Bundespräsident Didier Burkhalter argumentiert mit allem Möglichen, wenn es um die Frage der Sanktionen gegen Russland geht – nur nicht mit der Neutralität. Auf diese Diskussion, die Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) vergangene Woche in einem Interview auslösen wollte, geht die Landesregierung nicht ein.
«Unter Neutralität verstehen wir im Bundesrat alle dasselbe», wischte Burkhalter eine kritische Journalistenfrage beiseite. Ausgedeutscht heisst das: Die Neutralität ist kein Thema und sie spielt bei der Beurteilung der Sanktionenfrage auch keine grosse Rolle.
Dem Bundespräsidenten geht es um die «Glaubwürdigkeit» der Schweiz, um das «Recht» und um die «Unabhängigkeit». «Wir sind weder Mitglied der Nato noch der EU. Wir sind ein unabhängiges Land mit einer eigenen Politik.» Aus diesem Grund sei die Schweiz auch nicht verpflichtet, die Sanktionen der EU oder der USA mitzutragen.
So viel zur Theorie. In der Praxis aber schliesst sich die Schweiz den Massnahmen ihrer wichtigsten Wirtschaftspartner dennoch an. Die Reisebeschränkungen etwa, die die EU für 33 russische und ukrainische Spitzenpolitiker verfügt hat, gelten auch für die Schweiz. Der Grund: Als Schengen-Mitglied ist die Schweiz in dieser Frage gar nicht autonom. Ein Reiseverbot für den Schengen-Raum gilt automatisch auch für die Eidgenossenschaft.
Der Bundesrat scheint sich an dieser Tatsache kaum zu stören. Viel eher kommt sie ihm zupass. So kann er sich getrost hinter der EU verstecken und gegenüber Moskau so tun, als hätte die Schweiz keine andere Wahl – die sie freilich in Ausnahmefällen durchaus hätte.
Den aktuellen und künftigen Sanktionen der EU und der USA im Finanzbereich schliesst sich der Bundesrat formell ebenfalls nicht an. Hier will die Schweizer Regierung aber sicherstellen, dass das Land nicht für Umgehungsgeschäfte genutzt werden kann (siehe Artikel unten). Gleichzeitig behält sich der Bundesrat die Möglichkeit vor, die von der EU, den USA oder anderen Ländern verhängten Sanktionen je nach Entwicklung der Situation ganz oder teilweise zu übernehmen.
Burkhalter erklärt die Politik des Bundesrats mit der internationalen Glaubwürdigkeit. «Wir wollen allen Konfliktparteien unsere Guten Dienste anbieten.» Gerade auch als amtierender Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dürfe er deshalb auf keinen Fall Türen zuschlagen.
Die Haltung des Bundesrats ist innenpolitisch für einmal breit abgestützt. An einer Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vom Dienstag trat niemand für harte Sanktionen gegen Russland ein. Die Gründe dafür sind vielfältig. Während es der SVP um eine strikte Neutralität geht, wollen Bürgerliche und Linke weder die aktuell guten Beziehungen zu Russland noch die Schweizer Vermittlerrolle im Rahmen der OSZE-Präsidentschaft untergraben.
Bei zahlreichen Politikern schwingt zudem die Unlust mit, sich den EU-Sanktionen einfach so anzuschliessen. Verbreitet ist im Bundeshaus nämlich die Ansicht, dass die EU an der schwierigen Situation in der Ukraine eine politische Mitverantwortung trägt. Insofern ist die Position des Bundesrats indirekt auch als Distanzierung von Brüssel zu lesen – ohne dies freilich an die grosse Glocke hängen zu wollen.
Die Sanktionenpolitik war in der jüngsten Geschichte der Schweiz stets umstritten. 1990 entschied sich der Bundesrat, künftig UNO-Sanktionen mitzutragen. So hat die Schweiz etwa gegen den Irak, Libyen oder Haiti Strafmassnahmen ergriffen. 1993 reduzierte die Landesregierung die Neutralität auf ihren völkerrechtlichen Kern – die Nichteinmischung in militärische Konflikte.
In der Folge schloss sich die Schweiz oft der Sanktionspolitik der EU an. Seit dem 1. Januar 2003 bildet das Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen (Embargogesetz) die rechtliche Grundlage für die Umsetzung von Sanktionsmassnahmen.