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Die Strompreise sinken – aber warum zahlen wir dann immer mehr?

«Produce and forget»: Fehlgeleitete Strategien machen den Strommarkt kaputt.
«Produce and forget»: Fehlgeleitete Strategien machen den Strommarkt kaputt.Bild: KEYSTONE
«Produce and forget»

Die Strompreise sinken – aber warum zahlen wir dann immer mehr?

Im Grosshandel sinken die Preise für Strom – in den letzten drei Jahren um rund ein Drittel. Für den Strom aus der Steckdose zahlen wir jedoch jedes Jahr ein bisschen mehr. Woher kommt diese paradoxe Situation?
06.09.2014, 09:3116.10.2014, 08:38
marc fischer
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Die Strompreise steigen im nächsten Jahr um rund 5 Prozent und ein durchschnittlicher Haushalt wird 931 Franken für seine Elektrizitätsversorgung zahlen müssen. Das hat der schweizerische Stromregulator Elcom am Donnerstag bekannt gegeben.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit, wie eine exklusive Auswertung von Elcom-Zahlen zeigt: In Wirklichkeit werden sich die Preise im kommenden Jahr völlig erratisch entwickeln: Der höchste Aufschlag in der Gemeinde Vals beträgt fast 40 Prozent, wobei man auf Nachfrage beim betreffenden Elektrizitätswerk von einem Fehler spricht, da die Haushalte den Zuschlag für Netzdienstleistungen nicht zu bezahlen hätten. Ohne diesen würde der Aufschlag deutlich tiefer ausfallen. Das Gesamtbild wird dadurch aber nicht an sich verändert: Die Strompreisentwicklung schwankt auch ohne dem Valser Ausreisser von plus 26 bis minus 28 Prozent.

Nicht weniger extrem fallen die absoluten Preisunterschiede aus, die ein durchschnittlicher Fünfzimmerhaushalt mit einem Stromverbrauch von 4,5 Megawattstunden pro Jahr zahlen muss: Im teuersten Fall, der gemäss den nicht weiter kontrollierten Elcom-Daten in der politischen Gemeinde Zihlschlacht-Sitterdorf im Kanton Thurgau zu verorten ist, beträgt die Stromrechnung 1321,75 Franken. Im günstigsten Fall zahlt man für die gleiche Strommenge gemäss Elcom 215,46 Franken, und zwar im Walliser Bergdorf Gondo, das 2000 wegen eines verheerenden Erdrutsches in die Schlagzeilen geriet. Die Preisdifferenz beträgt 83 Prozent.

Flaute und Defizite

Der Experte macht für dieses Chaos verschiedene Gründe geltend: «Das kann damit zu tun haben, dass die Netzbetreiber den Strom von unterschiedlichen Quellen beziehen», sagt Stefan Muster, Bereichsleiter Wirtschaft und Regulierung beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Das heisst: Die Netzbetreiber, die auf dem Grossmarkt einkaufen, können den Strom viel günstiger anbieten, als die Energieunternehmen, die den Strom in eigenen Kraftwerken selber herstellen.

Die Stromherstellung in eigenen Kraftwerken ist für Energieunternehmen nämlich wegen der starken Subventionierung von erneuerbaren Energien, einer verfehlten Politik mit den CO2-Zertifikaten, den tiefen Preisen für fossile Energieträger wie Kohle und wegen der anhaltenden Nachfrageflaute nach Strom aufgrund der wirtschaftlich angespannten Situation in Europa zum defizitären Geschäft geworden.

Das führt zur paradoxen Situation, dass wir trotz der sinkenden Strompreise im Grosshandel – die Preise haben sich in den vergangenen drei Jahren um rund ein Drittel reduziert – im Durchschnitt für den zu Hause verbrauchten Strom in etwa gleichviel zahlen. Die höheren Abgaben zur Förderung erneuerbarer Energien und die Netznutzungsentgelte würden die tieferen Energiepreise überkompensieren, so die Erklärung.

