Die Schuldenbremse ist ein helvetisches Heiligtum. Weil der Bund keine Defizitwirtschaft will, war es bislang nicht möglich, die Armee schnell aufzurüsten und der Ukraine Milliarden für den Wiederaufbau zukommen zu lassen. Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) pocht auf das Einhalten der Schuldenbremse. Zugleich, so hört man, möchte Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) mehr Flexibilität, um angesichts der neuen Bedrohungslage mehr Mittel fürs Militär freizumachen.
Jetzt bekommt Amherd Sukkurs durch die sicherheitspolitische Kommission (SIK) des Ständerats. Die Aargauer Zeitung hatte berichtet, dass sich eine Mehrheit für einen Milliardendeal abzeichnet. In der Tat hat die SIK am Donnerstag mit 8 zu 5 Stimmen einer Kommissionsmotion zugestimmt. Demnach sollen 15 Milliarden Franken für die Armee und die Ukraine freigegeben werden – ausserhalb des ordentlichen Budgets. Angesichts der geopolitischen Lage sind die Sicherheitspolitiker bereit, die Schuldenbremse auszuhebeln. Es ist gewissermassen die Schweizer Zeitenwende, zwei Jahre, nachdem Deutschlands Kanzler Scholz diese ausgerufen hat.
Die Armeeausgaben sollen schon bis 2030 anstatt, wie bislang geplant, bis 2035 massiv steigen. Und zwar auf 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit soll die Armee nachgerüstet werden. Kostenpunkt: 10,1 Milliarden Franken. Darüber hinaus sollen gemäss dem Mega-Deal 5 Milliarden Franken in den Wiederaufbau der Ukraine fliessen. Mit diesem Kniff konnten linke SiK-Mitglieder für den Deal gewonnen werden, die sonst gegen Mehrausgaben bei der Armee kämpfen.
SP-Ständerätin Franziska Roth (SO) spricht von einem «Kompromiss der Vernünftigen». So kann der Plan des Bundesrats abgewendet werden. Dieser will die Ukraine-Gelder aus dem Budget der internationalen Entwicklungszusammenarbeit abzweigen. Das lehnt die Linke ab.
Warum umdribbelt die Kommissionsmehrheit das Heiligtum Schuldenbremse? Sie hält es angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes für unmöglich, eine solch hohe Summe über das ordentliche Budget zu stemmen. Das Instrument der Ausserordentlichkeit, so heisst es in der Kommissionsmotion, biete die nötige Flexibilität für Ausnahmefälle. Bereits bei Einführung der Schuldenbremse seien kriegerische Ereignisse als ausdrücklich als Ausnahmeregelung genannt worden für nicht steuerbare Eventualitäten. «Was soll eine ausserordentliche Situation sein, wenn nicht ein Krieg in Europa?», fragt Kommissionspräsidentin Andrea Gmür (Mitte/LU) rhetorisch.
Die SIK sieht die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung durch den russischen Angriffskrieg in Gefahr. Mit dem 15-Milliarden-Deal soll die Schweiz ihre Verantwortung für Frieden und Stabilität wahrnehmen. Gmür verteidigt die Verknüpfung von Aufrüstung und Wiederaufbauhilfe. «Es braucht zwingend mehr Mittel für die Ukraine. Die Schweiz ist ein vermögendes Land und muss sich solidarisch zeigen. Bei den Geldern für die Ukraine geht es nicht nur um den Wiederaufbau, sondern auch um die Instandhaltung der bestehenden Infrastruktur.»
Widerstand kommt von SVP und FDP. Die beiden Parteien, die für eine rasche Aufstockung des Armeebudgets einstehen, sehen den Spezialfonds als Angriff auf die Schuldenbremse. Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sagt, er halte weder etwas von der Verknüpfung der beiden Geschäfte noch von der Umgehung der Schuldenbremse. «Der Bundesrat hat klar gesagt, dass die Mehrausgaben für die Armee nicht als ausserordentlich verbucht werden können. Das ist nicht gesetzeskonform.»
Mitte-Links hat mit dem 15-Milliarden-Deal einen Coup gelandet. In der Kommission kam er durch. Offen ist aber, ob die Sicherheitspolitiker auch ihre Fraktionen überzeugen können. Denn am Ende braucht es im Parlament eine Mehrheit, nicht nur in der Kommission.
Nebst dem Spezialfonds hat die Kommission auch entschieden, das Armeebudget bereits 2025 stärker zu erhöhen als vom Bundesrat geplant. So sollen zusätzlich 662 Millionen Franken für Bodengestützte Luftverteidigung ausgegeben werden. Woher das Geld stammen soll, liess die Kommission offen.
Ob das Parlament dem Wunsch ihrer Sicherheitskommission im Budgetprozess nachkommt, ist offen. Ebenso, ob die Erhöhung des Zahlungsrahmens für die Jahre 2025–2028 um 4 Milliarden Franken gelingen wird.