Die Latte hing tief, aber Hassan Ruhani hat sie genommen. In deutlichem Kontrast zu seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad verzichtete der iranische Präsident bei seinem Auftritt in Davos auf Provokationen.
Stattdessen warb der 65-jährige Geistliche für Investitionen in die iranische Wirtschaft, verurteilte den Terrorismus und zeigte sich zuversichtlich, dass die Feindschaft mit den USA schon bald in eine Freundschaft übergehen werde. All dies mit einem Lächeln im Gesicht.
Die neuen Töne aus dem Iran kamen bei den WEF-Besuchern gut an. Aber nicht bei allen: Der israelische Präsident Schimon Peres kritisierte Ruhani nach dessen Rede scharf. Nicht für das, was er sagte. Sondern für das, was er nicht sagte:
Soweit das israelische Staatsoberhaupt. Auch der Chefredaktor der englischsprachigen Ausgabe von «Al Arabiya» vermisste das eine oder andere in Ruhanis Rede: «Er liess nicht duchblicken, dass er zumindest erwägt, seine Revolutionsgarden aus Syrien abzuziehen», schrieb Faisal Abbas in einem Kommentar mit dem Titel «Was Ruhani NICHT sagte».
Bei Ruhanis Vorgänger Ahmadinedschad hatten Israel und die Golfmonarchien stets leichtes Spiel: In keiner Rede fehlten die obligaten Giftpfeile Richtung Tel Aviv und die Kritik am heuchlerischen Westen. Solche Polemik vermeidet Ruhani tunlichst. So bleibt den Gegnern Irans nur der Kunstgriff, ihm seine verbalen Versäumnisse vorzuhalten.
Hassan Ruhani hätte in seinen 35 Minuten Redezeit die Möglichkeit gehabt, auf einige der genannten Punkte einzugehen. Allerdings ist er mit dieser Unterlassung nicht allein.
Die Liste könnte beliebig weitergeführt werden. Allerdings liegt es im Auge des Betrachters, was er sich von der Rede eines anderen erhofft. Praktikabler bleibt deshalb die kritische Würdigung dessen, was tatsächlich gesagt wurde.