Ich hatte ehrlich gesagt Bedenken, als ich die neue Russland-Reportage des SRF-Journalisten Christof Franzen anklickte.
Grund war der Titel der «Reporter»-Sendung: «Muss sich die Schweiz vor Russland fürchten?»
Wer im Juni 2025 so formuliert, hat nach meinem Dafürhalten den Ernst der Lage nicht begriffen.
Wie sich im Verlauf der sehenswerten SRF-Doku zeigt, stellt Franzen aber die richtigen Fragen. Und diese zeigen eine ernüchternde Realität, was die Haltung «normaler» Russinnen und Russen betrifft, aber auch, wie die Schweiz die Bedrohung unterschätzt.
Hier meine Gedanken zur zweiteiligen Sendung.
Franzen, der fliessend Russisch spricht, gelingt es in seinen Interviews mit ganz gewöhnlichen Russinnen und Russen, eine ziemlich beunruhigende Tatsache herauszuarbeiten. Das – gefühlt – ganze Riesenland befindet sich mittlerweile im Kriegsmodus. Die Anfänge waren lange vor der Invasion 2022 zu beobachten. Und als Endgegner wird keineswegs die Ukraine angeschaut.
Tatsächlich wird im ersten Teil der Doku deutlich, dass der russische Vernichtungskrieg gegen den Nachbarstaat von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird. Und eine wichtige Rolle spielen die Freiwilligen.
Schon 2016 witzelten an einem Festival interviewte junge Russinnen, dass ihre Männer und Väter nach der Sauna sturzbesoffen in die besetzten Gebiete in der Ostukraine aufbrechen wollten, um dort zu kämpfen.
Neun Jahre später lernt Franzen vor einem Rekrutierungsbüro in Moskau einen sympathischen Mann mittleren Alters kennen, der sich gerade freiwillig für den Militärdienst in der Ukraine melden will.
Sein ältester Sohn sei 16 und damit genug alt, das neue Familienoberhaupt zu werden, falls ihm etwas passieren sollte, sagt der Mann lächelnd in die Kamera.
Bereitwillig gibt Sergej dem SRF-Reporter seine Handynummer, damit sie über den Messenger-Dienst Telegram in Kontakt bleiben können. Dann ein Kameraschnitt – und wir erfahren, dass Franzen seit dem 8. März dieses Jahres kein Lebenszeichen mehr von Sergej hat.
In Putins Russland herrschen seit Jahrzehnten Einschüchterung und staatliche Propaganda statt freie Meinungsäusserung. Das Volk wird einer ständigen Gehirnwäsche unterzogen. Und alles läuft auf ein Ziel hin: Die Bevölkerung wird bereits ab dem Kindergarten militarisiert und auf eine angeblich unaufhaltsame Auseinandersetzung mit dem Westen vorbereitet.
Der nächste grosse vaterländische Krieg.
Doch hinter der Heroisierung der russischen Armee im Zweiten Weltkrieg und den gewaltigen Opfern, die die russische Bevölkerung damals erbringen musste, stecken keine hehren Motive des aktuellen Regimes.
So ergibt auch Putins Narrativ von einer «militärischen Sonderoperation» Sinn. Der russische Diktator sieht den derzeitigen Kriegseinsatz nur als Vorbereitung für grössere Pläne, die dann logischerweise eine generelle Mobilmachung erforderlich machen.
Russland führt nicht nur einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern längst auch einen hybriden Krieg gegen uns, gegen das demokratische Europa. Und es deutet vieles darauf hin, dass es schlimmer kommt, bevor es besser wird. Darauf lassen die in der SRF-Doku zitierten Akteure schliessen.
Ebenso erschreckend wie die fortgeschrittene Radikalisierung der russischen Bevölkerung sind die Meinungen junger Schweizer Männer im zweiten Teil der SRF-Reportage. Franzen befragt die Militärdienstpflichtigen zur Bedrohung durch Russland und diese erzählen ihm, dass sie das Risiko als klein betrachten, dass die Schweiz selbst in einen Krieg hineingezogen werden könnte.
Da ist es wieder, das weitverbreitete Narrativ von der schützenden, bewaffneten Neutralität.
Zum Glück kommen im SRF-Beitrag besonnene Stimmen aus dem rechten und linken Lager zu Wort. Und diese entzaubern unter anderem den Mythos eines militärischen Alleingangs der Schweiz.
Die Sicherheitspolitikerin Franziska Roth (SP) plädiert darum für eine weitere Annäherung an die Europäische Union und das Verteidigungsbündnis NATO.
Und der NZZ-Redaktor und Militärexperte Georg Häsler, ein Milizoffizier im Rang eines Obersts, erklärt:
Damit sind wir beim springenden Punkt:
Was in der SRF-Doku nicht thematisiert wird, ist die mangelnde militärische Unterstützung der Ukraine durch das freie Europa. Und das Engagement von Schweizer Unternehmen in Russland hätte durchaus ausführlicher und kritischer thematisiert werden können.
Abgesehen davon kann ich die zweiteilige Reportage nur wärmstens empfehlen. Speziell für Leute, die noch immer glauben, die Schweiz bleibe von allem verschont, könnte das Gezeigte als Augenöffner wirken.
So etwas kann man weder durch gut zureden noch durch abwarten und geschäften ändern, da hilft eigentlich nur, früher oder später den Wahn so dermassen kaputt zu schlagen, dass nur noch die verblendetsten es ignorieren können.
Und was die Schweiz angeht: Die Fetischisierung der Neutralität durch genau die Partei, die das Völkerrecht ständig untergraben und missachten will widerspricht sich und sorgt dafür, dass die Schweiz mal wieder alles verpennt...