Da sässen sie, weil sie keine Lust hätten zu arbeiten, schimpft ein älterer Mann am Montagmorgen am Rand des Berliner Ernst-Reuter-Platzes. Sein derangierter Zustand lässt daran zweifeln, ob er selbst einer geregelten Arbeit nachgeht; diejenigen, über die er sich echauffiert, sitzen in orangefarbenen Warnwesten auf der Strasse.
Der Ernst-Reuter-Platz ist eigentlich kein Platz, sondern ein grosser Verkehrskreisel im Westen der deutschen Hauptstadt; wer hier die Autos zum Stehen bringt, legt einige der wichtigsten Achsen der Metropole lahm. Die Sitzenden gehören der «Letzten Generation» an, einer Gruppierung radikaler Klimaaktivisten. Diese Woche wollen sie Berlin blockieren.
Auf dem Ernst-Reuter-Platz erreichen sie ihr Ziel nur teilweise: Mithilfe von Lösungsmittel entfernen Polizisten die Hände der Aktivisten rasch vom Asphalt, auf dem sich die Klimabewegten festgeklebt haben. Immer dabei ist eine Beamtin mit einer Videokamera. Mögliche Vorwürfe, allzu ruppig vorgegangen zu sein, scheinen die Ordnungshüter nötigenfalls durch Filmaufnahmen entkräften zu wollen.
Um neun haben die Polizisten das Gros der Aktivisten bereits aufs Trottoir verfrachtet. Nur ein Mann klebt noch. Weil sich seine Hand offenbar nicht vom Strassenbelag entfernen lässt, muss stattdessen der Belag von der Strasse weg. Mit Fräse, Stemmeisen und Schlagbohrer machen sich die Beamten ans Werk; den Aktivisten haben sie mit Ohrenschützer und Schutzbrille ausgestattet, um ihn vor Lärm und Staub zu bewahren.
Derweil fliesst der Verkehr wieder auf einer Spur vorbei; meist sind es die Fahrzeuge von Handwerksbetrieben oder Bauunternehmen, aus denen heraus der Dauerkleber beschimpft wird. Die Szenerie lädt zu oberflächlichen soziologischen Studien ein: Während die Studenten der nahen Technischen Universität kopfschüttelnd vorüberhasten, scheinen jene der ebenfalls nahen Universität der Künste das Ganze als eine Art Happening zu sehen: Das sonnige Wetter lädt zum Zuschauen ein. Die Polizei wiederum wirkt ethnisch diverser als die bleichhäutigen Aktivisten.
Die Blockaden vom Montag sind die bisher grösste Aktion der «Letzten Generation» in Deutschland. Am vergangenen Wochenende beschmierten die Aktivisten bereits die Filialen von Rolex, Prada und Gucci auf dem Kurfürstendamm und zeigten damit, dass ihr Protest auch eine antikapitalistische Stossrichtung hat: «Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten», liessen die Klimabewegten verlauten.
Eine Sprecherin der «Letzten Generation» sprach am Montag von einem Erfolg: «Unsere höchsten Erwartungen wurden deutlich übertroffen.» An 27 Verkehrsknotenpunkten in Berlin sei es zu Protesten gekommen, also an dreimal so vielen wie im letzten Herbst. Laut Polizei waren aber bereits am Vormittag 20 Blockaden wieder beseitigt. Über 40 Personen seien in Gewahrsam genommen worden, hiess es.
Verständnis für ihr Anliegen dürften die Mitglieder der «Letzten Generation» durch ihre Methoden kaum wecken. Wie der Berliner «Tagesspiegel» berichtet, seien am Montag mindestens 15 Rettungswagen blockiert worden. Im vergangenen Oktober hatten die Aktivisten den Zorn vieler Bürger auf sich gezogen, nachdem ein Rettungswagen wegen einer Blockade verspätet an einen Unfallort gelangte; eine Velofahrerin starb. Verantwortung für den Tod der Frau trage die «Letzte Generation» aber nicht, heisst es in einem Bericht der Berliner Staatsanwaltschaft.
Unterdessen laufen in ganz Deutschland rund 3000 Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der Gruppierung; im württembergischen Heilbronn wurde letzte Woche ein Mitglied wegen Nötigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.
Mittlerweile steht die «Letzte Generation» auch innerhalb der Klimabewegung isoliert da: Die deutschen Grünen kritisieren die Aktivisten für ihren «elitären und selbstgerechten Protest», und auch die Kollegen von «Fridays for Future» haben sich von der radikaleren «Letzten Generation» distanziert.
Am Berliner Ernst-Reuter-Platz ist bereits am frühen Nachmittag wieder Ruhe eingekehrt. Ein Dutzend Aktivisten kauert auf dem Trottoir – von Polizisten abgeschirmt, sodass ein Gespräch nicht möglich ist. Noch einmal bricht sich das Volksempfinden Bahn: «Wir hassen euch bis aufs Blut», brüllt ein Passant mittleren Alters. Auch den Mann, der sich so hartnäckig festgeklebt hatte, haben die Beamten mittlerweile aus dem Asphalt herausgefräst. Zurück bleibt ein Schlagloch mehr auf Berliner Strassen.
und habe ich die "Rettungswagenstory" (nicht die mit der verstorbenen Velofahrerin) richtig gelesen: die Aktivisten bezichtigen die Feuerwehr der Falschinformation, dabei erzählen sie selbst nicht mal die Wahrheit?!