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Eidgenössisches Turnfest 2025 in Lausanne: Diese 5 Punkte liefen schief

KEYPIX - Des gymnastes de Winterthour transportent une tente dans le camping sud de la Bourdonnette avant le deuxieme week-end des festivites, a l'occasion de la 77eme Fete federale de gymnastiqu ...
Alles lief nicht rund am Eidgenössischen Turnfest in Lausanne.Bild: KEYSTONE

Darum lief am Eidgenössischen Turnfest so viel schief

65’000 Turnerinnen und Turner und 4500 Freiwillige. Das Eidgenössische Turnfest in Lausanne war ein Riesenevent. Bei der Organisation ging aber einiges daneben.
25.06.2025, 18:1025.06.2025, 18:10
Reto Heimann
Reto Heimann
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Am Sonntag ging das Turnfest in Lausanne zu Ende. Eine «Ode an den Turnsport» sei das Fest gewesen und es «hinterlässt einen bleibenden Eindruck in den Herzen der Turnerinnen und Turner», ist in der abschliessenden Medienmitteilung zu lesen.

watson hat mit mehreren Turnerinnen und Turnern sprechen können. Tatsächlich hat das Eidgenössische Turnfest bei ihnen allen einen bleibenden Eindruck hinterlassen – allerdings nicht nur positiv. Falsche Zeitmessungen, chaotische Einsatzpläne, auslaufende Toiletten: Am Eidgenössischen Turnfest lief vieles schief.

Eines betonen alle Personen, mit denen watson gesprochen hat: Es sei völlig verständlich, dass bei einem nationalen Anlass, der nur dank des Engagements Tausender Freiwilliger überhaupt möglich ist, Fehler geschehen. «Dass aber so viel falsch läuft wie in Lausanne, das habe ich so noch an keinem anderen Turnfest erlebt», sagt ein Turner.

Falsche Zeitmessungen

Viele der Turnerinnen und Turner, mit denen watson gesprochen hat, sagen: Das Eidgenössische Turnfest sei wichtig für den Zusammenhalt, ein geselliges Beisammensein unter Freundinnen und Freunden. Ein riesiges Vereinsfest.

Daneben ist ein Turnfest aber eines natürlich auch immer: ein sportlicher Wettkampf. Und dafür ist es essenziell, dass die sportlichen Leistungen richtig gemessen werden. Etwas, das in Lausanne nicht immer funktioniert hat.

Das berichtet ein Turner, der als Sechskämpfer am Turnfest teilgenommen hat. Gleich am Donnerstag, dem ersten Wettkampftag, sei die offizielle Zeitmessung komplett ausgefallen. Gegenüber watson bestätigen mehrere Teilnehmende, dass den Kampfrichtern teilweise nichts anderes übrig geblieben sei, als die Zeiten von Hand zu stoppen und die Resultate auf Zetteln aufzuschreiben.

Aber auch das habe mehr schlecht als recht funktioniert: «Am Schluss sind wir zwei Stunden später in den Wettkampf gestartet als geplant», sagt der Sechskämpfer. Zudem sei die Kommunikation schlecht gewesen. «Man hat nie recht gewusst, wann gestartet wird und wie es weitergeht. Als Wettkämpfer ist das suboptimal, weil du ja warm bleiben musst.» Dementsprechend angespannt sei die Stimmung gewesen.

«Als Wettkämpfer zwei Stunden zu spät in den Wettkampf zu starten, ist suboptimal, weil du ja warm bleiben musst.»
Sechskämpfer, der vom Zeitmessungs-Chaos betroffen war.

Viel schwerer wiegt aber, dass durch den Ausfall der offiziellen Zeitmessung die Resultate teilweise gar nicht mehr gestimmt haben. Die Zuordnung der Resultate hat nicht zu den einzelnen Athletinnen und Athleten gepasst. Resultate einzelner Athleten seien gar nicht erst aufgeschaltet worden – weil sie im Zettelchaos schlicht untergingen, berichtet ein Teilnehmer.

Zwar konnte man sich bei der Wettkampfleitung melden und so gewisse Fehler korrigieren, erklärt der Sechskämpfer. «Am Ende des Tages war das Statement der Wettkampfleitung aber klar: Nur bei den Medaillenrängen ist sicher, dass sie zu hundert Prozent stimmen.»

Dieses Statement der Wettkampfleitung liegt watson vor. In einer Mail an die Leitungen der Turnvereine zeigen sich die Veranstalter zerknirscht:

«Es schmerzt uns, dass trotz aller Bemühungen verschiedene Schwierigkeiten die Qualität des Wettkampfes und damit auch die Resultate beeinträchtigt haben.»

Die Wettkampfleitung gibt zu: «Wir wissen auch, dass einzelne Resultate auf den Sprintanlagen durch Prozessfehler nicht der sportlichen Realität entsprechen. Trotz sorgfältiger Prüfung und Korrekturen blieben Fehler bestehen – Fehler, die wir nur allzu gerne rückgängig machen würden.»

