Über 90'000 Euro (110'000 Franken) Schadensersatz muss ein Anwalt an eine ehemalige Mandantin zahlen – das hat das Landgericht Bonn entschieden. Als der Mann die Frau 2011 in einem Gerichtsverfahren vertrat, hatte er es versäumt, ihr eine E-Mail der Gegenseite weiterzuleiten. Die Nachricht war angeblich im Spam-Filter seines E-Mail-Postfachs gelandet. Das verspätete Weiterleiten führte dazu, dass Vergleichsverhandlungen zwischen der Frau und der Gegenseite scheiterten – die Frist zur Annahme eines Vergleichsvorschlags war bereits abgelaufen.
In Folge dieses Vorfalls hatte die Frau den Anwalt auf Schadensersatz verklagt. Das Landgericht Bonn kam im entsprechenden Verfahren zum Schluss, dass der Jurist seine anwaltlichen Pflichten verletzt habe. «Der Beklagte hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, weil er seinen Spam-Filter nicht täglich kontrolliert hat», heisst es im Urteil aus dem Januar 2014, das laut Heise Online erst jetzt veröffentlicht wurde.
Weil der Anwalt seine E-Mail-Adresse auf dem Briefkopf führt, stelle er sie als Kontaktmöglichkeit zur Verfügung, fand das Gericht. Er sei daher dafür verantwortlich, «dass ihn die ihm zugesandten E-Mails erreichen»: «Bei der Unterhaltung eines geschäftlichen E-Mail-Kontos mit aktiviertem Spam-Filter muss der E-Mail-Kontoinhaber seinen Spam-Ordner täglich durchsehen, um versehentlich als Werbung aussortierte E-Mails zurück zu holen.»
Das Gericht kritisierte den Anwalt ausserdem dafür, dass er die angeblich im Spamordner gelandete Nachricht auch dann nicht weiterleitete, als er per Telefonat von der E-Mail erfuhr – drei Tage, nachdem diese verschickt wurde. Seine Mandantin erfuhr schliesslich erst sechs Tage nach Fristablauf vom Inhalt der Nachricht. Nachdem der Vergleich nicht zustande kam, musste die Frau rund 285'000 Euro (350'000 Franken) an die Gegenseite zahlen.
In ihren ersten Einschätzungen halten einige Rechtsanwälte das Bonner Urteil für problematisch: «Folgt man dem Urteil, bedeutet dies, dass man den Spam-Filter auch gleich ausstellen kann», schreibt zum Beispiel Medienanwalt Tim Hoesmann auf seiner Website. (pma/mbö)