Wenige Tage nach der Europawahl ist ein Machtkampf zwischen dem EU-Parlament und den Regierungen der Mitgliedsstaaten um die Vergabe der Spitzenposten in Brüssel entbrannt. Dabei hat Wahlsieger Jean-Claude Juncker einen Rückschlag hinnehmen müssen. Beim EU-Gipfel in Brüssel gab es Bedenken gegen den Luxemburger.
Die Regierungschefs aus Grossbritannien, Ungarn, Schweden und den Niederlanden wehrten sich am EU-Gipfel in Brüssel gegen eine schnelle Festlegung auf Juncker. Die 28 Staatenlenker setzten in der Nacht zum Mittwoch den Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy als Vermittler ein, um mit dem EU-Prlament und den Hauptstädten über die delikate Toppersonalie zu verhandeln.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel vermied eine Festlegung auf den Christsozialen Juncker. Die Entscheidung könne nur im Rahmen eines grösseren Personalpakets und mit klaren politischen Zielen für die neue Kommission getroffen werden.
Mit Blick auf die konservative Europäische Volkspartei (EVP) sagte die Kanzlerin: «Wir haben Jean-Claude Juncker für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert. Die ganze Agenda kann von ihm, aber auch von vielen anderen durchgesetzt werden. Daran habe ich keinen Zweifel.»
Nach den Gesprächen mit dem Parlament wird Van Rompuy den «Chefs» einen Personalvorschlag machen. Nächste Etappe im Postenpoker dürfte der kommende Gipfel am 26. und 27. Juni sein. Das Parlament muss dann dem Kandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen.
Das kann frühestens Mitte Juli passieren. Die Kommission ist die Brüsseler Machtzentrale, denn nur sie kann EU-Gesetze vorschlagen. Das Mandat von Behördenchef José Manuel Barroso aus Portugal läuft Ende Oktober aus.
Der liberale luxemburgische Premier Xavier Bettel kritisierte die abwartende Haltung des Gipfels: «Wenn man sich auf einen Spitzenkandidaten geeinigt hat, dann muss man das auch respektieren. Ich habe Schwierigkeiten, draussen zu erklären, dass man sich jetzt nicht einig ist über das Wer, Was und Wo.»
Er fügte aber hinzu: «Besser als heute eine Abstimmung mit Spaltung der 28 ist es, sich Zeit zu geben und dann das Resultat zu respektieren.» Deutlicher wurde Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn. «Das ist ernüchternd bis erbärmlich vom Europäischen Rat», sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk.
Ein besonders deutlicher Kritiker einer Juncker-Kandidatur ist der nationalkonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban. Der britische Premier David Cameron hat ebenfalls Vorbehalte. Beim Gipfel drückten auch Mark Rutte (Niederlande) und Fredrik Reinfeldt (Schweden) auf die Bremse.
Die Konservativen wurden bei den Europawahlen am Sonntag die stärkste Kraft mit 213 Sitzen im Parlament. Die Sozialdemokraten landeten auf Platz zwei (191 Sitze).
Der scheidende Fraktionschef der Sozialdemokraten im Parlament, Hannes Swoboda, forderte Juncker auf, auch ohne Aufforderung durch die Staats- und Regierungschefs mit Verhandlungen über eine Mehrheit zu beginnen.
Der bei den Wahlen zweitplatzierte SPD-Politiker Martin Schulz hatte signalisiert, Juncker bei der Mehrheitssuche in der Volksvertretung den Vortritt zu lassen. Der neue Kommissionschef braucht die Stimmen von mindestens 376 Abgeordneten. (sda/dpa/rtd)