«Don’t!» hat Joe Biden den Israeli nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober geraten. Der US-Präsident verwies dabei auf das Debakel, welche die überzogene Militäraktion der amerikanischen Truppen nach dem 11. September letztlich zu Folge hatte und riet Benjamin Netanjahu zu Mässigung. Der israelische Ministerpräsident kümmerte sich einen Deut um den Rat aus Washington und führt heute einen brutalen Krieg im Gaza-Streifen.
«Don’t!», hat Biden auch in Richtung Teheran gerufen, nachdem die israelische Luftwaffe ein Gebäude der iranischen Botschaft in Damaskus zerstört und dabei mehrere ranghohe Offiziere getötet hatte. Auch die Mullahs drehen Biden eine Nase. Um sich an Israel zu rächen, haben sie am vergangenen Wochenende Israel mit hunderten von Drohnen und Cruise-Missiles angegriffen.
Die beiden Vorfälle legen natürlich die Frage nahe: Hat die einst unbestrittene Leitmacht im Nahen Osten überhaupt noch etwas zu sagen?
Dass der amerikanische Einfluss in dieser Gegend an Schwindsucht leidet, ist offensichtlich. Zumindest teilweise ist dies auch gewollt. Die Amerikaner haben die Lust an einem Engagement im Nahen Osten verloren, und sie sind auch nicht mehr darauf angewiesen. Dank des Frackings stehen sie energiepolitisch auf eigenen Füssen. Geopolitisch hat sich der amerikanische Blick in Richtung Pazifik und China verschoben.
Schon Barack Obama war deshalb sichtlich bemüht, das amerikanische Engagement im Nahen Osten abzubauen. Im Krieg in Syrien sprach der damalige amerikanische Präsident zwar von «roten Linien», die nicht überschritten werden dürfen. Als jedoch der syrische Diktator Baschar al-Assad einen Giftanschlag auf die eigene Bevölkerung verübte, reagierte er bloss mit hilflosen und wirkungslosen Protesten.
Den Iran wollte Obama mit einem von den USA ausgehandelten und von den fünf UNO-Vetomächten mitunterzeichneten Atomabkommen davon abhalten, eine Atombombe zu entwickeln. Kaum war es in Kraft getreten, wurde es von Donald Trump auch schon wieder aufgekündigt. Obamas Nachfolger brüstete sich auch, den IS-Terror besiegt zu haben. Gleichzeitig liess er jedoch den wichtigsten Verbündeten in diesem Kampf, die Kurden, im Stich und zog die amerikanischen Truppen nach der Niederlage des IS weitgehend ab. Trumps damaliger Verteidigungsminister James Mattis trat in der Folge aus Protest zurück.
Auch politisch und wirtschaftlich hat das amerikanische Wort an Wirkung verloren. Als Biden die Saudis bat, die Ölförderung zu erhöhen, machte Mohammed bin Salman (MBS), der starke Mann im Golfstaat, genau das Gegenteil, er drosselte die Ölförderung. Und als es darum ging, Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine zu isolieren, empfing MBS demonstrativ Wladimir Putin in Riad.
Kein Wunder also kann der US-Präsident heute «Don’t!» rufen bis er blau im Gesicht ist. Genau das wird ihm von seinen Gegnern im eigenen Land auch vorgeworfen. Republikanische Hardliner wie der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton oder Mike Turner, ein bedeutender Abgeordneter in militärischen Fragen, werfen Biden Schwäche vor und fordern eine härtere Gangart gegen den Iran. Trump schwafelt derweil einmal mehr davon, dass mit ihm als Präsidenten das alles natürlich niemals geschehen wäre.
Doch ist diese Kritik berechtigt? Sind die USA tatsächlich zu einem Papiertiger geworden? Gegen diese Thesen gibt es einige und gewichtige Einwände.
Biden hat nach dem Massaker vom 7. Oktober rasch und umsichtig gehandelt. Er hat gleich zwei Flugzeugträger in die Region geschickt und damit eine deutliche Warnung an den Iran ausgesandt, seine Glaubensbrüder der Hisbollah im Libanon zurückzuhalten. Auch die Huthis im Jemen haben mittlerweile aufgehört, den Schiffsverkehr im Roten Meer zu behindern. Sie taten dies nicht etwa aus Einsicht, sondern nach mehreren und harten Militärschlägen der Amerikaner.
