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AfD-Wahlkampf: Ein Reportage von Björn Höckes Auftritt in Suhl

11.02.2025, Thüringen, Suhl: Björn Höcke (M), Vorsitzender der Thüringer AfD, hebt bei einer Wahlkampfveranstaltung der AfD im Congress Centrum Suhl die Hände. Foto: Michael Reichel/dpa +++ dpa-Bildfu ...
Wegen ihm kamen die meisten überhaupt zur Veranstaltung: AfD-Landtagsabgeordneter und Fraktionschef Björn Höcke.Bild: DPA

«Höcke, Höcke, Höcke!» – watson war an einer Wahlveranstaltung der AfD

Kurz vor der Bundestagswahl besucht watson eine AfD-Wahlkampfveranstaltung, auf der der mächtigste AfD-Politiker Deutschlands auftritt: Björn Höcke. Eine Reportage voller Höcke-Fans, Verschwörungstheorien und Flüchen über «scheiss Türken».
18.02.2025, 07:2021.02.2025, 13:42
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«Meinst du, die Zecken sind noch da, wenn wir rauskommen?», fragt ein etwa 16-jähriges Mädchen seinen Vater. Die beiden stehen in einer langen Schlange vor dem Konferenzsaal eines Kongresszentrums und blicken abschätzig runter in den Eingangsbereich. Dort haben sich mehrere Polizisten versammelt.

Es ist Dienstag, 18 Uhr, in der mittelgrossen Stadt Suhl. Die AfD Thüringen lädt zum «Bürgerdialog». Die Suhlerinnen und Suhler sollen Robert Teske kennenlernen, der am 23. Februar für ihren Wahlkreis als AfD-Abgeordneter in den Bundestag ziehen will.

Doch viele, die an diesem Abend anstehen, warten auf etwas anderes. Darauf, in einer Stunde den mächtigsten AfD-Politiker Deutschlands zu erleben: Björn Höcke, Landtagsabgeordneter und Chef der Thüringer AfD.

Aufnahmen der Innenstadt von Suhl im Bundesland Thüringen, Deutschland, am 12. Februar 2025.
Selbst das Werbeplakat für den Bürgerdialog der AfD listet nur Björn Höcke auf.Bild: watson

Kaum Frauen, dafür AfD-Fanshop

Währenddessen findet in der Suhler Innenstadt eine Gegendemonstration statt. Vereine und linke Parteien haben dazu aufgerufen. Mit dem Licht ihrer Taschenlampen formen sie auf dem Marktplatz den Schriftzug: «Nie wieder!»

11.02.2025, Thüringen, Suhl: Demonstranten stehen unter dem Motto «Suhl bleibt hell» zu einer Lichterkette gegenüber dem Congress Centrum Suhl zusammen. Sie demonstrieren gegen eine Wahlkampfveranstal ...
Demonstranten stehen unter dem Motto «Suhl bleibt hell» zu einer Lichterkette gegenüber dem Congress Centrum Suhl zusammen.Bild: DPA

Vor dem Saal, in dem bald Höcke auftreten wird, bekommt man davon nichts mit. Der Altersdurchschnitt liegt bei mindestens 55 Jahren. Familien sieht man kaum, Jugendliche nur vereinzelt. Die meisten, die hier anstehen, sind ältere Ehepaare, einzelne Männer oder kleine Männergruppen. Das passt in die Statistik: 70,6 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler sind männlich, wie eine Analyse der Universität Leipzig ergeben hat.

Nach dem Sicherheitscheck erwartet einen im Vorraum des Saals ein Verkaufsstand des rechten Monatsmagazins «Compact». Der Tisch sieht aus wie ein AfD-Fanshop. Die neuste Ausgabe des Magazins liegt auf. Auf dem Cover: Alice Weidel, die von einem Elon Musk in Superheldenkostüm auf Händen getragen wird. Daneben kann man Bücher über Björn Höcke, Donald Trump und Elon Musk kaufen.

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat.
Das Cover der neusten Ausgabe des «Compact»-Magazins.Bild: watson

Auch den «Höcke-Taler» erhält man hier. Was das ist? Gemäss «Compact» eine Silbermünze, «ein patriotisches Bekenntnis» und «eine stabile Kapitalanlage». Kosten: 74,95 Euro.

