Die Hilfsorganisation Norwegian Refugee Council (NRC) veröffentlichte am Montag ihren jährlichen Bericht, in dem sie die weltweit zehn von Politik, Medien und Gebern am stärksten vernachlässigten Flucht- und Vertreibungskrisen ausmacht. Bis auf eine Ausnahme sind diese alle in West- und Zentralafrika oder einem angrenzenden Staat. Zu den Zahlen von 2023 schreibt NCR:
Mehr als 26 Millionen Menschen sind allein in West- und Zentralafrika und angrenzenden grossen Konfliktstaaten auf der Flucht. Humanitäre Organisationen schlagen Alarm: Die wachsenden Krisen erhielten kaum politische und mediale Aufmerksamkeit und viel zu wenig Finanzierung, um die Not zu lindern. Der Grossteil der Menschen sucht innerhalb der eigenen Landesgrenzen Schutz. Bei der Verschlechterung der Lage und angesichts knapper Mittel könne sich das aber ändern, wenn den Menschen nicht mehr vor Ort geholfen werden könne, sagte der Regionaldirektor für West- und Zentralafrika des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR), Abdouraouf Gnon Kondé, der Deutschen Presse-Agentur.
In den Top Ten der vergessenen Krisen sind Burkina Faso, Kamerun, die Demokratische Republik Kongo, Mali, der Niger, Honduras, der Südsudan, die Zentralafrikanische Republik, der Tschad und schliesslich der Sudan.
Die Übersicht.
Schon zum zweiten Mal in Folge setzt sich Burkina Faso an die traurige Spitze der am meisten vernachlässigten Krisen. Im westafrikanischen Staat mit rund 23 Millionen Einwohnern sind nach UNHCR-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. 707'000 davon sind alleine vergangenes Jahr hinzugekommen.
Die meisten finden in anderen Dörfern und Städten Zuflucht, was zu enormem Druck auf die knappen Ressourcen führt. Bis zu zwei Millionen Menschen waren zudem nach Angaben von NRC in Orten gefangen, die unter der Blockade von islamistischen Terrormilizen standen. Bislang spielt sich die Flüchtlingskrise grösstenteils im Land ab, doch die Zahl der Burkinabé, die ins Ausland flohen, verdreifachte sich 2023 auf mehr als 148'000 Menschen.
Schon seit sieben Jahren schwelt in Kamerun ein gewalttätiger Konflikt zwischen dem von französischsprachigen Eliten dominierten Zentralstaat und Separatisten in den englischsprachigen Regionen im Westen an der Grenze zu Nigeria. Weder die Medien noch die internationale Gemeinschaft schenken dem Land grosse Aufmerksamkeit.
Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Vom humanitären Hilfsplan wurden vergangenes Jahr bloss 32 Prozent finanziert – die tiefste Zahl seit 2016.
Der zentralafrikanische Küstenstaat zählt nach UNHCR-Angaben insgesamt mehr als 1,6 Millionen Menschen, die weiter im Land auf der Flucht sind oder versuchen, in ihre Heimat zurückzukehren. Dazu kommen fast 500'000 Flüchtlinge aus den Nachbarländern. 2,5 Millionen Menschen leiden unter einem gefährlichen Mangel an Nahrungsmitteln.
Das Land grenzt im Norden an den Tschadsee, wo ein Konflikt mit islamistischen Terrormilizen wie der nigerianischen Boko Haram herrscht.
Der Osten der Demokratischen Republik Kongo gilt als eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Seit einem Vierteljahrhundert begehen Dutzende bewaffnete Gruppen hier immer wieder Anschläge. Vielen von ihnen geht es um die Kontrolle strategisch wichtiger Bodenschätze wie Coltan, Kobalt, Gold und Diamanten. Zuletzt eskalierte der Konflikt, mehr als 1,6 Millionen Menschen mussten laut NRC in anderthalb Jahren in den Provinzen Nord-Kivu und Ituri fliehen. Nach UNHCR-Angaben waren im April 7,2 Millionen Menschen im Land als Vertriebene auf der Flucht sowie eine weitere Million im Ausland. Zusätzlich beherbergt das Land mehr als 500'000 Flüchtlinge aus anderen Staaten.
Wie NCR schreibt, griffen die Menschen zunehmend auf negative Bewältigungsmechanismen zurück, um zu überleben. Zum Holz sammeln oder verkaufen gingen sie etwa in gefährliche Gebiete, in denen sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung sein sollen. Zudem komme es immer öfters vor, dass die Menschen gegen Lebensmittel, Geld und andere Möglichkeiten sexuelle Gefälligkeiten austauschten.
In Mali zählt das UNHCR zuletzt rund 350'000 aktuell Vertriebene im Land, rund 93'000 Flüchtlinge aus anderen Ländern sowie mehr als 800'000 Malier, die Hilfe bei der Rückkehr benötigen. Im Niger suchen mehr als 400'000 Einwohner sowie mehr als 400'000 Menschen aus anderen Ländern Zuflucht.
