Mittlerweile hat selbst das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eingeräumt, dass das Cassis-de-Dijon-Prinzip «keine messbare Preiswirkung» hatte. Diese Erkenntnis erstaunt nicht, wenn man sieht, wie wenig das Prinzip überhaupt zur Anwendung gelangt. Hersteller und Händler stellten beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen in vier Jahren 158 Zulassungsgesuche für ausländische Lebensmittel. 37 wurden bewilligt, 34 abgelehnt, ein Grossteil zurückgezogen.
Entgegen den Befürchtungen wurde der Lebensmittelmarkt also nicht mit minderwertigen, ausländischen Produkten überschwemmt. Die Skepsis der Bauern ist dennoch nicht gewichen. Im Gegenteil. Die geringe Bedeutung ist für sie ein Steilpass, im Kampf gegen Cassis de Dijon.
Die Chancen stehen gut, dass die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrates am nächsten Dienstag einen Gesetzesentwurf verabschieden wird, welcher die Lebensmittel wieder vom Geltungsbereich ausnimmt. Auslöser dafür ist eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Jacques Bourgeois (FDP/FR).
Bourgeois, der auch Direktor des Bauernverbandes (SBV) ist, sieht durch Cassis de Dijon die Qualitätsstrategie der Schweizer Landwirtschaft gefährdet. Zudem spricht er von einer Irreführung der Konsumenten. Nämlich dann, wenn inländische Produzenten nach ausländischen Vorschriften produzieren, ohne dass dies für den Konsumenten erkennbar ist.
Ein berühmtes Beispiel dafür ist ein Sirup, der nach französischen Regeln in der Schweiz produziert wird. Während hier ein Fruchtanteil von 30 Prozent gefordert wird, genügen in Frankreich zehn Prozent.
Diesen «Import von Normen» kritisieren nicht nur die Bauern, sondern auch die Kantonschemiker. Martin Brunner, stellvertretender Kantonschemiker in Zürich, spricht von einem eigentlichen «Wirrwarr» und einer «Verwässerung der nationalen Gesetzgebung».
Für die kantonalen Labors bedeutet Cassis de Dijon ein Mehraufwand. Sie kontrollieren die Anwendung des Schweizerischen Lebensmittelgesetzes. Kommt es zu einer Beanstandung, müssen sie erst einmal klären, ob es sich um ein Cassis-de-Dijon-Produkt handelt und ob die Abweichung vom Schweizer Recht zulässig ist. Ist dies der Fall, müssen sie überprüfen, ob alle Anforderungen des Ursprungslandes erfüllt sind. Mit anderen Worten: Die kantonalen Laboratorien müssen die Lebensmittelgesetze aller EU-Länder kennen.
Dazu kommen die sechs Stellen beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit, die das Cassis-de-Dijon-Prinzip administrieren und die laut SBV-Präsident Markus Ritter für andere Zwecke besser eingesetzt werden könnten.
Das Seco hatte im Auftrag der WAK verschiedene Umsetzungsvarianten ausgearbeitet. Im Bericht, welcher der «Nordwestschweiz» vorliegt, heisst es, den Beweggründen Bourgeois könnte Rechnung getragen werden, ohne das «Kind mit dem Bad auszuschütten». So schlug das Seco eine Kennzeichnungspflicht für Produkte vor, die in der Schweiz nach ausländischen Regeln produziert werden.
Solch einen Kompromiss hätte die SP mitgetragen, wie Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo sagt. Bourgeois beharrte indes darauf, dass die Lebensmittel ganz ausgenommen werden. Für Birrer-Heimo, Präsidentin der Stiftung Konsumentenschutz, ein Unding, weil dadurch eine Handelshürde wieder aufgebaut wird: «Nicht alles, was aus dem Ausland kommt, ist schlecht – es gibt viele gute Produkte.»
Für die Konsumentenschützerin ist entscheidend, dass richtig deklariert wird: «Wenn der Konsument einen Sirup mit einem geringeren Fruchtanteil will, soll er das frei entscheiden können.»
Noch ist der Bauernverband nicht am Ziel. Nach dem Entscheid der WAK kommt es zu einem Vernehmlassungsverfahren, bevor die beiden Räte über die Gesetzesänderung befinden werden. Doch Jacques Bourgeois ist zuversichtlich, dass das Kapitel Cassis de Dijon für Lebensmittel Ende 2015 abgeschlossen sein wird. Dank dem Support von SVP, CVP und Grünen ein wahrscheinliches Szenario.