Lieber Niklas
Wenn ich in meine Agenda schaue, dann sieht es fürs Auswandern leider ein bisschen schwarz aus. Heute Abend fahre ich meinen Sohn ins Klettern, morgen habe ich diverse Coachings und am Donnerstag moderiere ich einen Grossanlass für ein Reiseunternehmen. Wenn, dann vielleicht am Mittwoch, aber ich müsste spätestens am Donnerstag Vormittag wieder zu Hause sein. Das reicht für einen Sprung in den Schwarzwald in ein nettes Wellnesshotel, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob es das ist, was Sie meinen.
Ich weiss ob dem Frust, den Sie im Moment erleben. Auch ich musste heute Morgen etwas länger durch meine Küche tanzen, um ihn zu bodigen. Aber dann war auch wieder gut. Wir können jetzt die Köpfe hängen lassen und uns voll reingeben, in die Misere. Oder wir machen das genaue Gegenteil und erheben unsere Köpfe und gehen noch etwas aufrechter durchs Leben. Die letzten Wochen hat ein Angstregime die Menschen in diese feige Entscheidung getroffen. Abhauen wäre keinen Deut besser, nämlich mindestens so feige.
Ich bin dafür, dass wir zwei hierbleiben und Präsenz markieren, Eier beweisen. Dass wir mit einer Menschlichkeit durch unser Leben gehen, die der dumpfen Angst keinen Platz lässt. Dass wir einander die Hand reichen und uns in die Augen sehen. Und auch nicht wegschauen, wenn wir mit Traurigkeit oder Verlassensein konfrontiert sind.
Die Menschen, die den Weg zur Urne geschafft haben, haben eine Entscheidung getroffen. Diese hat mit meiner eigenen nichts gemein. Ich entscheide Tag für Tag, wie ich mein Leben gestalten will. Ob ich der Welt und ihren Menschen mit Mut und Offenheit begegne, oder mich lieber im Frust suhle. Diese Entscheidung steht mir offen und sie beginnt damit, wie ich mit meinen Mitmenschen umgehe. Schaue ich den Menschen, die um mich herum sind in die Augen, oder schaue ich lieber weg. Suche ich das Gespräch, oder verweigere ich die Auskunft, wenn man mich nach dem Weg fragt. Helfe ich der jungen Mutter mit dem Kinderwagen ins Tram, oder steige ich lieber eine Tür weiter ein.
Die politische Zukunft der Schweiz konnte ich gestern leider nicht in die Bahnen lenken, in der ich sie gerne gesehen hätte. Aber ich kann diese Welt im Kleinen zu einer besseren machen. Im Wissen darum, dass innovative Unternehmungen einen bottom-up Führungsstil pflegen und dass ich jegliche Veränderung und Verbesserung ganz allein bei mir selber einleiten kann. Und ja, mag sein, dass das alles recht cheesy klingt. Aber wahr ist es halt dennoch.
Ganz herzlich, Ihre Kafi.