Es gibt die gute Freiheit, die kann man sich nehmen und selbstbestimmt wählerisch damit umgehen, und die Glutenfreiheit, zu der wird man gezwungen. Ich sags nicht gern, aber bei Glutenanwesenheit falle ich mit Ausschlag bedeckt bewusstlos um, gerne auch mitten auf der Strasse und wach dann im Spital wieder auf. Kommen Sie mir nicht mit Nahtoderfahrungen, ich kenn das, es ist, als wäre man ein Klecks Farbe auf einem Warhol-Bild, irgendwie Tiefblau mit Fuchsia.
So geschehen schon in Paris, Wien und beinahe auch Berlin, weshalb ich seither immer mit einem halben Koffer voller Ersatznahrung reise, was mühsam und umständlich und demütigend ist, besonders, wenn man in ein Gourmet-Paradies wie Frankreich einreist. Derart trostlos (siehe Bild) nach Militär und Schulreise sah zum Beispiel mein Notvorrat für Cannes bei der Ankunft noch aus, er hat sich seither schon merklich dezimiert.
Morgen für Morgen schmier ich mir also meine eingeschweissten Aufbackbrötchen, ich gehe stets in der besten Absicht dahinter, ich denke, ein bisschen Gurke reicht doch zu der guten bretonischen Salzbutter, aber dann pack ich's am Mittag wieder aus, und schwupps, hat sich wieder so ein Stück Foie gras dazwischen geschlichen, einfach so, ich komm nicht an dagegen, schon gar nicht in Frankreich, es ist so viel stärker als ich, und ja, ich bekenne: My name is Simone and I'm a Foie-gras-addict. Und Mittag für Mittag kann ich es nur mit Roger Federer aus der Lindor-Caramel-Kugel-Werbung sagen, das ist «mmmhhhh, fein!» Vielleicht sollte ich mal einen Entzug machen.
Im neuen Film von David Cronenberg sind ja alle andauernd auf Entzug oder Psychopharmaka: Julianne Moore, John Cusack, Mia Wasikowska, nur Robert Pattinson noch nicht, aber der ist in «Maps to the Stars» auch weder ein Psychopath noch erfolgreich, sondern bloss ein Taxi fahrender Möchtegern-Schauspieler. Also, es geht bei Cronenberg um Inzest in Hollywood und im mythologischen Sinn. Ein Promi-Therapeut hat seine Schwester geheiratet, und ihre beiden Kinder sind auch schon auf dem besten Weg dazu. Genau sowas gabs schon unter den griechischen und ägyptischen Göttern und auch König Artus zeugte mit seiner Schwester einen Sohn, der später sein Mörder wurde.
Rache aus der zweiten Generation ist in dieser Konstellation unabwendbar, und so funktioniert auch Cronenberg. Also mit einem Konstrukt aus Gewalt und Bestimmung. Angesiedelt ist er allerdings direkt in der neurotischen Dunkelkammer Hollywoods, wo jeder jedem Feind ist, aber den Freund markiert, und das ist nun sehr lange sehr lustig, eine Farce über die Sucht nach Stars und die Süchte der Stars. Ein Film, der das Festival von Cannes spiegelt wie kein zweiter.
Als Ensemble-Film ist das ein Genuss – allen voran Julianne Moore, die einst zum Inzest-Opfer der eigenen Mutter wurde und jetzt im grossen Stil spinnt. Symbolisch dürfte er etwas überladen sein, motivisch sowieso (die Anwesenheit von Gespenstern ist penetrant), und irgendwie passt es nicht so richtig, dass der hyperintellektuelle Cronenberg jetzt plötzlich mit dem «Nightmare on Elm Street»-Autor Bruce Wagner zusammenarbeitet. Vielleicht hat er mit diesem Film den grössten Blödsinn seiner Karriere gemacht, aber wer sich eine Kreuzung aus Promi-Trash und Griechen-Tragödie vorstellen kann, der wird sich wunderbar amüsieren, ich und der japanische Journalist neben mir hatten jedenfalls grossen Spass. Und die Frage, wieso in seinen Filmen so oft Sex in Autos stattfände, beantwortete Cronenberg mit
In der Liste «Promis, mit denen ich gerne ein Bier trinken möchte», sind ja die dänischen Brüder Mads und Lars Mikkelsen weit vorn. Nicht nur bei mir und meinem Liebesleben, sondern allgemein, das gilt auch für Cannes. Schon die «Sonntagszeitung» hat sich mal überlegt, den ganz alleine in einer Cannes-Bar Champions League schauenden Mads auf das berühmte Bier einzuladen, fühlte sich dann aber nicht cool genug. Ich kann's verstehen. Am Wochenende hat Mads gewohnt lakonisch den ersten dänischen Western «Salvation» vorgestellt: «Logisch fallen allen die Kinnladen runter beim Gedanken an einen dänischen Western. Aber es gibt auch bei uns Gute und Böse, es wird geschossen, und einer räumt auf. That's it.»
Sein Bruder Lars, den ja seit seinen Auftritten in den TV-Serien «Borgen», «Kommissarin Sarah Lund» und «Sherlock» viele für den schöneren Mikkelsen halten, ist mit Frau und Tochter in Cannes, leider sind beide Werwölfe, der Mann hat's nicht leicht.
Gemeint ist der dänische Film «When Animals Dream» von Jonas Arnby, ein Film, den die amerikanische Spürnase Harvey Weinstein bereits gekauft hat mit der Begründung, es handle sich um ein «rares Juwel» und er sei nicht mehr so aufgeregt gewesen, seit er 2008 den schwedischen Vampirfilm «Let the Right One in» gekauft habe. Stimmt! Also nicht nur für Weinstein, sondern auch für alle, die den Film heute gesehen haben. Da sassen wir und wussten: Hallo, Filmgeschichte, jetzt in diesem Moment wird ein neuer Abschnitt geschrieben.
Gut, das Werwolf-Genre mag nicht allen am nächsten liegen, aber dieser Film! Fuck, diese Dänen sind einfach die besten, nicht nur im Fernsehen, sondern auch in Cannes. Diese Bilder, diese Atmosphäre, als stünde die ganze Welt kurz vor einem monströsen Gewitter oder würde in böser Watte erstickt. Diese irre Geschichte um ein protestantisches Fischerdorf, in dem die Frauen mit den in ihnen schlummernden Werwölfen leben. Der im Leib der Mutter wird mit Medikamenten gelähmt, der Vater (Matts Mikkelsen) und der Arzt sorgen dafür. Doch mit dem ganzen pubertären Schmerz kann der Tochter-Werwolf nicht anders als auszubrechen. Das Monster ist nur so grauenhaft wie die Gesellschaft, die es gebiert. Also sehr.
Und weil die Dänen nicht nur raffiniert innovative, sondern auch äusserst sorgfältige Drehbücher schreiben können, bleibt da kein loser Faden hängen, keine Frage offen, und Newcomerin Sonja Suhl, die Darstellerin der Tochter, ist ohne jeden Zweifel der nächste dänische Superstar. Besser hätte die zweite Woche in Cannes nicht beginnen können, und wenn ich jetzt auch noch eins jener Teigteile namens Danish Pastry oder à la danoise essen könnte, ich wähnte mich im Himmel.