Artur Jorges Nati-Debüt geht gründlich in die Hose. Nach dem blamablen 1:1 in Luxemburg titelt die grösste Schweizer Boulevard-Zeitung: «Senhor Jorge, so wird unsere Nati morsch!» Auch das zweite Testspiel unter dem Portugiesen geht in die Hose. Nach dem nicht weniger blamablen 0:1 in Österreich muss am 24. April 1996 im dritten Test vor der EM 1996 unbedingt ein Sieg her.
Einen «kaum fassbaren» Trainer nennt Alain Sutter seinen neuen Chef in der Schweizer Fussball-Nati vor dem Testländerspiel gegen Wales in Lugano. Jorge zementiert Sutters Eindruck mit einer unkonventionellen Ankündigung.
Aus heiterem Himmel beschliesst der Portugiese, der im Herbst als Nachfolger für den zu Inter Mailand abwandernden Roy Hodgson bestimmt wurde, das erfolgreiche System seines Vorgängers zu ändern. Statt mit einem 4-4-2 werde er in Zukunft ein 4-3-3 spielen lassen. Eine Erläuterung gibt es nicht, auch nicht für die Spieler.
So laufen gegen Wales im Sturm Kubilay Türkyilmaz, Marco Grassi und Stéphane Chapuisat auf, der treffsichere Adrian Knup sitzt vorerst nur auf der Bank – genauso wie Alain Sutter. Der WM-Held von 1994 muss im Mittelfeld dem defensiver ausgerichteten Debütanten Raphael Wicky Platz machen.
«Meine Aufstellung gegen Wales ist frech. Aber wenn ich jetzt nicht testen kann, wann dann? Ich habe mir alles gut überlegt», sagt Jorge, der vor seinem Nati-Job den FC Porto und Paris St-Germain zu mehreren Titeln geführt hat, selbstbewusst.
So selbstbewusst wie ihr Trainer treten die Schweizer gegen Wales im mit 8500 Zuschauern gut gefüllten Cornaredo dann aber nicht auf. Die Schweiz tut sich gegen den «harmlosesten Gegner, der sich in den letzten zehn Jahren in der Schweiz vorgestellt hat» («Blick») lange schwer.
Als die Stars Knup und Sutter in der zweiten Halbzeit eingewechselt werden, steht es aber dennoch längst 2:0 für die Schweiz. Der Gegner hilft dabei kräftig mit: Chris Coleman trifft zunächst per Kopf ins eigene Tor, vor dem Penalty-Treffer von Türkyilmaz holt er Grassi unsanft von den Beinen.
Die Erleichterung über den Sieg ist den Protagonisten nach der Partie anzusehen. «Wir sahen einen interessanten Match, den wir schlecht begonnen, aber gut beendet haben», bilanziert Jorge nach der Partie. «Ich bin mit meinen Spielern zufrieden. Jeder hat das Maximum gegeben.»
Doch die Unruhe im Team wächst schnell wieder. Nicht nur, weil die Fan-Lieblinge Sutter und Knup zu Reservisten degradiert wurden. Nach dem Wales-Spiel wird bekannt, dass die Nati-Stars beim letzten Training vor der Partie gestreikt haben. Captain Sforza und Co. können sich mit dem Verband nicht über die EM-Prämien einigen.
Rund einen Monat später sorgt Jorge selbst wieder für die Knaller-Meldung: Knup und Sutter werden vom Portugiesen nicht fürs EM-Kader berücksichtigt. «Ich habe die Spieler nominiert, die in mein Konzept passen und stehe zu dieser Wahl, auch wenn sie einige nicht verstehen», rechtfertigt sich der Nati-Trainer. Die beiden Superstars, die Medien und vor allem die Fans verstehen die Welt nicht mehr. Der «Blick» wartet mit der legendären Schlagzeile «Jetzt spinnt er!» auf.
Als die Schweiz an der EM in England trotz eines 1:1 im Eröffnungsspiel gegen den Gastgeber schliesslich sang- und klanglos ausscheidet, hat Jorge auch den letzten Kredit verspielt. Die Presse startet eine Hetzkampagne gegen den berühmtesten Schnauz, den die Fussball-Schweiz je gesehen hat. Die Spieler mischen fleissig mit. «Jorge hat in diesem halben Jahr in der Schweiz viel kaputt gemacht», sagt Captain Sforza beispielsweise nach der EM.
Der Verband hält Jorge die Stange, doch der Portugiese hat Ende Juli genug. Er räumt freiwillig seinen Posten. Seine Bilanz: Sieben Spiele, ein Sieg, zwei Unentschieden, vier Niederlagen. Jorges Nachfolger wird Rolf Fringer. Doch auch der Aarauer Meistertrainer von 1993 wird sich an der zerstrittenen Mannschaft die Zähne ausbeissen. Bei seinem Debüt verliert die Nati gegen Aserbaidschan 0:1. Das «Debaku» gilt heute noch als die grösste Schmach im Schweizer Fussball. Im Februar 2024 stirbt Jorge 78-jährig.
Ist das wirklich Sascha Ruefer?