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Diese SRF-Doku zur Bedrohung durch Russland ist ein Augenöffner

Szene aus der SRF-Reporter-Doku über die Bedrohung Europas durch Russland.
Russischer Bub mit Kalaschnikow-Sturmgewehr.Screenshot: SRF
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Diese SRF-Doku zur Bedrohung durch Russland ist ein Augenöffner

Unter Wladimir Putin wird die russische Bevölkerung auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem Westen vorbereitet. Eine aktuelle SRF-Reportage lässt tief blicken.
27.06.2025, 20:00
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Ich hatte ehrlich gesagt Bedenken, als ich die neue Russland-Reportage des SRF-Journalisten Christof Franzen anklickte.

Grund war der Titel der «Reporter»-Sendung: «Muss sich die Schweiz vor Russland fürchten?»

Wer im Juni 2025 so formuliert, hat nach meinem Dafürhalten den Ernst der Lage nicht begriffen.

Wie sich im Verlauf der sehenswerten SRF-Doku zeigt, stellt Franzen aber die richtigen Fragen. Und diese zeigen eine ernüchternde Realität, was die Haltung «normaler» Russinnen und Russen betrifft, aber auch, wie die Schweiz die Bedrohung unterschätzt.

Hier meine Gedanken zur zweiteiligen Sendung.

Hans-Peter Walser, Korpskommandant, Schweizer Armee
Hans-Peter Walser, Korpskommandant und stellvertretender Chef der Armee: «Russland hat ein Interesse, dass der Zusammenhalt in Europa zerbröckelt.»Screenshot: SRF

Was macht die Doku so beeindruckend?

Ein Land im Kriegsmodus

Franzen, der fliessend Russisch spricht, gelingt es in seinen Interviews mit ganz gewöhnlichen Russinnen und Russen, eine ziemlich beunruhigende Tatsache herauszuarbeiten. Das – gefühlt – ganze Riesenland befindet sich mittlerweile im Kriegsmodus. Die Anfänge waren lange vor der Invasion 2022 zu beobachten. Und als Endgegner wird keineswegs die Ukraine angeschaut.

«Warum sind hier nach wie vor viele Menschen bereit, in den Krieg zu ziehen? Ist es nur das Geld?»
SRF-Reporter Christof Franzen

Tatsächlich wird im ersten Teil der Doku deutlich, dass der russische Vernichtungskrieg gegen den Nachbarstaat von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird. Und eine wichtige Rolle spielen die Freiwilligen.

Schon 2016 witzelten an einem Festival interviewte junge Russinnen, dass ihre Männer und Väter nach der Sauna sturzbesoffen in die besetzten Gebiete in der Ostukraine aufbrechen wollten, um dort zu kämpfen.

Neun Jahre später lernt Franzen vor einem Rekrutierungsbüro in Moskau einen sympathischen Mann mittleren Alters kennen, der sich gerade freiwillig für den Militärdienst in der Ukraine melden will.

«Ich bin Patriot meines Landes. Und es zieht mich einfach an die Front. Ich habe schon viele Freunde dort.»
Sergej, gemäss eigenen Angaben mehrfacher Familienvater und Vorarbeiter auf dem Bau

Sein ältester Sohn sei 16 und damit genug alt, das neue Familienoberhaupt zu werden, falls ihm etwas passieren sollte, sagt der Mann lächelnd in die Kamera.

Russischer Familienvater, der sich freiwillig für den Krieg meldet (SRF-Reporter-Doku)
Die staatliche Gehirnwäsche hat gewirkt: Er will sein Leben für Putins imperialistische Pläne opfern. Screenshot: SRF

Bereitwillig gibt Sergej dem SRF-Reporter seine Handynummer, damit sie über den Messenger-Dienst Telegram in Kontakt bleiben können. Dann ein Kameraschnitt – und wir erfahren, dass Franzen seit dem 8. März dieses Jahres kein Lebenszeichen mehr von Sergej hat.

In Putins Russland herrschen seit Jahrzehnten Einschüchterung und staatliche Propaganda statt freie Meinungsäusserung. Das Volk wird einer ständigen Gehirnwäsche unterzogen. Und alles läuft auf ein Ziel hin: Die Bevölkerung wird bereits ab dem Kindergarten militarisiert und auf eine angeblich unaufhaltsame Auseinandersetzung mit dem Westen vorbereitet.

Der nächste grosse vaterländische Krieg.

Russinnen posieren in einem russischen Museum, das die russische Armee im Zweiten Weltkrieg heroisiert.
Russinnen posieren in einem Museum, das die russische Armee im Zweiten Weltkrieg heroisiert – und die Kooperation mit Nazi-Deutschland verschweigt. Screenshot: SRF

Doch hinter der Heroisierung der russischen Armee im Zweiten Weltkrieg und den gewaltigen Opfern, die die russische Bevölkerung damals erbringen musste, stecken keine hehren Motive des aktuellen Regimes.