Die Wettkampfleitung bestätigt gegenüber watson, dass die elektronische Zeitmessung am 12. Juni teilweise ausgefallen sei und die Zeiten danach manuell erfasst worden seien. Davon betroffen waren rund 140 Athletinnen und Athleten des ersten Wettkampfblocks. Insgesamt hätten rund 4000 teilgenommen.

Chaos bei Freiwilligen

Schon im Vorfeld des Turnfests äusserten sich die Veranstalter gegenüber SRF besorgt, dass es zu wenige Helferinnen und Helfer geben könnte. Eine Einschätzung, die sich rückblickend als korrekt herausstellte. Erschwerend kam hinzu: Das Management, wie die verfügbaren Freiwilligen eingesetzt wurden, war alles andere als ideal.

Michelle vom Turnverein Dintikon hat das erlebt. Am ersten Wochenende des Turnfests hat sie für ihren Verein die Wettkämpfe der Jugendriege, also der Nachwuchswettkämpfe, organisiert. Konkret musste sie die Einsätze von vier Kampfrichtern koordinieren – und die wurden in den Tagen vor den Einsätzen immer wieder geändert. «Diese Änderungen wurden über das Online-Tool kommuniziert. Eine Ansprechperson gab es nicht», sagt Michelle.

watson konnte mit einem Kampfrichter sprechen. Am Abend vor seinem Einsatz als Richter im Kugelstossen wurden die Zeiten kurzfristig und ohne Begründung nach vorne geschoben. Ursprünglich wäre der 16-Jährige von 10 bis 15 Uhr eingeplant gewesen. Doch im Online-Tool stand neu: Richter beim Kugelstossen von 7 bis 17 Uhr.

«Da habe ich mich schon etwas verschaukelt gefühlt.»
Kampfrichter am Eidgenössischen Turnfest

«Ich bin dann um halb fünf Uhr morgens aufgestanden und meine Schwester hat mich mit dem Auto nach Lausanne gefahren», sagt der Kampfrichter. «Dann stand ich da in Lausanne pünktlich um sieben Uhr, aber ausser mir war niemand da.» Der Kampfrichter meldete sich beim Infostand, dort sagte man ihm aber nur, er solle warten.

Um neun Uhr sei dann ein anderer Kampfrichter gekommen, um zehn Uhr habe der Wettkampf gestartet. Also so wie ursprünglich vorgesehen. Warum sein Einsatz im Online-System angepasst wurde, weiss der Kampfrichter bis heute nicht. «Da habe ich mich schon etwas verschaukelt gefühlt», sagt er.

Das Eidgenössische Turnfest nimmt gegenüber watson schriftlich Stellung. «Für Änderungen weniger als 24 Stunden vor dem Einsatz wurden die Freiwilligen direkt angerufen, erhielten eine SMS oder eine Bestätigungsmail.» Zudem habe es eine Hotline gegeben, die während des Festes von 7 bis 20 Uhr speziell für die Freiwilligen dagewesen sei. Die Freiwilligen seien mehrmals auf die Existenz dieser Hotline hingewiesen worden.

Chaos auf dem Zeltplatz

Auch Nicole hat als Turnerin in Lausanne teilgenommen. Die chaotische Organisation habe sich durch das ganze Fest gezogen. Zum Beispiel bei den Zeltplätzen. Es gab zwei Möglichkeiten: das eigene Zelt mitzubringen oder in einem bereits aufgestellten Militärzelt zu übernachten. An sich eine super Lösung, findet Nicole. Bloss: «Die Veranstalter hatten viel zu wenig Platz eingerechnet für die Leute, die mit einem eigenen Zelt kommen.»

Zelte auf Gehwegen am Eidgenössischen Turnfest
Weil es auf dem Zeltplatz zu wenig Platz gab, wurden die Zelte auf den Gehwegen aufgestellt.

Eine sinnvolle Zuteilung, welche Turngruppe welches Zelt bezieht oder wo sie ihr eigenes aufbauen darf, gab es nicht. Welche Zelte schon belegt sind, wurde notdürftig und hastig auf handschriftliche Notizzettel gekritzelt. Die Konsequenz davon: «Die Leute stellten die Zelte auf, wo sie halt noch Platz fanden. Teils auch mitten auf den Wegen», sagt Nicole.

Handschriftliche Notizen zur Zeltzuweisen am Eidgenössischen Turnfest in Lausanne
«Tentes occupées»: Welche Zelte schon belegt sind, wurde notdürftig auf Notizzettel gekritzelt.Bild: watson

Die Veranstalter geben zu, dass auf dem Zeltplatz nicht alles rundlief: «Wir sind uns bewusst, dass einige Vereine in dieser Reaktionsphase nicht den Service erhielten, den wir uns erhofft hatten, und wir bedauern dies.»

Es sei klar kommuniziert worden, dass es nicht möglich sein werde, vor Ort ohne Reservation eine Übernachtung zu buchen.

Diese Info kam aber offensichtlich bei vielen Besucherinnen und Besuchern nicht an. «Allein in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni kamen 9000 Turnerinnen und Turner ohne Reservation auf unseren Campingplätzen an, was einen Anstieg des Bedarfs um 50 Prozent bedeutete. Dies setzte unser Empfangskonzept natürlich stark unter Druck.»