Der Verkaufsstand interessiert die Leute kaum. Sie wollen lieber einen guten Platz im Saal ergattern. Dort hat die AfD auf jeden Stuhl zwei Flyer gelegt. Einen mit Alice Weidels Gesicht drauf: «Zeit für unsere Zukunft!» Einen mit Robert Teskes Gesicht: «Thüringen zuerst!»

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat.
Blick in die noch leere Stuhlreihe.Bild: watson

AfD nur für Reiche? Alles Gerüchte!

Pünktlich um 19 Uhr beginnt die Veranstaltung. Ein AfD-Lokalpolitiker betritt die Bühne und stellt alle Redner vor. Als er Björn Höcke erwähnt, erhebt sich dieser und winkt ins Publikum. Die Menge beginnt zu toben. Einige stehen auf, klatschen, rufen im Chor:

«Höcke, Höcke, Höcke!»
11.02.2025, Thüringen, Suhl: Björn Höcke (r), Vorsitzender der Thüringer AfD, hebt bei einer Wahlkampfveranstaltung der AfD im Congress Centrum Suhl die Hände. Foto: Michael Reichel/dpa +++ dpa-Bildfu ...
Höcke beim Aufstehen für das Publikum. Im Hintergrund erhebt sich schon die erste Person.Bild: DPA

Bis zu seiner Rede muss sich das Publikum aber noch gedulden. Zuerst wärmen andere den Saal auf. Etwa Robert Teske. Der 34-Jährige war als Björn Höckes Büroleiter viele Jahre lang dessen engster Vertrauter. Politisch sozialisiert wurde Teske in der identitären Bewegung und der AfD-Jungpartei Junge Alternative (JA). Beide Organisationen gelten gemäss Verfassungsschutz als «gesichert rechtsextremistisch».

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat. Auf dem Bild spricht nun Robert Teske, der ehemalige B ...
Robert Teske vor Publikum.Bild: watson

Teske reagiert auf eine wissenschaftliche Untersuchung, die im Januar aufzeigen konnte, wie die AfD mit ihrem Wahlprogramm vor allem Reiche entlastet. Diese Ergebnisse tut Teske als «Gerücht» ab.

Selbstverständlich entlaste die AfD die einfachen Bürgerinnen und Bürger. Das Geld sei schliesslich da, werde nur am falschen Ort verwendet. Teske ruft:

«Zweidrittel der Menschen, die Bürgergeld erhalten, haben Migrationshintergrund!»
Robert Teske, AfD Thüringen

Genau diese «Milliarden» würden am Ende «unseren Leuten» fehlen. Das Publikum klatscht enthusiastisch. Da und dort hört man: «Genau!» Und: «Jawohl!»

Aber wen meint Teske mit «unseren Leuten»? Menschen ohne Migrationshintergrund? Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft? Teske formuliert alles so offen, dass jede und jeder das heraushören kann, was er oder sie will. Das wird er von seinem ehemaligen Chef gelernt haben. Für längere Ausführungen reicht Teskes Redezeit von sechs Minuten allerdings ohnehin nicht.

«Remigration» stösst auf offene Ohren

Als Nächstes tritt Daniel Haseloff auf, Landtagsabgeordneter und Generalsekretär der Thüringer AfD. Dieser regt sich darüber auf, dass in Thüringen «Rot dominiert». «Pfui!», ruft jemand aus dem Publikum. Einige lachen.

Diese «Roten» seien schuld, dass man sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen könne, so Haseloff. Dabei brauche Deutschland:

«Remigration!»
Daniel Haseloff, AfD

Das Publikum klatscht. «Jawohl!»

In Suhl trifft die AfD mit dieser Forderung einen Nerv. Im Industriegebiet der Stadt befindet sich eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete. Diese hat in der Vergangenheit immer wieder für Negativschlagzeilen gesorgt. Aus zwei verschiedenen Gründen.

Einerseits, weil es unter den Geflüchteten in der Unterkunft regelmässig zu Gewalt kommt und Einbrüche und Ladendiebstähle in Suhl stark zugenommen haben. Die Behörden erklären dies mit einer zeitweise enormen Überbelegung der Unterkunft und betonen immer wieder, dass die Probleme von einer kleinen Gruppe junger Männer ausgehe. Der weitaus grössere Teil der Bewohnerinnen und Bewohner sei friedlich.

