Mitte der Neunziger war er dank Kinohits wie «While You Were Sleeping» und «Independence Day» einer der gefragtesten Männer Hollywoods. Seinen filmischen Höhenflügen zum Trotz ist Bill Pullman aber nie abgehoben. Der 62-jährige US-Amerikaner lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern auf einer Farm und gönnt sich heute den Luxus, nur noch Rollen anzunehmen, die ihm passen. Am Mittwoch erhält Pullman auf der Piazza Grande den Moët & Chandon Excellence Award des Filmfestivals von Locarno. Kurz vor seiner Abreise erreichen wir den Mann mit der unverkennbar rauchigen Stimme am Telefon.
Bill Pullman, Sie reisen für die Eröffnungsnacht des Filmfestivals nach Locarno. Haben Sie schon eine Ahnung, was genau Sie dort erwartet?
Bill Pullman: Ich bin sehr aufgeregt. Nicht nur darauf, die Schweizer Filmkultur kennen zu lernen, sondern auch die Agrikultur. Meine Frau und ich leben auf einer Ranch in Montana. Unser Traktormechaniker ist Schweizer und ein alter Freund von uns. Er hat uns immer Fotos von seiner Farm in der Schweiz gezeigt. Dort sieht alles so anders aus. Das schauen wir uns jetzt an: Wir treffen seine Schwester, die in der Nähe von Locarno wohnt. Sie wird uns ihre Farm zeigen.
Kinozuschauer denken bei Bill Pullman eher an einen Präsidenten als an einen Farmer. In dieser Rolle wurden Sie vor 20 Jahren im Film «Independence Day» berühmt.
Der Film war ein einzigartiges Erlebnis. Sein Erfolg hat uns alle überrascht. «Independence Day» war wie ein Flaschengeist, der mir und den anderen Schauspielern alle Wünsche erfüllte und alle Türen öffnete. Darum habe ich sofort zugesagt, als Regisseur Roland Emmerich vor ein paar Jahren mit der Idee einer Fortsetzung zu mir kam.
Ihre stürmische Ansprache («We will not go quietly into the night!») im ersten Teil ist in die Kinogeschichte eingegangen. Wie ist es, darauf zurückzublicken?
Wir hatten keine Ahnung, was das auslösen würde. Diese Ansprache ist auch heute noch eine Referenz. In jedem Wahljahr, wenn darüber debattiert wird, wie eine gute Rede funktioniert und was einen guten Politiker ausmacht, wird meine Rede aus «Independence Day» aus dem Archiv geholt. Das überrascht mich immer wieder.
Sie haben den Film ja sogar mal im Weissen Haus zusammen mit Präsident Clinton geschaut. Wie hat er reagiert?
Er hat ganz höflich gratuliert. Ich wurde ja kürzlich mit der Serie «1600 Penn» auch zu Präsident Obama ins Weisse Haus eingeladen, weil ich darin wieder in die Rolle eines US-Präsidenten geschlüpft bin. Ich fühle mich ausserordentlich geschmeichelt, dass sich unsere Staatsoberhäupter dafür interessieren, was für einen Präsidenten ich spiele.
Welche Qualitäten zeichnen einen guten Präsidenten aus?
Ich schätze es sehr, wenn ein Präsident widerstandsfähig ist. Wenn er seine Ideen verteidigt und für sie kämpft. Auch wenn ein Teil der Menschen nicht damit einverstanden sein könnte.
Machen Sie diese Widerstandsfähigkeit denn in einem der gegenwärtigen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten aus?
Sagen wir es so: Wenn man sich die Diskussionen über den Zustand der Welt anhört, merkt man, dass die Menschen zunehmend frustriert über die Regierung sind. Gewisse Personen scheinen deswegen das Gefühl zu haben, sie hätten jetzt ein Recht darauf, die Regierung schamlos in den Dreck ziehen. Das macht mir Sorgen. Niemand scheint ihre wahren Absichten dahinter in Frage zu stellen. Von Verantwortlichkeit keine Spur.
Zurück zum Film: Ihre erste Rolle nach «Independence Day» war im kunstvoll düsteren «Lost Highway» (1997) von David Lynch, der auch in Locarno gezeigt wird. Der Film war eine radikale Kursänderung. Ein bewusster Entscheid?
Absolut. «Lost Highway» kam zur perfekten Zeit, ich wollte nicht, dass mich ein einziger Film für immer definiert. Ich schätze sehr, dass Locarno meine Arbeit in Independent-Filmen würdigt. «Lost Highway» hat meinen Blick auf meine eigene Karriere komplett verändert. Als ich sah, wie David Lynch mit den geringsten Mitteln umso kreativer arbeitete, lernte ich erstmals zu schätzen, wie bedeutungsvolles Kino entsteht.
Sie bezeichneten die Zusammenarbeit mit David Lynch einst als «Reise nach Hause».
Danke, das hatte ich ganz vergessen! Aber es stimmt: Bei Lynch hatte ich immer das Gefühl, dass er Aspekte meiner eigenen Familie beschrieb, und dass er verstand, wie ich aufgewachsen bin. Er hat einen ganz eigenen Humor, den ich sehr schätze. Wenn wir beispielsweise Mühe mit der Kamera hatten, sagte er jedes Mal in seiner gepflegten Stimme: «We are experiencing problems technicale.» Sogar seine Anweisungen waren kreativ! Das hat uns zusammengeschweisst.
