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Lustig ist das Liebesleben! Und manchmal auch sehr traurig. Oder crazy. Lesbische Frauen erzählen von früher

Auto-Freak Elisabeth (am Steuer) fährt 1962 nach Italien, um Spass zu haben.
Auto-Freak Elisabeth (am Steuer) fährt 1962 nach Italien, um Spass zu haben.bild: ZVG

Lustig ist das Liebesleben! Und manchmal auch sehr traurig. Oder crazy. Lesbische Frauen erzählen von früher

31.03.2015, 12:0701.04.2015, 08:30
Simone Meier
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Frauen, die Frauen lieben gab es schon immer (Sappho, die alte Griechin) und wird es immer geben, eine Selbstverständlichkeit. Was natürlich nicht stimmt, auch nicht immer bei uns. Aber beinah. In einer Zeit vor unserer Zeit allerdings, also vor einer Corine Mauch als höchster Zürcherin zum Beispiel, da bedeutete der Weg zu einem lesbischen Selbstverständnis noch viel mehr Kampf und Mut und Trotz als heute. Gegen die gesellschaftlichen Erwartungen, gegen Familie und Kirche, gegen die eigene Verzagtheit. 

Auch bei uns. Und zum Beispiel in den 30er-, 40er- und 50er-Jahren. Als man das Wort «lesbisch» noch gar nicht im Wortschatz führte und auf dem Land tatsächlich meinte, die Kinder kämen vom Storch und der Muni «schreibe mit seinem roten Bleistift in die Kuh hinein, dass sie ein Kälblein machen soll».

So klingt es, wenn elf Frauen jenseits der Siebzig im Buch «Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert» ganz ungeniert von ihren Liebesgeschichten und ihrer Identitätsfindung erzählen. Und von der Schweiz. In der durch die Geschichten hindurch Folgendes auffällt: a) Die allermeisten Männer, gerade auf dem Land, waren Alkoholiker; b) Autoritätspersonen, vor allem Lehrer und Lehrerinnen, waren latente Sadisten; c) Arme Leute waren richtig arm; d) Es gab gediegene Elitelesben mit tollen Sportwagen und freche Proletenlesben mit grossem Mundwerk. 

Jazzpianistin Irène Schweizer, 1965 an einer privaten Jamsession.
Jazzpianistin Irène Schweizer, 1965 an einer privaten Jamsession.bild: ZVG

Natürlich sind die Proletenlesben viel interessanter, sie machten zum Beispiel in Zürich an der Limmat ein «Wettseichen», indem sie auf Schuhlöffel brünzelten und schauten, wer am weitesten spritzt. Wie Männer eben. Es war die Streetcredibility des Untergrunds. Und es gab bei ihnen Erotikpartys: «Manchmal luden ältere Frauen uns jüngere zu sich ein, es gab ein schönes Znacht, gefolgt von Orgien. Zwei schmusten auf dem Kanapee, zwei andere im grossen Sessel, die eine legten sie auf den Tisch, zogen sie aus und garnierten sie mit Mayonnaise, Senf und Früchten, und wir schleckten das ab.»

Musik! Kein Mann!

Das war in den 50er-Jahren. Später kamen dann die «Bewegungslesben», die politisierten, und die ihrerseits von den «Stögelischuh»-Lesben verachtet wurden: «Sie trugen Kappen und Alpaka-Pullover, liessen sich die Achselhaare wachsen und zupften sich nicht mal ihre Barthaare aus.»

Eine der Bewegten – allerdings ohne Alpaka-Pulli – ist die Jazzpianistin Irène Schweizer, die immer schon mit Frauen zusammen war. Mit zwölf wusste sie: Ich will Musik machen und ich will keinen Mann heiraten. Mit neunzehn verliebte sie sich zum ersten Mal in eine Frau. Über eine Beziehung, die sie Anfang der 60er-Jahre hatte, sagt sie heute: «Ich wusste damals nicht, dass wir lesbisch sind. Dieses Wort gab es gar nicht.» Irène Schweizer hatte Glück, ihr Beruf brachte die tolerante Bohème mit sich, auch wenn sie damals am Klavier noch Röcke trug.

Bis die 16-jährige Eva aus dem Baselbiet ihr Glück findet, wird es noch viele Jahre dauern.
Bis die 16-jährige Eva aus dem Baselbiet ihr Glück findet, wird es noch viele Jahre dauern.bild: zvg

Neben den lauten, in der Gruppe starken Frauen, gab es immer auch die andern, die leise litten. Die sich die Seelen blutig schnitten in langen, seltsam unerfüllte Beziehungen mit Männern, die Mütter wurden und sich erst dann für die eigene Freiheit entschieden.

Souveräne alte Damen machen Mut

Eine wächst im Baselland in einer pietistischen Familie auf, in der das individuelle Unglück so gross ist, dass sich vier Männer, darunter auch ihr Lieblingsbruder, das Leben nehmen. Ihr Mann, den sie mit fünfzehn kennenlernt und mit fünfundzwanzig heiratet, ist Theologe und will nichts lieber, als mit seiner Frau allein auf einem Segelboot um die Welt fahren. Sie hat Panik, Allergien, Depressionen. Und verliebt sich mit vierzig Jahren endlich in die Frau, mit der sie auch heute noch zusammen ist.

«Seit dieser Nacht ...» ist kein selbstmitleidiges Bekenntnisbuch geworden, sondern ein Geschichtsbuch voller Kraft und Leben (und erotischer Anekdoten), mit dem die souveränen alten Damen den vielleicht unsicheren jungen Mädchen enorm viel Mut machen können. Das ist entweder Corinne Rufli zu verdanken, die mit den Frauen gesprochen und ihre Geschichten ganz unsentimental aufgezeichnet hat, oder der altbewährten Tatsache, dass man über Siebzig ganz einfach mit sich im Reinen ist. Oder beidem.

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