Abgeschrieben und rentabel

Netzbetreiber wie die aargauische AEW Energie AG, die die Strompreise im kommenden Jahr senken, wollen nicht sagen, wie gross in ihrem Angebotsmix der Anteil des im Grosshandel günstig besorgten Stroms ist. Die Preissenkung im kommenden Jahr sei aber nicht lediglich eine Folge einer Grosshandelsstrategie. «In dieser Absolutheit könnte ich die Aussage nicht gelten lassen», sagt Marc Ritter, Leiter Geschäftsbereich Energie der AEW Energie AG. Er deutet vielmehr an, dass die Preissenkung auch einfach darauf zurückzuführen sein könnte, dass man bereits vollständig abgeschriebene Kraftwerke laufen lässt, bei denen schon fast jeder im Verkauf erzielte Rappen ein Profit darstellt, wohingegen sich neue oder stark erneuerte Wasserkraftwerke mit Gestehungskosten von bis zu 17 Rappen pro Kilowattstunde bei einem Grosshandelspreis von 5 Rappen derzeit nur als Geldvernichtungsmaschinen betreiben lassen. Die Logik der Energiewende wird damit komplett auf den Kopf gestellt.

Jetzt auf

Chaotische Zustände manifestieren sich auch in den völlig unterschiedlichen Strategien, mit denen Unternehmen der Energiewende Herr zu werden versuchen. Während etwa das Axpo-Trading-Desk mit raffinierten Leerverkaufsstrategien vom Preiszerfall zu profitieren versucht, um so die Einnahmenerosion beim eigenen Kraftwerkspark zu kompensieren, ist Alpiq dem Preisdruck für die Lieferungen an seine Grossabnehmern, die zugleich auch Aktionäre sind, mehr oder wenig machtlos ausgeliefert. Das Alpiq-Management versucht deshalb verstärkt im Baugewerbe Fuss zu fassen, muss dafür aber zum Teil zu extrem tiefen Preisen offerieren, um die etablierte Konkurrenz, die sich in einem ohnehin schon sehr kompetitiven Umfeld tummelt, ausschalten zu können, wie etwa beim Gebäudetechnikauftrag bei der Coop-Grossbaustelle in Schafisheim.

Das Stromwirrwarr ist aber auch eine Folge falscher politischer Regulation, die saubere Energie wie Solar-, Wind- oder Wasserstrom fördern wollte und schmutzigen Kohlestrom hervorgebracht hat. Viel zu viele CO2-Zertifikate wurden emittiert, weshalb die Preise dafür im Keller sind und der Sanktionsmechanismus für nicht erneuerbare Energiequellen wie den Kohlestrom ausser Kraft gesetzt wurde. Man produziert munter weiter. Zumal die Preise für Kohle ebenfalls im Keller sind. Und die subventionierte Einspeisung von Fotovoltaik- und Windenergie verdrängt gleichzeitig die saubere Energie aus Pumpspeicherkraftwerken in unseren Bergen. Die Energiepolitik hat also den perversen Effekt, schmutzige Energie zu begünstigen und saubere Schweizer Wasserkraft unrentabel zu machen.

Mit voller Leistung pumpen

Und mitunter spielt der Markt gar so verrückt, dass negative Preise zu beobachten sind. Zum Beispiel vergangenes Pfingsten: Die Sonne schien, die Photovoltaik-Anlagen produzierten Strom auf Teufel komm raus und speisten ihn ungebremst ins Stromnetz ein, obwohl, aufgrund der feiertagsbedingten Ruhephase der Unternehmen, in dieser Zeit kaum Energie nachgefragt wurde. Die Pumpspeicherkraftwerke haben mit voller Leistung gepumpt. Aber die Pumpleistung reichte nicht, allen überschüssigen Strom zu verbrauchen.

Haltlose Zustände scheinbar ohne Ende. Und wo liegt das Problem? «Es fehlte von Beginn weg an einem koordinierten Ausbau der Erneuerbaren in Abstimmung mit dem Netz- und Speicherausbau und unter Berücksichtigung des bestehenden Kraftwerkparks», bringt es der VSE-Mann Muster auf den Punkt. Man operiere derzeit vielmehr nach dem Muster «produce and forget».

Die Insider nehmen es gelassen. Für einen Markt auf dem Weg zur Liberalisierung sei das ganz normal. «Einschwingvorgang», nennt es der AEW-Mann Ritter, der früher beim deutschen Energieriesen E.On tätig war. Die vermeintlich frohe Botschaft für die Konsumenten: Die Unternehmen müssten sich im Zuge der Liberalisierung längerfristig auf tiefere Margen einstellen. In einem normal funktionierenden Markt wäre das gleichbedeutend mit tieferen Endpreisen. Doch für den Strommarkt macht man solche Prognosen derzeit wohl besser nicht. (Nordwestschweiz)

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