«Die russischen Behörden müssen dem Volk erklären, warum mit Wladimir Putin schon seit 25 Jahren der gleiche Mann das Land regiert. Darum greifen sie zur Idee von Russland als angegriffener Festung.

Diese Idee des ständigen Krieges gegen den Westen ist ideal. Solange man in einer Schlacht ist, wechselt man den obersten Anführer nicht aus.»
Alexander Golts, Sicherheitsexperte, Stockholm Zentrum für Osteuropa-Studien

So ergibt auch Putins Narrativ von einer «militärischen Sonderoperation» Sinn. Der russische Diktator sieht den derzeitigen Kriegseinsatz nur als Vorbereitung für grössere Pläne, die dann logischerweise eine generelle Mobilmachung erforderlich machen.

Was hat das mit der Schweiz zu tun?

Russland führt nicht nur einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern längst auch einen hybriden Krieg gegen uns, gegen das demokratische Europa. Und es deutet vieles darauf hin, dass es schlimmer kommt, bevor es besser wird. Darauf lassen die in der SRF-Doku zitierten Akteure schliessen.

«Die Zeitenwende ist bei uns noch nicht angekommen.»
Dominik Knill, Berufsoffizier der Schweizer Armee

Ebenso erschreckend wie die fortgeschrittene Radikalisierung der russischen Bevölkerung sind die Meinungen junger Schweizer Männer im zweiten Teil der SRF-Reportage. Franzen befragt die Militärdienstpflichtigen zur Bedrohung durch Russland und diese erzählen ihm, dass sie das Risiko als klein betrachten, dass die Schweiz selbst in einen Krieg hineingezogen werden könnte.

Da ist es wieder, das weitverbreitete Narrativ von der schützenden, bewaffneten Neutralität.

«Mir scheint, ein möglicher Kriegseinsatz ist für viele keine reale Vorstellung.»
Christoph Franzen

Zum Glück kommen im SRF-Beitrag besonnene Stimmen aus dem rechten und linken Lager zu Wort. Und diese entzaubern unter anderem den Mythos eines militärischen Alleingangs der Schweiz.

Die Sicherheitspolitikerin Franziska Roth (SP) plädiert darum für eine weitere Annäherung an die Europäische Union und das Verteidigungsbündnis NATO.

«Die Vorstellung, dass wir uns als kleines Land selbst verteidigen können, ist veraltet.»
Franziska Roth, Ständerätin
SP-Politikerin und Ständerätin Franziska Roth
Franziska Roth sagt, sie werde öfter auf der Strasse angesprochen. Die Verunsicherung in der Bevölkerung sei gross.Screenshot: SRF

Und der NZZ-Redaktor und Militärexperte Georg Häsler, ein Milizoffizier im Rang eines Obersts, erklärt:

«In einer Welt der Machtpolitik muss eine Demokratie mit militärischer Kraft unterlegt sein. Ich glaube, dass diese militärische Nachrüstung, die wir derzeit unternehmen, energischer vorangetrieben werden muss. Es geht primär auch darum, uns vor weitreichenden Waffen zu schützen. Da ist die Schweiz gegenwärtig nicht geschützt.»

Fazit

Damit sind wir beim springenden Punkt:

Was in der SRF-Doku nicht thematisiert wird, ist die mangelnde militärische Unterstützung der Ukraine durch das freie Europa. Und das Engagement von Schweizer Unternehmen in Russland hätte durchaus ausführlicher und kritischer thematisiert werden können.

Abgesehen davon kann ich die zweiteilige Reportage nur wärmstens empfehlen. Speziell für Leute, die noch immer glauben, die Schweiz bleibe von allem verschont, könnte das Gezeigte als Augenöffner wirken.

Quellen

Teil 1 (bei YouTube)

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Steibocktschingg
27.06.2025 21:13registriert Januar 2018
An anderer Stelle hatte jemand schon vor Jahren treffend beschrieben, was in Russland abgeht: Es ist ein Land im Griff eines Todeskultes.

So etwas kann man weder durch gut zureden noch durch abwarten und geschäften ändern, da hilft eigentlich nur, früher oder später den Wahn so dermassen kaputt zu schlagen, dass nur noch die verblendetsten es ignorieren können.

Und was die Schweiz angeht: Die Fetischisierung der Neutralität durch genau die Partei, die das Völkerrecht ständig untergraben und missachten will widerspricht sich und sorgt dafür, dass die Schweiz mal wieder alles verpennt...
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arconite
27.06.2025 21:14registriert Februar 2014
Christoph Franzen macht im allgemeinen gute Dokus über Russland. Es gibt einige weitere sehenswerte welche seit Beginn des Russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine produziert wurden. Sind immer noch auf playsrf zu sehen.
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Sharkdiver
27.06.2025 21:28registriert März 2017
Vielen Fank für diesen Bericht. Die Europäer und die Schweizer am allermeisten sind unglaublich naiv
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