Andererseits sorgten 2024 Wachleute der Unterkunft für negative Presse: Videos zeigten, wie zwei von ihnen im Dienst zum bekannten Lied «L’amour toujours» von Gigi D’Agostino «Ausländer raus!» singen.

ARCHIV - 20.12.2022, Thüringen, Suhl: Außenansicht der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl. (zu dpa: «Belegungssituation in Erstaufnahmen etwas entspannter») Foto: Michael Reichel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ ...
Die Flüchtlingsunterkunft in Suhl ist mit Stacheldraht abgesichert.Bild: DPA

Auf die Komplexität der Thematik geht an diesem Abend allerdings kein AfD-Politiker ein. Sie wiederholen nur, dass «Remigration» kein böser Begriff sei. Er bedeute lediglich, dass kriminelle und illegale Ausländer ausgeschafft würden. Jene Leute mit Migrationshintergrund, die sich integrierten und arbeiteten, dürften selbstverständlich im Land bleiben.

Seinen Weg ins Vokabular der AfD hat der Begriff allerdings durch Rechtsextreme wie den Ex-Chef der österreichischen Identitären Bewegung, Martin Sellner, gefunden. Diese verstehen unter «Remigration» die massenhafte Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund. Ganz egal, ob sie Asylsuchende sind oder den deutschen Pass haben.

Fast jedem Vierten im Saal könnte die wahre Bedeutung von «Remigration» aus den Mündern von AfD-Politikern jedoch nichts ausmachen. Denn wie die Universität Leipzig in ihrer Analyse ebenfalls festgestellt hat, vertreten 22 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.

Nach sieben Minuten kommt auch Haseloff zum Schluss. Nun ist die Spannung im Saal förmlich greifbar. Endlich ist der Moment gekommen, auf den alle gewartet haben. Björn Höcke betritt die Bühne.

Publikum: «Alice für Deutschland!»

«Höcke, Höcke, Höcke!», ruft das Publikum, steht auf, klatscht, zückt das Handy, um zu filmen. Höcke winkt in die Menge, läuft gemächlich zum Rednerpult. Während der Applaus langsam abebbt, nimmt er einen Schluck Wasser, seufzt genüsslich ins Mikrofon, hebt das Glas und ruft:

«Thüringer Waldquell. Wir sagen Ja zu deutschem Wasser! Prost!»
Björn Höcke, AfD Thüringen

Sofort flammt der Applaus wieder auf. Ins Klatschen hinein ruft Höcke:

«Deutschland ist ein Irrenhaus und wenn man ein Dach drüber bauen könnte, dann wäre es eine geschlossene Anstalt!»
Björn Höcke, AfD Thüringen

Gelächter und Nicken.

11.02.2025, Thüringen, Suhl: Björn Höcke, Vorsitzender der Thüringer AfD, spricht und gestikuliert bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei im Congress Centrum Suhl. Foto: Michael Reichel/dpa ++ ...
Björn Höcke braucht keinen Notizzettel für seine über dreissigminütige Rede in Suhl.Bild: DPA

Dann beginnt sein Vortrag. In diesem wird unmissverständlich klar, dass Höcke nicht der einfache Thüringer Landespolitiker ist, für den er sich gerne ausgibt. Es geht hier nicht mehr um Suhl, nicht um den Wahlkreis, nicht einmal mehr um Thüringen. Es geht um Weltpolitik. Die Bühne wirkt viel zu klein, der Saal viel zu leer für Höcke und das, was er zu sagen hat.

Seine Botschaft ist unmissverständlich: In Deutschland geht’s bachab und schuld daran sind die «Kartellparteien», die eine «Herrschaft der politischen Korrektheit» führen. Deutschland müsse «wieder in einen Kooperationsmodus mit Russland» kommen. Zu Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagt Höcke:

«Dieser Mann ist fremdgesteuert!»
Björn Höcke über Olaf Scholz (SPD)

Das Land vor seinem Untergang bewahren könne nur die AfD und ihre Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Mit ihr könne die «politische Wende in Deutschland» vollbracht werden.

Im Publikum ruft jemand:

«Alice für Deutschland!»
Mann im Publikum

Verhaltenes Gelächter. Es wirkt auf den ersten Blick wie ein harmloser Zwischenruf. Doch das ist er nicht. Und so war er ziemlich sicher auch nicht gemeint.

