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Interview

«Ich würde keinen Tesla mehr bestellen», sagt Doris Leuthard heute

La Conseillere Federale Doris Leuthard s'est rendue en voiture electrique, une Tesla, a la conference de presse sur la fluidite du trafic et sur les chantiers des routes nationales ce jeudi 2 avr ...
Doris Leuthard war Ende 2014 die erste Bundesrätin, die als Dienstwagen ein E-Auto von Tesla nutzte. Bild: KEYSTONE
Interview

«Ich würde keinen Tesla mehr bestellen»: Doris Leuthard über die Energiewende und neue AKW

Die alt Bundesrätin erklärt im Interview, welche Rolle die Unternehmen für die Energiewende spielen, wie sie heute über das AKW-Verbot denkt und was sie rückblickend anders machen würde.
14.07.2025, 09:5914.07.2025, 09:59
Patrik Müller, Florence Vuichard
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Doris Leuthard hat als Bundesrätin bis 2018 die Energiewende geprägt. Seither hat die 62-Jährige mehrere Mandate in der Wirtschaft inne – und sie engagiert sich beim Green Business Award. Als Jurypräsidentin bestimmt sie mit, welche Schweizer Unternehmen dafür ausgezeichnet werden, dass sie nicht nur wirtschaftlich erfolgreich sind, sondern auch ökologisch nachhaltig einen Mehrwert liefern. Wir treffen die frühere Parteichefin der Mitte, die damals noch CVP hiess, im Berner Hotel Bellevue, keine 100 Meter von ihrem früheren Departementsbüro entfernt.

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Doris Leuthard, ehemalige Bundesrätin, ist Jurypräsidentin beim Green Business Award.Bild: keystone

Sie scheinen von der Energiepolitik einfach nicht loszukommen ...
Doris Leuthard:
Politik mache ich keine mehr. Aber ich interessiere mich nach wie vor dafür, ob sich politisch festgesetzte Ziele umsetzen lassen. Gerade wenn es um Energie und Umwelt geht.

Ist es die Politik – also Parlament und Bundesrat – oder sind es die Unternehmen, die entscheidend für die Energiewende sind?
Wenn es ums Umsetzen geht, ist es immer die Wirtschaft. Diese hat den grössten Hebel. Es braucht Investoren, es braucht gute Geschäftsideen – und Unternehmerinnen und Unternehmer, die sie verwirklichen. Reden ist einfach, und Ziele hat man schnell mal gesetzt. Aber sie zu erreichen, das ist schwer. Darin ist die Schweiz im Energie- und Umweltbereich noch nicht so gut.

Sie setzen Ihre damalige Energiepolitik jetzt also mit anderen Mitteln fort.
Ich sehe jetzt die andere Seite. Der Bundesrat und das Parlament haben eine Regulierung erlassen, aber was passiert dann tatsächlich in der Wirtschaft? Wo haben wir es vielleicht nicht so gut gemacht? Wo gibt es Hindernisse? Die Forschung war immer zentral für die Energiepolitik.

Die Ziele der Energiewende sind seit Ihrem Rücktritt ins Wanken geraten. Die Politik hat gerade andere Prioritäten – zum Beispiel die Sicherheitspolitik.
Es sind langfristige Ziele. Die Reduktion des Energieverbrauchs sowie die Steigerung der Erneuerbaren bleiben zentral. Die erste Etappe der Energiestrategie sollte bis 2035 erreicht sein. Das Grundproblem ist nach wie vor: Wir haben in der Schweiz im Sommer zu viel Strom – eine Überproduktion – und im Winter eine Lücke sowie Versorgungsengpässe. Das bleibt ein Problem, solange wir keine Speicherlösungen haben.

«Batterien sind für kleine Haushalte eine Lösung; viele haben ja schon heute ein bidirektionales Elektroauto.»
Doris Leuthard

Glauben Sie noch an das Versprechen der grossen Speicherbatterie?
An das grosse Versprechen einer einfachen Lösung für alles glaube ich nicht. Es wird eine Vielzahl von Technologien brauchen. Batterien sind für kleine Haushalte eine Lösung; viele haben ja schon heute ein bidirektionales Elektroauto. In der Industrie hingegen sind Batterien wenig hilfreich. Um die Winterlücke zu schliessen, könnte die Windenergie einen Beitrag leisten. Da sind wir in der Deutschschweiz leider sehr skeptisch. Und dann gibt es immer noch Power to Gas.

Sie waren das erste Bundesratsmitglied mit Elektroauto.
Damit wollte ich auch zeigen, dass Batterieautos etwas bewirken können. Mobilität frisst einen Drittel unserer Energie.

Damals bestellten Sie einen Tesla, da war Elon Musk noch nicht so umstritten. Würden Sie das wieder tun?
Heute würde ich keinen Tesla mehr bestellen, sondern ein Elektroauto von einem anderen Hersteller (lacht).

