Digital
Schweiz

Dürfen Forscher Daten-Leaks wissenschaftlich auswerten?

Das Fremdgeh-Portal war 2015 von einem verheerenden Datendiebstahl betroffen. Hacker veröffentlichten 33 Millionen Nutzerdaten. Letztlich profitierte auch die Wissenschaft...
Das Fremdgeh-Portal war 2015 von einem verheerenden Datendiebstahl betroffen. Hacker veröffentlichten 33 Millionen Nutzerdaten. Letztlich profitierte auch die Wissenschaft...screenshot: watson

Sollen Forscher Daten-Leaks (wie Ashley Madison) auswerten? Das sagen zwei ETH-Fachleute

16.09.2021, 17:0005.11.2021, 09:34
Mehr «Digital»
Wie soll die Forschungswelt mit gehackten und geleakten Daten umgehen – ist es ethisch vertretbar, diese zu nutzen – und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Mit diesen Fragen beschäftigen sich zwei ETH-Forschende im Fachmagazin «Nature Machine Intelligence» (siehe Quellen).

Marcello Ienca und Effy Vayena, die sich an den beiden ETH Zürich und Lausanne mit Bioethik und der Ethik von Big Data befassen, schreiben in ihrem Fachartikel: Durch Hacks und Leaks verfügbar gewordene Datensätze könnten eine einzigartige und wertvolle Quelle für wissenschaftliche Arbeiten bieten. Es brauche aber eine klare ethische Rechtfertigung für die Verwendung dieser Daten.

Mit ihrem Fachartikel möchten die griechisch-schweizerische Bioethikerin und der italienischstämmige Bioethiker eine Debatte in der Wissenschaft zu diesem Thema anregen – insbesondere angesichts der derzeitigen Häufigkeit und des Ausmasses von Datenschutzverletzungen. Denn die rechtlichen und ethischen Grenzen zur Verwendung solcher Daten in der Forschung seien unscharf, bemängeln sie.

Warst du schon mal persönlich von einem Daten-Leak betroffen?

Gehackte Daten flossen in Studien

Im Jahr 2015 stahl eine Hacker-Gruppe die Daten von 33 Millionen Kundinnen und Kunden des Dating-Portals «Ashley Madison». Die Informationen sickerten in die Öffentlichkeit – und in die Forschung.

Mindestens drei auf diesen Daten beruhende Studien über Fremdgehen wurden daraufhin in Fachmagazinen publiziert, wie Ienca und Vayena ausführen.

Auch die WikiLeaks-Datensätze bildeten den Grundstein für wissenschaftliche Forschung. Etwa, um Modelle zur Konfliktvorhersage zu entwickeln.

Ebenfalls zeichnen die Forschenden nach, dass das moralische Dilemma der Verwendung von Daten illegalen Ursprungs weit zurückreicht. So entflammte beispielsweise in den frühen 1990er-Jahren eine Debatte über die ethische Zulässigkeit der Verwendung von Daten aus medizinischen Experimenten in Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Regimes.

Rechtmässigkeit allein reicht nicht aus

Die Autoren einer der Ashley-Madison-Studien wiesen zwar darauf hin, dass sie «die Verwendung der Daten mit vielen Personen, darunter auch Anwälten, besprochen haben, die bestätigen, dass die Daten für Forschungszwecke verwendet werden dürfen, da sie nun öffentlich zugänglich sind und für die Forschung auf die gleiche Weise genutzt werden können wie für die Presse.»

Sechs Vorschläge

Doch selbst wenn die Verwendung rechtmässig – oder zumindest nicht strafbar – sei, bleibe die Frage nach der Vereinbarkeit von guter Forschungspraxis, so die ETH-Forschenden. Denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden eine soziale Verantwortung und eine moralische Verpflichtung tragen. Ein Versäumnis in dieser Hinsicht könnte indirekten Schaden für den Einzelnen bedeuten, zum Verlust des öffentlichen Vertrauens in die Forschung führen oder das Ansehen einer wissenschaftlichen Institution gefährden.

Um dem entgegenzuwirken, präsentieren die ETH-Forschenden sechs Vorschläge zum Umgang mit solchen Daten.

  • Dazu gehört unter anderem, dass Wissenschaftler transparent angeben sollen, wie sie an die Daten gelangten.
  • Sie sollten ebenfalls nachweisen, dass der gehackte Datensatz eine einzigartige Informationsquelle darstelle, die nicht auf andere Art und Weise gesammelt werden könne.
  • Auch müsse gezeigt werden, dass die angedachte Forschung von hohem gesellschaftlichem Wert sei und der Nutzen die Nachteile klar überwiege.
  • Falls die Daten eine Identifizierung der betroffenen Personen zuliessen, brauche es zudem deren ausdrückliche und informierte Zustimmung.

Marcello Ienca und Effy Vayena betonen, dass die Forschungs- und Datenethik die analytischen Instrumente bieten würden, um die Debatte über den Umgang mit Daten illegalen Ursprungs zu lenken und um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken sowie die Ethik und Integrität der Forschung zu gewährleisten.

Sollen Forscher illegal geleakte Daten für wissenschaftliche Studien auswerten?

Quellen

(dsc/sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die durchschnittliche Frau bei «Ashley Madison»
1 / 8
Die durchschnittliche Frau bei «Ashley Madison»
Laut der online gestellten «Ashley Madison»-Kundeninformationen sind nur 8 Prozent der Nutzer weiblich. Ihr Alter liegt bei ... (Bild: Gemeinfrei)
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Daten-Schlamassel bei Facebook – 30'000 Schweizer betroffen
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
9 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
9
Phishing-E-Mails im Namen von Migros, Ikea und TCS: Nein, du gewinnst kein Dankesgeschenk
Obacht, Betrüger verschicken verschiedene Varianten von Phishing-E-Mails im Namen der Migros, von Ikea oder des TCS. Die Masche ist bekannt – und trotzdem funktioniert sie offenbar noch immer.

Ein Notfallset des TCS oder eine elektrische Zahnbürste von der Migros als Dankesgeschenk: Solche Preise kann man angeblich gewinnen, wenn man an einer kurzen Online-Umfrage teilnimmt.

Die Kriminellen versuchen die Empfänger mittels imitierter E-Mails im Namen bekannter Schweizer Unternehmen und Organisationen wie der Migros oder des Verkehrsclubs TCS zu täuschen. Sie wählen für ihre Betrugsmasche mit Vorliebe Unternehmen, die eine hohe Glaubwürdigkeit ausstrahlen.

Das Ziel ist natürlich nicht, den E-Mail-Empfängern vor Weihnachten etwas Gutes zu tun, «sondern an ihre persönlichen Informationen sowie Kreditkartendaten zu gelangen», wie die Kantonspolizei Zürich bereits Anfang Oktober warnte. Die Phishing-Welle läuft allerdings nach wie vor und dürfte erfahrungsgemäss vor den Weihnachtstagen ihren Höhepunkt erreichen.

Zur Story