«Alice für Deutschland» klingt fast wie «Alles für Deutschland». Genau diese Parole haben die Nationalsozialisten unter Hitler einst verwendet. Und genau diese Parole verwendete Björn Höcke in der Vergangenheit bei Veranstaltungen der AfD. Zwei Gerichtsinstanzen haben ihn 2024 deshalb wegen Verwendung von verbotenen Nazi-Parolen zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch Höcke hat Berufung eingelegt, sich damit verteidigt, er habe nicht gewusst, dass dies eine Nazi-Parole gewesen sei. Er, der studierte Historiker und ehemalige Geschichtslehrer am Gymnasium.

Es ist wohl schlauer, kommentiert Höcke den Zwischenruf an diesem Abend nicht. Sein freudiges Lächeln darüber kann er sich dennoch nicht verkneifen.

Hetze gegen Medien und Demonstranten

Im Rest seiner Rede hetzt Höcke gegen die EU und den Verfassungsschutz. Demokratie herrsche schon lange nicht mehr in Deutschland, behauptet er. Selbst die vierte Gewalt funktioniere nicht mehr. Die Journalisten im Land würden «regelmässig von der Regierung bezahlt».

Nicht einmal vor den besorgten Bürgerinnen und Bürgern, die heute friedlich gegen die AfD demonstriert haben, macht Höcke halt. Diese Leute seien «Berufsdemonstranten», sagt er. Ja, «Kampftruppen der Kartellparteien». «Linksextremisten», die gegen die «bürgerliche Welt und ihre Werte» seien. Doch damit nicht genug:

«Ihr, liebe Freunde, bezahlt mit euren Steuergeldern die Veranstaltung, die da draussen gerade stattfindet.»
Björn Höcke, AfD Thüringen

Und das sei keine Verschwörungstheorie. Ein gehässiges Grummeln geht durch den Raum.

Zwei Fernsehteams sind vor Ort, vom MDR und von CNN. Immer wieder werfen die Leute im Publikum ihnen böse Blicke zu. Die Security muss auf einen Mann im hinteren Teil des Saals einreden, als dieser sich drohend erhebt, weil ihn eine Kamerafrau frontal gefilmt hat. Die Anspannung im Saal nimmt mit jedem Satz Höckes zu.

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat.
Das Publikum hängt Björn Höcke an den Lippen. Manche nehmen seine gesamte Rede mit ihrem Handy auf.Bild: watson

Nur er selbst kann die Menge beruhigen. Indem er verspricht: Wenn die AfD an der Macht sei, würden die «Berufsdemonstranten» arbeitslos werden. «Dann heisst es für diese Jungs und Mädels: ab in die Produktion!» Die Spannung entlädt sich in lautem Applaus. «Jawooohl!», ruft es auf allen Seiten.

Aber was soll das genau bedeuten? Droht Höcke seinen politischen Gegnerinnen und Gegnern gerade mit Arbeitslager, wenn er an die Macht kommt? Im Saal scheint sich niemand diese Frage zu stellen. Der Applaus wird immer lauter. Über ihn hinaus ruft Höcke:

«Deutschland ist ein Irrenhaus! Deutschland steht Kopf, meine Freunde. Und nur die AfD wird es wieder auf die Füsse stellen!»
Björn Höcke, AfD Thüringen

Einige im Publikum stehen klatschend auf. Höcke spricht weiter: «Liebe Freunde, wir haben jetzt noch ein paar Tage Zeit. Ich bitte euch abschliessend: Kämpft, kämpft, kämpft!» Seine Rede neigt sich ihrem Ende zu. Der ganze Saal erhebt sich nun, feuert ihn an: «Höcke, Höcke, Höcke!»

Höcke geniesst den Applaus. Und endet mit einer letzten Aufforderung, Werbung für die AfD zu machen. Denn:

«Die AfD ist die einzige und letzte evolutionäre Chance für Deutschland!»
Björn Höcke, AfD Thüringen

Eine einzige kritische Frage

Nach Höckes Vortrag verlassen die ersten den Raum. Sie haben erlebt, was sie erleben wollten: Björn Höcke in Ekstase. Aber die Veranstaltung nennt sich nun mal «Bürgerdialog». Das Publikum soll Fragen stellen können. Das tut es.

