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Konservative gewinnen Wahlen in Bulgarien – 6 Probleme bleiben ungelöst

Boiko Borissow, Führer der Mitte-Rechts-Partei GERB, am Sonntag bei der Stimmabgabe in Sofia – die oppositionelle GERB verpasste die absolute Mehrheit deutlich.
Boiko Borissow, Führer der Mitte-Rechts-Partei GERB, am Sonntag bei der Stimmabgabe in Sofia – die oppositionelle GERB verpasste die absolute Mehrheit deutlich.Bild: STOYAN NENOV/REUTERS
Parlamentswahlen

Konservative gewinnen Wahlen in Bulgarien – 6 Probleme bleiben ungelöst

06.10.2014, 10:30
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In Bulgarien hat die konservative Partei GERB die vorgezogene Parlamentswahl klar gewonnen, aber die absolute Mehrheit verfehlt. Wahlbeobachter berichten von einer insgesamt deprimierten Gesamtstimmung in der Bevölkerung.

Für die oppositionelle GERB von Ex-Regierungschef Boiko Borissow stimmten 32,5 Prozent der Wähler, wie die Zentrale Wahlkommission (ZIK) am Montag nach Auszählung von gut drei Vierteln der abgegebenen Stimmen mitteilte. Die Sozialisten (BSP) kommen mit weitem Abstand auf Platz zwei mit 15,29 Prozent. Die von der BSP unterstützte Regierung war im Juli nach Dauerprotesten und der sozialistischen Wahlniederlage bei der EU-Wahl zurückgetreten.

Die sechs grossen Probleme Bulgariens
Das ärmste EU-Land Bulgarien steht nach der Wahl vor den alten Herausforderungen. Die sechs grossen Problemberge:
Korruption: Fast jeder dritte volljährige Bulgare besticht mit Geld, Geschenken oder anderen Gegenleistungen die öffentliche Verwaltung. Das ermittelte das Zentrum zur Erforschung der Demokratie (ZID) in Sofia. Das Balkanland zählt zu den korruptesten EU-Staaten.


Armut: Viele Bulgaren machen die «korrupten Politiker» für die Armut verantwortlich. Ein Fünftel der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze von 251 Lewa (154 Franken) im Monat. Das errechnete das Institut für Marktwirtschaft (IPI) in Sofia.


Strompreise: Für die meisten Rentner und Hunderttausende sozial Schwache ist die Stromrechnung im Winter unerschwinglich hoch. Diese Menschen sind auf Energiehilfen angewiesen. Die Bildung der Strompreise ist seit Jahren ein Politikum.


Gesundheitswesen: Das staatliche Gesundheitssystem droht zusammenzubrechen. Die Spitäler sind hoch verschuldet. Immer mehr Fachärzte wandern wegen der geringen Bezahlung ab. Auch im Gesundheitssystem herrscht Korruption - der Patient wird besser behandelt, wenn er draufzahlt. Private Krankenkassen gibt es nicht.


Rentensystem: Das staatliche Rentensystem muss dringend reformiert werden - eine vorbereitete Reform wurde 2013 auf Eis gelegt.


Vertrauensverlust: Die Bulgaren vertrauen kaum einer Behörde, einem Gericht oder der Politik. Das gefährdet die politische Stabilität und erschwert Krisenlösungen wie die bevorstehende Entscheidung über die Zukunft der viertgrössten Bank des Landes. (sda/dpa)

Die zuletzt mitregierende Türkenpartei DPS schnitt den Angaben zufolge mit 15,18 Prozent sehr gut ab. Die Parteien auf den Plätzen zwei und drei könnten noch ihre Plätze tauschen, wenn alle Stimmzettel ausgezählt sind. Der konservative Reformblock um Ex-EU-Kommissarin Meglena Kunewa zieht mit 8,5 Prozent erstmals ins Parlament ein.

Die Vier-Prozent-Hürde haben nach den bisherigen Angaben noch vier kleine Parteien geschafft: der nationalistische Patriotische Front (7,3 Prozent), die populistische Bulgarien ohne Zensur (5,5 Prozent), die nationalistische Ataka (4,6 Prozent) und die von den Sozialisten abgespaltene ABW (4,1 Prozent).

Urteil der Schweizer Wahlbeobachter

Das amtliche Endergebnis dürfte sich verzögern. Die Auszählung ist kompliziert, weil viele Bulgaren im Ausland - vor allem in der Türkei und in den USA - gewählt haben. Auch der Urnengang im Land sei nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen, teilte die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala in der Nacht auf Montag mit.

Sie leitete die Wahlbeobachtermission des Europarats in Bulgarien. Ihr Team habe das Prozedere zuerst in der Hauptstadt Sofia und danach in der Provinz Plowdiw verfolgt. Letztere beheimate die grösste Roma-Gemeinde des Landes.

Doris Fiala: die FPD-Nationalrätin amtete in Bulgarien als Leiterin des Europarat-Wahlbeobachter-Teams.
Doris Fiala: die FPD-Nationalrätin amtete in Bulgarien als Leiterin des Europarat-Wahlbeobachter-Teams.Bild: KEYSTONE

«In einigen Wahllokalen waren bis zu 70 Prozent der wählenden (türkischen) Sprachminderheit der bulgarischen Sprache nicht mächtig, was das Wahlverfahren natürlich sehr erschwerte», lautete Fialas Fazit.

Die Beauftragten in den besuchten Wahllokalen hätten sich «sehr bemüht» gezeigt, einen einwandfreien Job zu machen. Das habe aber nicht von der insgesamt deprimierten und «von wenig Hoffnung geprägten Gesamtstimmung der Bevölkerung» abzulenken vermocht. 

(wst/sda/dpa)

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