Stimmt es eigentlich, dass Sie keinen Geruchssinn haben?
Ja, das stimmt. Ich bin mit 21 bei einer Theaterprobe aus 15 Metern rückwärts auf den Kopf gefallen. Ich lag zweieinhalb Tage lang im Koma und verlor dabei meinen Geruchssinn. Das hat auch seine guten Seiten: Während andere vor einem strengen Geruch fliehen, macht er mir nichts aus. Blöd ist es nur, wenn ich in Hundekot trete – das merke ich dann manchmal gar nicht!
Einen Riecher für gute Rollen hatten Sie aber immer. Sie haben mit vielen renommierten Regisseuren gearbeitet: Wim Wenders, Lawrence Kasdan, Wes Craven, Cameron Crowe… Von wem haben Sie am meisten gelernt?
Man nimmt von jedem etwas mit. David Lynch brachte mir viel über das Kino bei. Aber auch von Roland Emmerich habe ich einiges gelernt. Er hat ein Auge für Ästhetik, bei ihm ist immer alles in Bewegung. Am meisten schätze ich Regisseure, die es mir erlauben, meine Filmfigur zu formen. Ich drehe als nächstes den Western «The Ballad of Lefty Brown». Darin spielte ich den Sidekick eines legendären Cowboys. In dieser Rolle bin ich freier, als wenn ich den Cowboy spielen würde.
Als Schauspieler verleihen Sie Ihren Figuren oft eine wohltuende Bodenständigkeit. Ist diese Eigenschaft in Ihrer eigenenen Persönlichkeit verwurzelt?
Gute Frage. Ich denke, meine Familie hat immer viel Mitgefühl an den Tag gelegt. Mein Vater war Arzt, meine Mutter Krankenschwester. Ihnen war es wichtig, dass ich Menschen in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen wertschätze, und dass ich lerne, dass es wichtigeres gibt als nur mich. Das hat mich sehr geprägt.
Diese Bodenständigkeit ist auch einer der Gründe, warum Ihre Filmfigur im Liebesfilm «While You Were Sleeping» (1995) oft als der «perfekte Mann» bezeichnet wird. Kommt es auch heute noch zu schrägen Erlebnissen mit den unzähligen Fans des Films?
Oh, ja! Frauen kommen heute auf mich zu und sagen mir: «Sie sind der Lieblingsschauspieler meiner Mutter! Wenn wir ein Foto zusammen machen könnten, wäre sie begeistert!» Ein Jahr zuvor hatte ich im Liebesfilm «Sleepless in Seattle» noch die erste Nebenrolle gespielt. Mit «While You Were Sleeping» wurde dann alles anders: Endlich kriegte ich am Ende das Mädchen.
Sie und Sandra Bullock haben im Film ja auch eine grossartige Chemie.
Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Regisseur Jon Turtletaub machte es uns aber auch einfach. Noch während des Drehs liess er das Script umschreiben, um die Figuren unseren eigenen Persönlichkeiten anzunähern.
Ich muss gestehen, mein Lieblingsfilm mit Ihnen ist ein ganz anderer: «Spaceballs». Mit der grossartigen Science-Fiction-Parodie von Mel Brooks feierten Sie 1987 Ihren Durchbruch. Was sind Ihre Erinnerungen?
Ich weiss noch, wie ich mich immer kneifen musste, weil mein Leben mich plötzlich auf ein Filmset mitten in der Wüste geführt hatte, wo Kleinwüchsige in Umhängen herumrannten. «Spaceballs» war auch einer der letzten Filme, die in den alten MGM-Studios gedreht wurden. Das war eine geschichtsträchtige Zeit. Sogar der Maskenbildner kam in Anzug und Krawatte zur Arbeit. Und mit Mel Brooks in der Kantine auf Stars wie Jane Fonda und Arnold Schwarzenegger zu treffen, war echt abgefahren.
Schon ewig geistert das Gerücht einer «Spaceballs»-Fortsetzung herum. Die Zeit wäre ja reif, es gibt neue «Star Wars»-Filme, die sich parodieren liessen. Was müsste Mel Brooks sagen, um Sie wieder an Bord zu holen?
Ich denke, in seinen Augen war nie meine Figur, Lone Starr, zentral, sondern eher Lord Helmchen, gespielt von Rick Moranis. Mel hat gesagt, er würde Teil 2 nur mit Rick drehen, aber Rick hat vor Jahren schon mit der Schauspielerei aufgehört. Sein Leben ist heute ganz woanders. Und Lone Starr wäre inzwischen viel zu alt. Der Film bräuchte einen neuen, jungen Hauptdarsteller. Ich weiss nicht, ob Mel Brooks so nachsichtig wie Roland Emmerich wäre, und mir auch heute noch eine Rolle anbieten würde.
Und nicht vergessen: Nach dem kleinen oder grossem Geschäft... Spaceballs Toilettenpapier benutzen ;-)