Das Land in der Sahelzone wird seit 2021 von einer Militärjunta regiert und immer wieder von Milizen terrorisiert.
Der Niger galt einst als Symbol der Stabilität in Westafrika. Doch mit dem Putsch im Juli 2023 verlor das Land mit seiner neuen Militärjunta die politische und finanzielle Unterstützung westlicher Länder.
Wie der UNHCR-Regionaldirektor Kondé erklärt, führten verfassungswidrige Militärregimes manchmal dazu, dass humanitäre Hilfe ausgesetzt würde. Ein grosses Problem für die unschuldige Zivilbevölkerung, weshalb Kondé betont:
NCR geht davon aus, dass sich die Krise in diesem Jahr noch verschlimmern wird.
Die vielseitige Krise in Honduras schaffte es im vergangenen Jahr nicht häufig in die Medien und der humanitäre Hilfsplan von 280'000 Millionen Dollar wurde nur zu 15 Prozent gedeckt – die am stärksten unterfinanzierte Krise dieser Liste.
Laut NCR waren 2023 3,2 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen gewesen. Als besonders problematisch hebt NCR die hohe Rate an Femiziden hervor: In Honduras wird fast jeden Tag eine Frau getötet.
All diese Faktoren trieben im letzten Jahr fast 250'000 Menschen auf die Flucht. 56'000 Menschen kehrten wieder in ihre Heimat zurück – viele von ihnen gezwungenermassen.
NCR warnt, dass sich die Situation zu verschlechtern drohe, wenn die UN keinen humanitären Hilfsplan für Honduras einführe.
Der Südsudan leidet schon lange unter der politischen Situation. Seit 2013 wurde laut NCR jeder dritte Mensch im Sudan vertrieben.
Mehr als 4 Millionen Menschen mussten ihre Häuser verlassen, 2,2 Millionen davon verliessen auch gleich das Land. Einige suchten im Sudan aber auch Zuflucht: 500'000 Menschen flohen vor dem im April 2023 ausgebrochenen Krieg im Nachbarland Sudan. Aufgrund der bereits fehlenden Ressourcen eine weitere grosse Belastung für das Land.
Neun Millionen Menschen – also 70 Prozent der Bevölkerung – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
In dem Land mit mehr als fünf Millionen Einwohnern sind nach Angaben des UNHCR mehr als 500'000 Menschen auf der Flucht, während weitere 500'000 ehemalige Vertriebene Hilfe bei der Rückkehr benötigen. Rund 70'000 Flüchtlinge kamen aus benachbarten Ländern. Das trotz Diamanten und Gold verarmte Land kommt seit einer Rebellion 2013 nicht zur Ruhe, es kommt immer wieder zu Übergriffen durch bewaffnete Gruppen ebenso wie zu Verbrechen, die russischen Söldnern vorgeworfen werden. «Die chronische Vertreibung beeinträchtigte den sozialen Zusammenhalt in Gemeinschaften und behinderte die Möglichkeit des Wiederaufbaus des Landes», warnen die NRC-Autoren.
Mit 59 Prozent wurde in der Zentralafrikanischen Republik ein grösserer Anteil der benötigten humanitären Hilfe finanziert als in anderen Ländern auf dieser Liste. Für das Land stellt dies allerdings einen starken Rückgang im Vergleich zu vergangenen Jahren dar.
Tschad ist laut NCR eines von mehreren Ländern, dass von der weltweiten Vernachlässigung der Sudankrise betroffen ist. Fast 40 Prozent aller sudanesischen Flüchtlichen sind im vergangenen Jahr im benachbarten Tschad untergekommen, wo bereits zuvor Hunderttausende Sudanesen teils seit 2003 Zuflucht gesucht hatten. Der Tschad beherbergt zudem Flüchtlinge aus anderen Nachbarländern sowie rund 200'000 eigene Binnenvertriebene.
Das Land in der afrikanischen Sahelzone hat gemäss NCR eine der höchsten Hungerquoten der Welt, 42 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Der Ausbruch eines Quasi-Kriegs zwischen der Armee und dem mächtigen Paramilitär im Sudan im April vergangenen Jahres stürzte das Land am östlichen Rand der Sahelzone in eine humanitäre Katastrophe. Die UN bezeichnen den Sudan mittlerweile als weltweit grösste Vertreibungskrise. Ein Jahr nach dem Ausbruch waren nach UNHCR-Angaben fast neun Millionen Menschen auf der Flucht, darunter 6,8 Millionen im Land und 1,9 Millionen Menschen, die ins benachbarte Ausland geflohen waren.
(saw mit Material der Nachrichtenagenturen SDA und DPA)
So kann man auch versuchen, die Legitimität einer Militärjunta zu stärken 🤦🏽♂️
Leider gehöre ich auch zu denen, die das nicht so mitbekommen, was da in Afrika & Co passiert. Es schüttelt mich grad. Und teilweise passieren diese Sachen auf Kosten unseres Wohlstandes im Westen. 😟