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Dank Elon Musks negativen Schlagzeilen bereuen zahlreiche Käufer, ihre Elektroautos von Tesla erstanden zu haben.Bild: www.imago-images.de

Der Verkauf von Elektroautos stagniert. Nachhaltigkeit, Klimaziele, CO2-Reduktion oder Energieeffizienz sind in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt.
Bei der Energieeffizienz muss ich widersprechen. Gerade in Zeiten steigender Energiepreise hat jedes Unternehmen gemerkt, wie wichtig die Reduktion beim Verbrauch ist – auch aus ökonomischen Gründen. Aber beim Klima und den CO2-Zielen muss ich Ihnen recht geben. Das ist in den Hintergrund geraten. Das hat auch mit all den aufwendigen ESG-Reportings zu tun (Rechenschaftsberichte, mit denen Firmen ihre Nachhaltigkeitsbemühungen festhalten müssen, die Red.).

Beeinträchtigt das die Ziele des Green Business Award?
Wenn man sich nur nach dem richten würde, was gerade als «in» gilt, dann müsste man ständig seine Strategie ändern. Das wäre komplett falsch. Die Schweizer Industrie achtet sehr wohl auf Energie- und Ressourceneffizienz. Beim Green Business Award sehe ich jedes Jahr unglaublich viele Nominierte, die das auch als Geschäftsmodell erkannt haben und einen echten Beitrag zur Lösung der aktuellen Herausforderungen leisten wollen. Zudem sind die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten sehr reif und kritisch. Sie schauen auf die Verpackung, kontrollieren, woher ein Produkt kommt, und wünschen eine nachhaltige Produktion.​

Green Business Award
Seit 2019 zeichnet der Green Business Award alle Jahre ein Unternehmen aus, das einen ökologischen Impact mit wirtschaftlichem Erfolg verbindet. Nominiert sind heuer folgende 5 Unternehmen: Libattion (Energiespeicher für erneuerbare Energien), Everllence (Grosswärmepumpen, die ganze Städte mit Fernwärme versorgen), Medusoil (zementfreie, kohlenstoffarme Bindemittel zur Stabilisierung von Böden), Oxyle (PFAS-Vernichtung in Wasser) sowie Voltiris (Solarmodule für Gewächshäuser).

Der Sieger, der am 13. Februar 2026 bekannt wird, erhält ein Preisgeld von 25’000 Franken. Zusätzlich erhalten die drei Finalisten einen Zugang zu Impact Gstaad, einem Investoren-Netzwerk, in dessen Beirat unter anderem der Roche-Erbe André Hoffmann und der Klima-Professor Reto Knutti Einsitz nehmen. Präsidiert wird die Jury von alt Bundesrätin Doris Leuthard.

Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich? Ist sie noch die grüne Vorreiterin, die sie einst war?
Nein, und genau deshalb braucht es grüne Vorbilder. Führend sind heute die skandinavischen Länder und Holland. Die Schweiz hat Ränge verloren, gehört aber noch immer zum oberen Drittel.

Warum steht sie nicht besser da?
Wir haben innovative Unternehmen mit guten Technologien. Bei der Forschung und Entwicklung sind wir sehr gut positioniert. Aber viele Unternehmen sind noch sehr national ausgerichtet. Sie haben den internationalen Durchbruch noch nicht geschafft. Hier haben wir noch Luft nach oben. Da wäre auch der Staat gefordert, der sich heute auf die Unterstützung bei Forschung und Entwicklung beschränkt. Er könnte etwa solchen Unternehmen helfen, notwendige Bewilligungen oder Zugänge zu neuen Märkten zu erhalten. Mit dem Green Business Award und unserem Netzwerk können wir auch einen Beitrag leisten: Türen zu öffnen, damit Unternehmen die nötigen Investoren für ihre nächsten Wachstumsschritte finden.​

Eines der hochgelobten Schweizer Start-ups, das einst für den Green Award nominiert war, ist Climeworks. Doch nun stellt sich heraus, dass das Start-up seine Versprechen nicht einlösen kann. Schadet der Flop?
Firmen können auch scheitern. Das gehört zum Wirtschaftsleben. Aber es ist natürlich schade, dass Climeworks offenbar Probleme hat, denn die Technologie ist super, unbestritten einzigartig. Nur leider ist heute niemand bereit, einen so hohen Preis für die CO2-Reduktion zu zahlen. Ich hoffe noch immer, dass es das Unternehmen schafft.

Wenn Sie schauen, welche Unternehmen bei Ihnen eine Bewerbung eingereicht haben: Was ist die nächste grosse Herausforderung oder der nächste grosse Trend?
Ein grosses Thema ist der Abfall, das ist ein Megaproblem. Egal, ob wir von PFAS reden, also von Ewigkeitschemikalien, die von der Umwelt kaum oder gar nicht abgebaut werden können, oder von Mikroplastik oder von Bauschutt. In diesem Jahr ist zum Beispiel mit Oxyle ein Unternehmen nominiert, das PFAS im Wasser abbauen kann. Es gibt Unternehmen, die Bauschutt in den Kreislauf zurückbringen. Lange war er nur ein Kostenfaktor. Heute kann man daraus Metalle und andere Rohstoffe gewinnen, die einen Marktwert haben. Gleichzeitig wird dadurch der CO2-Ausstoss reduziert. Das sind Lösungen, die man unterstützen muss.