Zu wenig Essen

Mehrere Turnerinnen und Turner berichten unabhängig voneinander, dass es an Verpflegung gemangelt habe. «Bei uns im Verein haben wir irgendwann beschlossen, dass wir alle Sandwiches und Müsliriegel von zuhause mitnehmen, um auf der sicheren Seite zu sein», sagt Nicole. Denn schon am ersten Wochenende des Turnfests kauften hungrige Turnerinnen und Besucher die Tankstelle neben dem Stadion Pontaise leer, wo die Leichtathletik-Wettbewerbe stattfanden.

Auf Instagram existiert ein Kanal mit dem alleinigen Zweck, die Fails des Eidgenössischen Turnfests in Lausanne zu dokumentieren. Dort zu sehen: Ein kleines Bier hat 5.50 Franken gekostet ‒ und zur mehr als der Hälfte aus Schaum bestanden.

Die Veranstalter schreiben dazu: «Aufgrund der Erfahrungen mit früheren Festen, deren Details wir erhalten hatten, sah unser Verpflegungskonzept vor, dass sich die Turnerinnen und Turner auf den Festplatz am See begeben würden». Für die Wettkampfstätten sei vorerst nur ein begrenztes Angebot geplant gewesen.

Als sich abzeichnete, dass diese Lösung nicht funktioniert, hätten sie reagiert: «Zwischen den beiden Wochenenden haben wir dann alle möglichen Anpassungen vorgenommen, um das Nahrungsangebot an den Wettkampfstätten im Hinblick auf das zweite Wochenende zu verstärken.»

Urinpfützen

Die hygienischen Bedingungen am Turnfest seien teilweise prekär gewesen, berichten mehrere Augenzeugen. Ein Bild zeigt, wie sich eine Urinpfütze über den Platz am Eingang des Festgeländes zieht. «Danach hat der ganze Platz gestunken», sagt Nicole. Aufgenommen wurde das Bild am Freitag vor dem zweiten Wettkampfwochenende.

Urinlache am Eingang zum Festgelände am Eidgenössischen Turnfest in Lausanne am 20.6.2025
Am Eingang zum Festgelände wurden die Besucherinnen und Besucher von einer Urinlache begrüsst.Bild: watson

Am Samstag sei die Pfütze dann mit Holzschnitzeln überdeckt worden. Auch der Instakanal, der die Pannen des Turnfests zusammentrug, veröffentlichte Bilder von Abwasserpfützen und prekären Zuständen bei den WCs.

Zu der Situation bei den sanitären Anlagen schreiben die Veranstalter allgemein: «Wir hatten tatsächlich Verzögerungen bei den Montagen, was die Anschlüsse der Sanitäranlagen betraf. Die Situation konnte innerhalb der ersten beiden Tage der Veranstaltung behoben werden.» Danach habe es einen Pikettdienst gegeben, um auf Probleme zu reagieren.

«Fast schon wieder verdrängt»

Nicole ist es wichtig zu betonen, dass ihr klar sei, dass das Eidgenössische Turnfest ein Riesenevent ist, der fast ausschliesslich von Freiwilligen auf die Beine gestellt wird. Viele von ihnen hätten noch nie einen solchen Grossanlass organisiert. Da sei es völlig verständlich, dass Sachen schieflaufen würden. «In Lausanne kam aber schon wahnsinnig viel zusammen. Und es geht halt um essenzielle Dinge wie Hygiene, Essen und sportliche Resultate. Gerade wegen denen waren wir ja alle da.»

Auch für Michelle bleibt ein gemischtes Bild. Das zweite Wochenende, an dem sie als Turnerin in den Disziplinen Gymnastik Kleinfeld und Fachtest im Einsatz stand, hat sie als schön in Erinnerung. «Das erste Wochenende, wo ich organisiert habe, habe ich hingegen fast schon wieder verdrängt», sagt Michelle.

Mehr zum Eidgenössischen Turnfest:

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Die beliebtesten Kommentare
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Desert Rose
25.06.2025 18:31registriert Juni 2021
Einen 16-Jährigen, der pflichtbewusst einer kurzfristigen Einsatzändeung nachkommt, noch indirekt als uninformierten Kasper hinzustellen, ist der Gipfel der Unfähigkeit.
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Heini Hemmi
25.06.2025 19:19registriert November 2017
Ein Schelm, wem auffällt, dass die Sause in der Romandie „organisiert“ wurde…
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Tonii
25.06.2025 19:41registriert Februar 2019
Das sind noch nicht mal alle Fails die es gab:
- auch die Übernachtung in den Militärzelten hat nicht funktioniert. Dort gab es Doppelbelegungen und einige Vereine waren ohne Übernachtungsmöglichkeit. Diese konnten dann in irgendwelchen Zelten der Sportanlagen übernachten, war aber ein riesen Chaos.
- Die Zeitmessung am 2ten Wochenende hat auch nur Mangelhaft funktioniert.
- Am Sonntag des 2ten Wochenendes waren alle Essensstände geschlossen
- Ebenso konnte kein Depot zurückgegeben werden. Einige Vereine blieben 100ten Franken sitzen.

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