Als am Montag um 18.49 Uhr feststand, dass der Sturz der Regierung gescheitert war, strömte die französische Bevölkerung zu Tausenden auf die Strasse. Mit den gescheiterten Misstrauensabstimmungen starb für sie die vorerst letzte Hoffnung auf ein Abwenden der umstrittenen Rentenreform.
🚨🇫🇷ALERTE INFO - Chaos en cours dans les rues de #Paris : dans plusieurs secteurs de la capitale, des cortèges sauvages de milliers de manifestants se sont formés et déambulent saccageant tout sur son passage. pic.twitter.com/Pmbe9tvG8e
— AlertesInfos (@AlertesInfos) March 20, 2023
Die Neuigkeit sorgte landesweit für Tumulte, in deren Folge 142 Menschen festgenommen wurden. Elf Polizisten seien verletzt worden, berichtete der Sender BFMTV unter Berufung auf Polizeiquellen. Auch in anderen Städten wie Saint-Étienne, Strassburg, Amiens, Caen und Toulouse kam es laut Franceinfo zu spontanen Demonstrationen.
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— JARZA Z28.310 (@Tarzan_Tabletti) March 21, 2023
Allein in Paris seien rund 2000 Polizisten im Einsatz gewesen, berichtete BFMTV. Einige Demonstranten hätten unter anderem Mülltonnen angezündet und Plakate mit Aufschriften wie «Auch wir werden es durchziehen», «Zu den Waffen» oder «Macron Rücktritt» getragen. Politikerinnen und Politiker von rechts wie links forderten bereits den Rücktritt von Premierministerin Elisabeth Borne.
In einem letzten Aufbäumen gegen die Reform versuchten die französischen Oppositionskräfte noch am Montag, die Regierung mit zwei Misstrauensvoten zu Fall zu bringen. Ihr Vorhaben war nicht von Erfolg gekrönt, scheiterte aber nur knapp: In der ersten der zwei Abstimmungen entzogen 278 Abgeordnete der Mitte-Regierung das Vertrauen.
Damit hätten nur 9 Stimmen für das absolute Mehr von 287 Stimmen gefehlt. Beim zweitem Misstrauensvotum, welches von den Rechtsnationalen eingebracht wurde, war das Resultat hingegen deutlicher: Dort stimmten bloss 94 Abgeordnete für einen Abtritt der Regierung.
Den zwei Misstrauensanträgen ging ein von Reform-Gegnern als «undemokratisch» kritisiertes Vorgehen voraus. Nach Wochen hitziger Debatten und Streiks steuerte die Reform letzte Woche auf die Zielgerade zu. So sollten die beiden Parlamentskammern am Donnerstag final über die Reform abstimmen. Während der Senat das Vorhaben billigte, galt die Zustimmung in der Nationalversammlung bis zuletzt als unsicher. Seit dem Juni letzten Jahres besitzt die Regierung dort keine absolute Mehrheit mehr.
Um die drohende Niederlage in der Nationalkammer abzuwenden, beschloss die Regierung deshalb, die Reform mit einem Sonderartikel der Verfassung ohne Abstimmung durch das Parlament zu drücken. In Haushaltsfragen – wie der Rentenreform – darf die Regierung auf den Sonderartikel zurückgreifen, um Blockaden zu verhindern. Während die Zustimmung im Senat nach wie vor nötig ist, darf ein Vorhaben damit ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung gebracht werden. Insgesamt darf die Regierung dieses Mittel einmal pro Parlamentsjahr nutzen.
Der Opposition stiess dies dennoch sauer auf, weshalb sie die zwei Misstrauensanträge einreichte. So klagte etwa der liberale Abgeordnete Charles de Courson vor der Abstimmung:
Das Vorgehen hatte die eh schon wütenden Proste in Frankreich noch weiter angeheizt.
Präsident Emmanuel Macron will sich an diesem Dienstag mit Premierministerin Elisabeth Borne und den Mehrheitsführern der Fraktionen treffen, wie der Élysée-Palast am Montagabend mitteilte.
Borne verteidigt trotz der Rücktrittsforderungen weiterhin das Vorgehen der Regierung:
Macron, der sich in der ganzen Diskussion bisher eher im Hintergrund gehalten hat, soll sich gemäss France Info Radio am Mittwoch an die Bevölkerung wenden. Um 13 Uhr werde er Journalisten live Rede und Antwort stehen, kündigte sein Büro an.
Erwartet wird, dass Linke und Rechtsnationale im Streit um die Reform am Dienstag den Verfassungsrat anrufen werden. Dieser muss den Gesetzesentwurf zur Rentenreform genehmigen und über die Verfassungsmässigkeit des Gesetzes entscheiden. Die Opposition will nun dort das Vorgehen der Regierung überprüfen lassen, die durch ein beschleunigtes Verfahren die Debattenzeit für die Reform im Parlament verkürzte und die Reform in einem Haushaltstext unterbrachte. Ausserdem wollen die Linken versuchen, die Reform mit einem Referendum zu verhindern. Schon für Donnerstag sind zudem weitere Streiks und Proteste gegen die Reform geplant.
Die Gewerkschaften riefen am Montagabend dazu auf, die Mobilisierung zu verstärken – und zwar so lange, bis die Reform zurückgenommen werde. In einem Aufruf der Gewerkschaft CGT hiess es:
(mit Material der sda/dpa)