Viele wollen sich eigentlich nur selbst reden hören. Ein Mann schaut beifallheischend in den Raum, als er die gescheiterte Ampel-Koalition «Blendlichtanlage» nennt. Eine Frau regt sich darüber auf, dass die Stadt Suhl ihr ihre Garage wegnehmen wolle. Sie stellt keine konkrete Frage, will auch gar nicht, dass ein Lokalpolitiker sich um ihr Anliegen kümmert, so wie ihr dies Robert Teske vorschlägt. Nein, sie möchte, dass Höcke ihr verspricht, dass sie ihre Garage behalten kann.

Höcke kann nachvollziehbarerweise nichts zur Thematik sagen, weiss nicht, worum es eigentlich geht. Kann auf politischer Ebene auch nichts für sie bewirken. Und doch schafft er es, der Frau mit seiner Antwort das Gefühl zu geben, dass mit der AfD niemand mehr ihre Garage wegnehmen würde. Und dass Garagen wie die ihre ein «deutsches Kulturgut» seien.

Das stellt sie zufrieden. Und auch den gesamten Saal, der abermals Beifall klatscht.

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat.
Eine Journalistin hält die Szenen mit der Kamera fest und erntet dafür immer wieder gehässige Blicke. Bild: watson

Nur eine kritische Frage kommt auf. Jemand will wissen, ob er, Höcke, sich von Alice Weidel distanziere, weil diese kürzlich in einem Interview behauptet habe, Hitler sei ein «linker Kommunisten» gewesen? Bei dieser Frage schnauben einige im Publikum gehässig auf. Doch Höcke antwortet mit einem Lächeln auf den Lippen:

«Ich würde mich nie von Alice distanzieren!»
Björn Höcke, AfD Thüringen

Wieder Gelächter und lauter Applaus. Höcke schliesst die Fragerunde.

Autogrammstunde und Selfies

Der Bürgerdialog ist zu Ende. Die Leute machen sich auf zur Bühne und stehen zum zweiten Mal an diesem Tag für Höcke an. Sie wollen ein Selfie mit ihm ergattern. Ihn um eine Unterschrift bitten.

Höcke nimmt sich für jede und jeden Zeit. Spricht ein paar Worte, lächelt in die Kamera, unterschreibt. Alle verlassen die Bühne mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht.

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat.
Zwei Frauen machen lächelnd Fotos mit Björn Höcke in der Mitte.Bild: watson

Höcke und die AfD können die Leute in ihren Bann ziehen. So auch ein pensioniertes Ehepaar, das im Vorraum des Saals erzählt, es habe 2019 eher zufällig zur AfD gefunden. «Die hatten einen Stand auf dem Markt und sagten, wir könnten mal mit nach Berlin uns anschauen, was die AfD da so macht», sagt die Frau. Weil sie nichts Besseres zu tun gehabt hätten, hätten sie dieses Angebot angenommen. Und seien anschliessend in die AfD eingetreten. «Seither verteilen wir Flyer und gehen an alle Veranstaltungen», sagt der Mann. Sie wollten sich für Deutschland engagieren, ihren Enkeln im Westen zuliebe.

Wahlkampfveranstaltung für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 von der AfD Thüringen in Suhl am 11. Februar 2025, bei der Björn Höcke auftrat.
Ein Fan lächelt neben Björn Höcke in die Handykamera.Bild: watson

Was ist das grösste Problem in Deutschland? «Die Migranten. Man kann sich hier nicht mehr sicher fühlen. Solche Anschläge auf Weihnachtsmärkte wie in Magdeburg neulich, das gab es früher nicht», sagt die Frau. Ihr Mann ergänzt, sie hätten «nichts gegen Ausländer», sie würden viele gute, integrierte Ausländer kennen. Spanier, Portugiesen, Griechen, zählt er auf. «Die dürften mit der AfD ja auch bleiben», sind die beiden sicher.

Davon ist auch ein anderer pensionierter AfD-Wähler überzeugt. Er sagt, er hätte nie gedacht, dass er mal rechts wählen würde. «Ich war immer ein Linker. Habe immer die SPD gewählt.» Aber seit dieses Flüchtlingsheim in Suhl betrieben werde, hätten sich seine Ansichten geändert. «Ich wohne gleich gegenüber von denen. Wenn ich zum Rauchen auf den Balkon gehe, zeigen sie mir den Mittelfinger. Diese Respektlosigkeit, das finde ich einfach unerträglich!»

