Ohne Jesus lässt sich im christlichen Glauben kaum etwas bewegen. Der religiöse Heilsbringer ist vor allem in Freikirchen omnipräsent. In jeder Predigt und jeder Bibelstunde wird er mehrfach beschworen. Die Pastoren schliessen ihre Jesus-Sätze gern mit einem «Amen» oder «Halleluja» ab, um die Bedeutung des Sohnes Gottes zu unterstreichen.
Besonders beliebt sind Predigten, in denen Jesus als Wunderheiler auftritt. Das Stereotyp: Jesus hat Lahme und Blinde geheilt und sogar Tote zum Leben erweckt. Was er vor 2000 Jahren inszenierte, kann er auch heute noch bewirken, wird den Gläubigen suggeriert.
Die versteckte Botschaft ist problematisch und fördert die Indoktrination: Es gibt keinen besseren Glaubensbeweis als Wunderheilungen, die Jesus angeblich heute noch in Freikirchen bewirkt. Gläubige, die Zeugen von solchen «Wundern» geworden sind, werden tief ergriffen. Für sie bestehen fortan keine Zweifel mehr, dass Jesus definitiv der Sohn Gottes und allgegenwärtig ist. Und dass er den einzig wahren Glauben in die Welt gebracht hat. Das gilt auch für Gläubige, die Augenzeugen solcher «Wunderheilungen» sind.
Spezialist für solche Rituale ist der deutsche Pastor Georg Karl. Der Star in der Szene tingelt regelmässig durch den deutschsprachigen und englischen Raum und demonstriert, wie Jesus durch ihn Wunder bewirkt. Am vergangenen Samstag trat er im Schützenmattsaal auf dem Hirzel auf. Über seinen Auftritt schrieb er hinterher auf Facebook:
Ein junger Mann, der von einer Bekannten an die Veranstaltung eingeladen worden war, erlebte den Gottesdienst aber als inszenierte Show und dachte instinktiv an eine Sekte. Er hatte das Gefühl, dass die «Geheilten» Teil des Schauspiels gewesen seien. Es habe ihn an Tricks von Kartenspielern erinnert, bei denen vermeintlich unbeteiligte Passanten mit den Kartenlegern zusammenarbeiten und die ahnungslosen Mitspieler täuschen. Er habe sich extrem unwohl gefühlt.
Der Pastor sammelt die angeblichen Wunderheilungen wie Trophäen. Wer nach seinen Auftritten oder den Livestreams von einer Krankheit geheilt wird, kann ein Zeugnis ablegen und das vermeintliche Wunder an eine eigens dafür eingerichtete E-Mail-Adresse senden. So kann der Pastor bei seinen Predigten aus einem reichen Fundus an «Wunderheilungen» schöpfen und den Gläubigen eine Sehnsucht nach der eigenen Heilung von Krankheiten wecken. Kommt hinzu, dass die Geheilten überzeugt sind, in der besonderen Gnade Gottes zu stehen. Das ist das halbe Ticket für die Erlösung am Jüngsten Tag.
Auf seiner Homepage des Netzwerkes «Glory Life» listet Georg Karl die Zeugnisse der angeblichen Wunderheilungen nach 45 Kategorien auf. Die spektakulärsten sind «Krebs», «Tumor» und «Auferweckung vom Tod». Frei nach dem Motto: Für Jesus und Gott ist nichts unmöglich.
Eine Gläubige erlebte die Heilung so:
Eine Gläubige erlebte die Auferweckung vom Tod so: Sie erzählte ihrer Freundin von der Totenauferweckung. Später berichtete diese, dass sie im 5. Monat schwanger sei. Da beim Fötus keine Herztöne mehr auszumachen seien, müsse sie ihn am nächsten Tag auskratzen lassen. «Ich habe im Namen Jesus befohlen, dass das Kind lebt», schrieb die Anhängerin von Karl wörtlich. Am Abend habe ihr Mann «nochmal Leben in das Kind reingesprochen und dem Teufel befohlen, die Finger davonzulassen». Und siehe da, am anderen Tag wurden in der Klinik die Herztöne auf dem Ultraschall nachgewiesen.
Die Predigten von Georg Karl sind hochemotional. Im YouTube-Video mit dem Titel «Sofortige Wunder» sagt er:
Im Video «So machst du jetzt den Unterschied in dieser Welt» behauptet der Pastor: «Was die Ärzte nicht können, können die Engel Gottes im Namen Jesus bewerkstelligen.»
Wunderheilungen vorzugaukeln, wie dies Pastor Georg Karl tut, ist geistiger und religiöser Missbrauch. Mit seinen penetranten Predigten erzeugt er eine Massensuggestion. Er provoziert geschickt angebliche Wunderheilungen, die wohl hauptsächlich eingebildet sind. Die Gläubigen suchen die Gunst des «Wunderheilers», denn vor der Gemeinschaft die Absolution durch Georg Karl zu bekommen, ist wie ein Ritterschlag des Predigers und von Jesus. So werden die Gläubigen missbraucht und getäuscht.
Es ist zwar nicht auszuschliessen, dass sie in ihrer Euphorie viel Adrenalin ausschütten, das die Schmerzen vorübergehend betäubt. Wie es ihnen aber nach ein paar Tagen geht, interessiert den Pastor nicht. Hauptsache, sie bereicherten seine Show und gaben ihre Spende ab. Wer angeblich von Krebs geheilt wurde, dürfte besonders spendefreudig sein.
Georg Karl betreibt Demagogie nach allen Regeln der Kunst. Er fühlt sich auserwählt von Gott, Rechtgläubige von Freikirchen zu heilen. Die übrigen Christen kümmern ihn nicht. Ungläubige schon gar nicht. Sonst würde er in Spitäler gehen und die Patienten erlösen. Doch davon schreckt er wohl zurück, weil sonst seine Fake-Heilungen entlarvt würden.