In Tschernobyl ist nach der Einnahme durch russische Truppen ein Anstieg der Strahlungswerte gemessen worden. Daten aus einem Überwachungssystem des ukrainischen Umweltamts zeigen, dass sich die radioaktive Strahlung seit Donnerstagabend von 3'200 nSv/h auf 65'500 nSv/h stark erhöht hat. Die Ursache für die höheren Werte ist derzeit noch unklar. Es könnte sich auch um aufgewirbelten radioaktiven Staub, ausgelöst durch die Kampfhandlungen handeln.
Die Nachrichtenagentur AP berichtet jedoch, der russische Beschuss habe ein Endlager für radioaktive Abfälle in Tschernobyl getroffen. Das sei wahrscheinlich die Ursache für den Anstieg der Strahlungswerte.
Bei dem gemessenen Wert besteht zwar eine erhöhte Gesundheitsgefahr, katastrophal ist der erhöhte Wert in Tschernobyl jedoch noch nicht: Der Grenzwert für radioaktive Strahlung liegt laut Bundesamt für Strahlenschutz bei 1 Millionen nSv/h pro Jahr.
Das russische Militär hatte nach ukrainischen Angaben die Kontrolle über den zerstörten Atomreaktor von Tschernobyl übernommen. Es sei unklar, in welchem Zustand die Anlage sei. «Dies stellt heute eine der ernsthaftesten Bedrohungen für Europa dar», sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Donnerstagabend. Er warnt vor Provokationen der russischen Seite. Selenskyj erklärte zuvor, die ukrainischen Soldaten in Tschernobyl «geben ihr Leben», um eine «Tragödie wie 1986» zu verhindern.
The first video from the captured Chernobyl nuclear power plant. Ukraine's PM Shmyhal has confirmed that the exclusion zone and all the NPP facilities have come under the control of the Russian forces. pic.twitter.com/D1da62UiRV
— Tadeusz Giczan 🇺🇦 (@TadeuszGiczan) February 24, 2022
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat sich besorgt gezeigt. Wegen der potenziellen Unfallgefahr verfolge sie die Situation in Tschernobyl «mit grosser Sorge», erklärte die UN-Organisation am Donnerstag. Sie forderte von allen Beteiligten «ein Höchstmass an Zurückhaltung». Eine ungesicherte Atomanlage berge grosse Gefahr.
Auch die Vereinigten Staaten sind alarmiert. Die Einnahme der Sperrzone des früheren Meilers und der Mitarbeiter dort sei eine «Geiselnahme», sagte die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, am Donnerstag in Washington. «Diese unrechtmässige und gefährliche Geiselnahme, die routinemässige Arbeiten zum Erhalt und zur Sicherheit der Atommüll-Einrichtungen aussetzen könnte, ist unglaublich alarmierend und sehr besorgniserregend», sagte Psaki.
Das Unglück von Tschernobyl am 26. April 1986 gilt als die grösste Katastrophe in der zivilen Nutzung der Atomkraft. Hunderttausende wurden zwangsumgesiedelt. Damals gehörte die Ukraine noch zur Sowjetunion. Im vergangenen Sommer war ein neues Atommüllzwischenlager in der radioaktiv verseuchten Sperrzone um Tschernobyl eingeweiht worden. Die ukrainische Hauptstadt Kiew liegt nur knapp 70 Kilometer entfernt. Zusätzlich sind derzeit in der Ukraine 15 Atomreaktoren zur Energiegewinnung in Betrieb.
Verwendete Quellen:
((AFP,dpa,NoS ))