Während langer Zeit hatten rechtsradikale Kräfte in der europäischen Politik wenig zu melden. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und das auf ihn folgende Wirtschaftswunder verhinderten, dass sie mehr als eine Randerscheinung waren. Doch die Erinnerung daran ist verblasst. Heute scheinen die Rechtspopulisten unaufhaltsam auf dem Vormarsch zu sein.
Ein Vorreiter war Christoph Blocher, der die behäbige SVP in den 1990er-Jahren in eine nationalkonservative Kampftruppe umpolte und die Schweizer Parteienlandschaft aufmischte. Andere «Pioniere» waren Silvio Berlusconi, Jörg Haider und der diese Woche verstorbene Jean-Marie Le Pen. Die beiden Ersteren schafften es in die Regierung.
Als Haiders FPÖ 1999 in Österreich eine Koalition mit der ÖVP bildete, ergriffen einige Länder Sanktionen. Als Le Pen es bei der Präsidentschaftswahl 2002 in Frankreich in die zweite Runde schaffte, war das Entsetzen gross. Heute wirken diese Episoden wie ein laues Lüftchen, ein Vorspiel zum rechten Sturm, der durch die westliche Welt fegt.
In Österreich bahnt sich erneut eine Regierung von FPÖ und ÖVP an, angeführt vom Scharfmacher und Russlandfreund Herbert Kickl. Sein «Ziehvater» Jörg Haider wirkt im Vergleich mit ihm wie ein Liberaler. In Frankreich könnte Jean-Marie Le Pens Tochter Marine gelingen, was dem Senior verwehrt blieb, sofern sie nicht von der Justiz ausgebremst wird.
In Italien ist eine rechte Regierung am Ruder, die radikaler ist als zu Berlusconis Zeiten, auch wenn sich Ministerpräsident (sic!) Giorgia Meloni pragmatisch gibt. In Kanada dürfte der «Mini-Trump» Pierre Poilievre die nächsten Wahlen gewinnen. Und in den Niederlanden ist letztes Jahr die «Brandmauer» gegen den Islamhasser Geert Wilders eingestürzt.
In weiteren Ländern sind rechtsnationale Parteien direkt oder indirekt an der Regierung beteiligt. Die eigentlichen Superstars dieser rechten Welle aber sind Donald Trump, sekundiert von seinem «Spezi» Elon Musk. Und natürlich Viktor Orban, der Ungarn in den letzten 15 Jahren in eine illiberale Pseudo-Demokratie verwandelt hat.
Gründe für das Auftrumpfen der Rechtsnationalen gibt es einige. Mit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg kehrten zwei Schreckgespenster zurück, die überwunden schienen. Sie führten zu wirtschaftlichen Verwerfungen, vor allem einer hohen Inflation. Hinzu kommen eine starke und teilweise unkontrollierte Migration und eine als arrogant empfundene linksliberale Elite.
Gerade junge Männer entwickeln deshalb eine fatale Schwäche für das Gepolter der radikalen Rechten und die von ihr verheissene Rückkehr in die «gute alte Zeit». Man kann es ihnen nicht verübeln, denn mehrere globale Megatrends erzeugen eine grosse Verunsicherung. Das Problem ist nur: Die Rechtsnationalen haben darauf keine Antwort.
Mit kaum einem Thema können die Rechten so sicher punkten wie mit der Migration. Denn viele in Europa und den USA empfinden Angst und Wut gegenüber einer als Kontrollverlust empfundenen Einwanderung von Menschen aus «fremden» Kulturen. Das aber ändert nichts am demografischen Trend. In Europa altert und schrumpft die angestammte Bevölkerung.
Der Hammer schlägt doppelt zu: Immer mehr Menschen werden pensioniert, und immer weniger Kinder kommen zur Welt. Selbst in Frankreich oder Skandinavien, die mit ihrer aktiven Familienpolitik lange gut aufgestellt waren, liegt die Fertilitätsrate (Kinder pro Frau) unter dem für eine stabile Bevölkerung notwendigen Wert von 2,1.
Einige Länder hat es hart getroffen. Ungarn hat in den letzten 40 Jahren fast eine Million Einwohner «verloren», wegen Auswanderung und Kindermangel. Der Einwanderungsfeind Orban versucht, die Geburtenrate mit Geld- und Steuergeschenken und einer Einschränkung des Abtreibungsrechts anzukurbeln. Doch nach einem «Zwischenhoch» ist sie wieder rückläufig.
Fachkräfte- oder genereller Personalmangel ist in ganz Europa ein Problem, selbst in Deutschland, wo die Industrie Tausende Stellen abbaut. Die Reaktion der Rechten ist unterschiedlich: AfD-Exponenten wie Björn Höcke äussern sich offen wirtschaftsfeindlich. Andere machen auf Realitätsverweigerung, etwa Mitglieder der neuen Trump-Regierung.
