichen Nachtwächter der Streetparade gegenüber vorgezogen, aber mich hat ja keiner gefragt.
Ob ich deswegen über die Verteilung meiner Steuergelder klage? Wohl kaum! Mein Geld darf man gerne in Partys, Feuerwerken und anderen Dingen verpulvern, welche den Leuten Freude bereiten. Jeder einzelne Franken, der in eine lebensbejahende Sache investiert wird und nicht in Kriegsmaterial und Ähnlichem, macht mich mehr als glücklich.
Sie und ich gehören nicht zum Zielpublikum der Streetparade. Sonst würden wir jetzt nicht hier sitzen und schreiben. Aber meine Putzfrau tut es. Sie hat mir voller Stolz ihr Kostüm gezeigt und mich um einen Vorschuss für die Party gebeten. Sie freut sich seit Wochen auf diesen Tag. Und ganz viele andere Menschen auch, die von nah und fern angereist sind, um hier in sehr friedvoller Manier durch die Stadt zu tanzen.
Mag sein, dass Sie das Angesichts der Katastrophen dieser Tage als pervers ansehen. Ich tue es nicht. Im Gegenteil. Gerade in Zeiten wie diesen müssen wir tanzen und uns des Lebens freuen, so sehr wir können. Das würde auch Ihnen gut tun, mein lieber George. Weil Tanzen hat diese Welt schon immer zu einem besseren Ort gemacht und da dürfte das bisschen Happy-Droge und der überschaubare Abfall, der dabei konsumiert/respektive produziert wird, als harmlosen Kollateralschaden abgebucht werden.
Gehen Sie in Frieden und tanzen Sie mal wieder! Ihre Kafi.