International
EU

Nervenkrieg in Brüssel – EU ringt um gewaltiges Corona-Krisenpaket

epa08553186 German Chancellor Angela Merkel (L) and France's President Emmanuel Macron (R), both wearing a face mask, at the start of the second day of an EU summit in Brussels, Belgium, 18 July  ...
Die EU-Länder verhandeln über ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Corona-Krise.Bild: keystone

Nervenkrieg in Brüssel – EU ringt um gewaltiges Corona-Krisenpaket

Am EU-Gipfel wird über ein 1.8 Billionen Euro schwere Finanz- und Krisenpaket verhandelt. Damit will sich die EU gegen die dramatische Rezession stemmen. Ein Kompromissvorschlag brachte am Samstag neue Bewegung in die zähen Verhandlungen.
18.07.2020, 21:2518.07.2020, 22:33
Mehr «International»

Auf dem Weg zum europäischen Milliardenpaket gegen die Corona-Krise haben die EU-Staaten am Samstag Fortschritte gemacht. Mit einem neuen Verhandlungsvorschlag brachte Ratschef Charles Michel beim Sondergipfel in Brüssel Bewegung in den bis dahin festgefahrenen Streit. «Die Dinge laufen in die richtige Richtung», sagte Österreich Kanzler Sebastian Kurz. Doch blieb bis in den Abend hinein unklar, ob und wann ein Durchbruch gelingen könnte.

Stundenlang beriet Ratschef Michel mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Staats- und Regierungschefs in kleinen Gruppen, um Kompromisse auszuloten und neue Vorschläge vorzubereiten. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte meldete sich mit einer Videobotschaft zu Wort und nannte die Verhandlungen unerwartet hart. Zentrale Punkte waren nach Angaben von Diplomaten bis zum Abend umstritten.

Es geht um ein Finanz- und Krisenpaket von gut 1.8 Billionen Euro: ein schuldenfinanziertes Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Corona-Krise im Umfang von 750 Milliarden Euro und den neuen siebenjährigen EU-Haushaltsrahmen im Umfang von mehr als 1000 Milliarden Euro. Damit will sich die EU gemeinsam gegen die dramatische Rezession stemmen. Doch hatten sich am ersten Gipfeltag am Freitag die Verhandlungen der 27 Staaten völlig verhakt.

Kompromissvorschlag soll EU-Gipfel retten

Am Samstagvormittag veröffentlichte Michel einen Kompromissvorschlag, und ging damit vor allem auf Forderungen der sogenannten Sparsamen Vier ein - Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark. Der Ratschef blieb zwar bei 750 Milliarden Euro Hilfsgeldern. Doch würden nicht 500 Milliarden, sondern nur 450 Milliarden Euro als Zuschuss an EU-Staaten vergeben und dafür 300 Milliarden Euro statt 250 Milliarden als Kredit. Die «Sparsamen Vier» haben grundsätzliche Bedenken gegen Zuschüsse - und sie wollen die Summe eigentlich noch weiter zusammenstreichen, wie Kurz sagte.

Speziell auf die Niederlande zugeschnitten ist ein weiterer Punkt: ein neuer Mechanismus zur Kontrollen der Auszahlung von Hilfsgeldern, genannt die «Super-Notbremse». Ministerpräsident Mark Rutte hatte verlangt, dass Empfänger von EU-Hilfen Reformen nicht nur zusagen, sondern sie bereits vor der Auszahlung umsetzen müssen. Dabei wollte Rutte jedem Land ein Vetorecht geben.

Nun lautet die Idee: Ein oder mehrere Mitgliedstaaten können bei Zweifeln oder Unzufriedenheit mit dem Reformstand den EU-Ratschef einschalten. Dieser beauftragt dann den Europäischen Rat oder den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister mit Prüfung. Auf diese Weise könnte die Auszahlung bis zu einer «zufriedenstellenden Befassung» zeitweise aufgehalten werden, heisst es in einem Papier Michels.

Darauf reagierte die niederländische Regierung positiv. Ein Diplomat sprach von einem ernsthaften Schritt in die richtige Richtung. Doch wurde dann den ganzen Tag über weiter über Einzelheiten verhandelt. Vor allem die Niederlande und Italien lagen weiter über Kreuz.

Tatsächlich sind die Verhandlungen auch deshalb so kompliziert, weil das neue Corona-Programm, das über Schulden finanziert werden soll, im Paket mit dem nächsten siebenjährigen Finanzrahmen verhandelt wird, der sich weitgehend aus Beitragszahlungen der Länder speist. Die Wünsche einzelner Länder werden dabei teils verquickt.

So sollen nach Michels Vorschlag Österreich, Dänemark und Schweden grössere Rabatte auf ihre Beiträge zum EU-Haushalt bekommen als ursprünglich vorgesehen. Für Österreich wären dies zusätzlich 50 Millionen Euro und für Schweden und Dänemark jeweils 25 Millionen. Für Deutschland und die Niederlande, die ebenfalls Rabatte haben, ändert sich mit dem neuen Vorschlag nichts. Kurz begrüsste das Zugeständnis, sagte aber auch, es reiche ihm noch nicht ganz.

Der Michel-Vorschlag beinhaltet noch mehrere Änderungen im Detail. Er wurde nach Angaben von Diplomaten «konstruktiv und ruhig» diskutiert. Dennoch blieben viele Punkte offen. So hatten Staaten weiter grundsätzliche Vorbehalte gegen die Summen sowohl beim Aufbauplan als auch beim Haushalt, die Kriterien zur Vergabe der Gelder und gegen die Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit. (sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
5 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
5
«Das ist unmenschlich!»: Schwere Vorwürfe in der Syrien-«Arena» – und mittendrin ein Syrer
Diktator Baschar al-Assad ist gestürzt. Und jetzt? Syrer zurückschaffen, findet die SVP. Unmenschlich, finden die anderen. Für die Politiker in der SRF-«Arena» ist die Diskussion ein Polit-Theater von vielen. Für Syrer Husam Kelzi wird über seine Zukunft entschieden. Eine quälende Sendung.

Verfolgung, Unterdrückung, Überwachung, Folter, Mord. So sah das Leben für Syrerinnen und Syrer unter Diktator Baschar al-Assad aus. 24 Jahre lang. Rechnet man hinzu, dass davor sein Vater Hafiz al-Assad über Syrien herrschte, ergibt sich eine Schreckensherrschaft von 57 Jahren.

Zur Story