Die SVP spielt ein Doppelspiel: Sie wettert gegen die Zuwanderung, ohne ihr neoliberales, auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftsmodell zu kippen. Viktor Orban wiederum rekrutiert Arbeitskräfte in Indonesien oder auf den Philippinen und hofft, sich durchmogeln zu können. Notfalls kann er immer noch das Wahlsystem zurechtbiegen.
Irgendwann aber schlägt die Stunde der Wahrheit. Die Rechten müssen ihrer Wählerschaft einen Wohlstandsverlust und schlechtere öffentliche Dienste (etwa Spitäler) «schmackhaft» machen. Oder sie anerkennen, dass es ohne Zuwanderung aus anderen Weltgegenden nicht gehen wird, selbst wenn Teile der Wirtschaft «ausgelagert» werden.
An sich ist die Demografie positiv für junge Menschen und ihre Jobchancen. Doch ihnen kommt eine andere Entwicklung ins Gehege: die Künstliche Intelligenz. Ob sie für die Menschheit ein Fluch oder Segen ist, bleibt vorerst offen. Zumindest den Arbeitsmarkt aber wird sie nachhaltig verändern: Viele bequeme und gut bezahlte Bürojobs verschwinden.
Unbeliebte manuelle Arbeiten hingegen lassen sich (vorerst) nicht ersetzen. Das ist eine Herausforderung vor allem für junge Leute am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn. Sie suchen vermehrt «KI-sichere» Jobs, bei denen sie sich möglichst nicht die Hände schmutzig machen müssen (beliebt sind Tourismus und Hotellerie).
Für rechtsradikale Parteien ist dies eine Herausforderung. Sie können von KI profitieren, etwa mit der Herstellung von Deepfakes, um politische Gegner zu diskreditieren. Wenn sie aber den Erwartungen ihrer jungen Wählerschaft an die Arbeitswelt nicht gerecht werden, dürfte sich diese linken Parteien und ihren sozialen Verheissungen zuwenden.
Rechtsnationale verharmlosen oder leugnen den Klimawandel. «Wen interessiert denn das?», fragte Donald Trump an einem Wahlkampfauftritt. Der Realität kann aber auch er nicht entkommen. Letztes Jahr wurde das Pariser Klimaziel einer Erderwärmung von 1,5 Grad über dem vorindustriellen Mittel erstmals überschritten.
Klimawandel bedeutet nicht, dass es etwas wärmer wird. Er sorgt für extremeres Wetter. Lange Trockenphasen wechseln ab mit verheerenden Unwettern. Das Flammeninferno in Los Angeles ist die Folge einer selbst für Kalifornien massiven Dürre. Und im letzten Herbst wurde der Süden der USA durch die beiden Hurrikans «Helene» und «Milton» verwüstet.
Viele der zerstörten Häuser werden nie wieder aufgebaut, weil die Eigentümer keine Versicherung mehr finden, die für Schäden haftet. Die Kosten der durch das Extremwetter verursachten Katastrophen sind ohnehin beträchtlich, und sie werden weiter zunehmen. Es ist eine Herausforderung für die Politik – und besonders für die Rechtsnationalen.
Nicht selten reagieren sie unbeholfen. Als Teile Österreichs letztes Jahr überflutet wurden, verschickte FPÖ-Chef Herbert Kickl Videobotschaften, in denen er durch einen Wald stolperte. Die Klimakrise überfordert sie, weshalb Politologen davon ausgehen, dass das Pendel in die andere Richtung ausschlagen und die derzeit gebeutelten Grünen wieder zulegen werden.
Als «Boomer» kann man die jungen Männer irgendwie verstehen. Sie hätten gerne das angenehme Leben, das uns vergönnt war und ist. Doch auch die Rechtsradikalen können die globalen Trends nicht stoppen. Das macht sie nicht ungefährlich. Sie könnten versuchen, sich nach Orbans Vorbild mit manipulativen Methoden an der Macht zu halten.
Am Ende wird es ihnen nichts nützen, wenn der Volkszorn überkocht. Die Rechtsnationalen mögen derzeit jubeln, doch ihr (ewig)gestriges Weltbild bietet keine Antwort auf die Probleme von heute und morgen. Ihr aktueller Triumphzug wird unweigerlich entgleisen.
"Irgendwann aber schlägt die Stunde der Wahrheit. Die Rechten müssen ihrer Wählerschaft einen Wohlstandsverlust und schlechtere öffentliche Dienste (etwa Spitäler) «schmackhaft» machen."
Doch dies ist nur die halbe Wahrheit, denn einen Teil des Schmackhaftmachens kennen wir schon bestens:
Die Schuld den anderen geben auf die Vergangenheit und die Zukunft ausgerichtet.
Sieht man zB nach 2 Jahren Meloni bestens. Gibt es Probleme; ja dann war es die alte Regierung, zeichnen sich Probleme ab, ja dann ist die Opposition Schuld.
Und das funktioniert!