Die Schweiz feiert sich gerne als Recycling-Weltmeisterin.
Das sind wir nicht! Die Recyclingquote beträgt 50 Prozent. Der Mensch ist eben bequem, und Regulierung ist nicht immer die beste Lösung. Hier kann die Wirtschaft kreative, neue Wege entwickeln. Denn es kann ja nicht sein, dass wir jedes Jahr immer höhere Abfallberge produzieren.

Jetzt, wo Sie in die Unternehmen hineinhören: Wo sehen Sie Dinge, die Sie als Energieministerin rückblickend anders machen würden?
Da ist zum Beispiel die KEV, die kostendeckende Einspeisevergütung, die ich schon von meinem Vorgänger übernommen hatte und ein wenig angepasst habe. Die KEV ist gut gemeint, und sie hat auch viele Haushalte dazu motiviert, im eigenen Haus in erneuerbare Energien zu investieren. Aber: Diese Förderung bringt bei weitem nicht die geforderten, grossen Mengen an Erneuerbaren. Das würde ich heute anders machen.

Wie denn?
Die Holländer zum Beispiel haben ein System, bei dem der Stromzähler für jede gesparte oder selbst produzierte Kilowattstunde rückwärtsläuft. Das ist sehr einfach und anschaulich. Nur, in der Schweiz wäre das so simpel nicht möglich – sie hat über 600 Elektrizitätsunternehmen, die alle einen anderen Tarif und andere Gemeindeauflagen haben. Hier müsste der Bund bestimmen. Ich höre das auch von vielen Privaten, die investiert haben und frustriert sind, dass es sich nicht lohnt. Das ist nicht optimal gelöst.

«Man muss nur mit den Energieunternehmen reden: Es gibt schlicht niemanden, der in neue AKW investieren möchte.»
Doris Leuthard

Bei der KEV würden Sie es anders machen – und bei den AKW? Die Schweiz hat im Zuge von Deutschlands Entscheid den Atomausstieg beschlossen, war das ein Fehler?
Man darf jeden Entscheid hinterfragen, auch Entscheide des Bundesrats und des Stimmvolks. Veränderungen in der Welt und bei den Technologien zwingen uns dazu. Ich bin aber nach wie vor überzeugt, dass neue Kernkraftwerke nicht die Lösung wären. Man muss nur mit den Energieunternehmen reden: Es gibt schlicht niemanden, der in neue AKW investieren möchte. Die Preise für solche Anlagen sind in der Zwischenzeit noch mehr gestiegen. Ich kenne keine Investoren, die bereit sind, diese zu bezahlen.

Könnte sich das mit neuen Nukleartechnologien ändern?
Vielleicht gibt es dereinst kleinere Anlagen. Wir sind bei der Forschung dabei. Aber: Kernenergie ist Bandenergie. Im Sommer, wenn wir zu viel Strom haben, kommt noch Bandenergie dazu. Dann fallen die Preise zusammen. Im Winter hingegen kann zusätzliche Energie profitabel produziert werden.

Der Atomausstieg ist und bleibt für Sie also richtig?
Ich halte es nach wie vor für richtig, die AKW so lange zu betreiben, wie es möglich ist. Das haben wir besser gemacht als Deutschland, die sofort abgestellt haben. Aber neue Anlagen sind nicht nur wegen fehlender Investoren unrealistisch, sondern auch wegen der Endlagerung der Atomabfälle. Da gibt es noch immer keine Lösung, aber einen guten Vorschlag. Ebenso würden bei neuen AKW Probleme beim Stromnetz entstehen.

Energie, Europa, Zölle: Wenn Sie all die politischen Debatten und Herausforderungen sehen, gibt es da Tage, wo Sie gern wieder Bundesrätin wären?
Es gibt eine Zeit, in der man selbst in der Verantwortung steht, und eine Zeit, in der man zur Beobachterin wird. Das ist jetzt meine Rolle.​

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quelle: keystone / anthony anex
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94 Kommentare
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Scriptkiddy
14.07.2025 11:19registriert Juli 2020
Es ist schon eine riesen Sauerei, dass ich für s Einspeisen mit der Solaranöage 5Rp bekomme und der Anbieter verkauft den Strom dann für 25Rp im Dorf.
Ich weiss, dass die auch Kosten, aber wenn der Zähler 1:1 Rückwerts laufen würde, wäre der Solarausbau in 5Jahren erledigt und wir könnten uns aufs Speichern konzentrieren.
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