Vor allem jedoch ist der militärische Triumph der Israelis nur mithilfe der Amerikaner möglich geworden. Und ein Triumph war es. Fast alle Geschosse, die vom Iran in Richtung Israel abgefeuert wurden, wurden abgefangen. In einem Gastkommentar im «Wall Street Journal» stellt der ehemalige General der US-Marine, Kenneth McKenzie, denn auch unmissverständlich fest: «Der Angriff (der Iraner) vom Sonntagmorgen war schlecht ausgeführt und eine strategische Fehlkalkulation. Er hat die Verwundbarkeit der iranischen Militärs aufgezeigt und das Regime massiv geschwächt. Israel ist dank seiner eindrücklichen Demonstration militärischer Kompetenz gestärkt worden, ein deutlicher Unterschied zu dem, was wir am 7. Oktober gesehen haben.»
Einmal mehr schickt Joe Biden daher eines seiner «Don’ts» in Richtung Jerusalem. «Nimm den Sieg mit», soll er Netanjahu in einem Telefongespräch geraten und davor gewarnt haben, jetzt einen raschen Vergeltungsschlag gegen den Iran ins Auge zu fassen. Ein solcher Gegenschlag, beispielsweise gegen die Atomfabriken oder die Raffinerien der Mullahs, könnten eine Gewaltspirale mit unwägbarem Ausgang in Betrieb setzen.
Verschiedene historisch versierte Beobachter vergleichen die Situation daher mit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Auch damals schlafwandelte Europa in ein Desaster, das eigentlich niemand wollte. Heute besteht die Gefahr, dass im Nahen Osten eine ähnliche Dynamik entstehen könnte.
Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied: Im Ersten Weltkrieg geriet ein absurder Nationalismus ausser Kontrolle. Heute jedoch geht es darum, ob die liberale Weltordnung unter dem Schutz der USA Bestand hat oder nicht. Die Mitglieder der neuen «Achse des Bösen» – Russland, China und der Iran – setzen alles daran, dieser Ordnung den Garaus zu machen. Was sich derzeit im Nahen Osten abspielt, kann daher auch als Vorgeplänkel gesehen werden für den Versuch, die westliche Demokratie und den Rechtsstaat zu stürzen.
Leider sind die Fronten in diesem epochalen Kampf nicht so klar gezogen. Israel mag zwar immer noch die einzige Demokratie im Nahen Osten sein. Das Land hat jedoch nur noch wenig mit den Idealen seines Staatsgründers David Ben-Gurion zu tun. Dieser wollte eigentlich einen demokratischen Bauern- und Arbeiterstaat errichten.
Heute kann sich Netanjahu nur noch mit der Unterstützung von rechtsextremen religiösen Fanatikern an der Macht halten. Der Premierminister selbst ist zudem alles andere als ein lupenreiner Demokrat. Netanjahu lässt sich problemlos in die Reihe von Putin, Orbán, Erdogan & Co einordnen. Sein menschenverachtendes Vorgehen im Gazastreifen sorgt dafür, dass Israel in den Augen der Weltöffentlichkeit immer mehr zum Paria-Staat wird.
Die grösste Gefahr droht jedoch aus dem Innern der USA selbst. Einmal mehr ist der amerikanische Isolationismus auf dem Vormarsch. Nicht nur die Rolle der USA als Weltpolizist ist damit gefährdet. Sollte Trump im kommenden November die Wahlen gewinnen, dann stehen Demokratie und Rechtsstaat auf dem Spiel – nicht nur in Nordamerika, sondern weltweit.
Der Weltfinanzmarkt ist grösstenteils unter der Kontrolle der USA. So laufen über ihre Börsen 45% des weltweiten Wertpapierhandels. Die 5 grössten Privatbanken der USA verwalten 65% des weltweiten Vermögens.
Ich sage, dass die einstige US-Superkraft, der Kapitalismus, dafür verantwortlich ist. Früher war dieser die Grundlage für den American Dream, inzwischen wird dieser Traum durch das Kapital verhindert. Der US-Geldadel verhält sich wie der europäische Blutadel von einst. Vom Pöbel will man leben. Doch man will nicht, dass der Pöbel mehr vom Kuchen bekommt. Dann würde man selbst ja weniger davon bekommen. Gilt für Dems und Reps.