Er sei nicht mit allem, was die AfD sage, einverstanden, fügt er an. Doch auf die Frage, welche Punkte im Parteiprogramm er nicht unterstütze, hat er keine Antwort.

Die «scheiss Türken»

Ein junger Mann an der Bar beobachtet das Geschehen mit teilnahmslosen Augen. Er kann am 23. Februar nicht wählen, hat keinen deutschen Pass, sondern Wurzeln im asiatischen Raum. Wie ist es für ihn, den AfD-Anhängern Bier verkaufen zu müssen? «Wie sollte es sein?», fragt er genervt zurück und zuckt die Schultern. Dann sagt er:

«Manche von denen schauen mir nicht in die Augen. Sonst ist es easy.»
Barkeeper

Er habe andere Probleme. Alles werde teurer, Wohnung, Essen, Benzin. «Aber die Löhne bleiben gleich.»

Hat er in letzter Zeit rassistische Anfeindungen erlebt? Gewalt? «Von wem? Von den scheiss Türken?», fragt er zurück. Dann fährt er fort: Wann immer er in seinem Leben wegen seines asiatischen Aussehens dumme Sprüche gehört habe, seien sie von Türken ausgegangen. Nur ein Mal, letztes Jahr am Oktoberfest, hätte ihn ein AfDler rassistisch beschimpft. «Er hat mir gesagt, ich scheiss Chinese solle dahin zurück, wo ich hergekommen bin. Da hab ich ihn abgeschlagen.»

Wieder zuckt der junge Mann die Schultern. In einwandfreiem Hochdeutsch erklärt er, er würde die AfD wählen, wenn er könnte. Und fügt an:

«Ich stehe zwischen den Fronten. Zwischen der AfD und den scheiss Türken.»
Barkeeper

Ab diesem Punkt wird die Reportage persönlich. Ich sage dem Barkeeper nicht, dass ihm gerade eine dieser «scheiss Türken» gegenüber steht. Ich sage ihm auch nicht, dass vor vier Stunden einer dieser «scheiss Türken» zwei watson-Reportierende gerettet hat, als ihr Auto auf der Autobahn stehen geblieben ist. Ein 21-jähriger «scheiss Türke», der die Lehre zum Automechaniker gemacht hat, jetzt beim ADAC arbeitet und uns mit bester Laune bei strömendem, eiskaltem Regen und vorbeirasenden LKWs geholfen hat.

Dieser «scheiss Türke» nervt sich auch daran, dass alles teurer wird. Dass der Autobahnkaffee nicht mehr zwei Euro kostet, sondern drei. Plus 60 Cent für den To-go-Becher. Ihn schmerzen die Anschläge auf öffentlichen Veranstaltungen ebenso. Doch im Gegensatz zum Barkeeper in Suhl hat er die deutsche Staatsbürgerschaft. Er kann wählen. Und er sagt:

«AfD ist keine Option. Niemals!»
ADAC-Mechaniker

Sein Grossvater und seine Eltern hätten Angst, weil nun «alles rundherum blau wählt». Angst davor, dass sie, nachdem sie jahrelang in Deutschland gearbeitet, praktisch ihr ganzes Leben hier verbracht hätten, im Alter abgeschoben werden könnten. In ein Land, das sie gar nicht mehr kennen.

«Das wird mit der AfD schon nicht passieren, oder? Klar, meine Eltern können nicht so gut Deutsch und so. Aber die können doch nicht einfach abgeschoben werden?» Der ADAC-Mechaniker versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen. Doch die Angst vor der AfD und was sie für ihn und seine Familie bedeuten könnte, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

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146 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Amadeus
18.02.2025 06:12registriert September 2015
Den letzten Satz finde ich wichtig. Viele Menschen haben Angst vor der AfD, deren Ideologie und Politik. Das wird viel zuwenig Ernst genommen und thematisiert.
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Nils Egger
18.02.2025 07:36registriert Mai 2023
Nun, die Lösung wäre, Europa wieder stark zu machen, um Extremismus abzuwehren. Es ist nicht Zeit für Idealismus!
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James McNew
18.02.2025 08:16registriert Februar 2014
Wenn die an die Macht kommen, gute Nacht.

Lest nicht das Parteiprogramm, lest Höckes Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“. Da wird einem Angst und Bange.

Zumindest, wenn man gerade nicht auf eine völkische Revolution wartet.
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