Ein rekordverdächtiger Rechtsruck überschattet den Sieg der Konservativen von Ministerpräsident Luís Montenegro bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Portugal. Nur sechs Jahre nach der Gründung avancierte die rechtspopulistische Partei Chega (Es reicht) zur zweitstärksten Kraft in der Lissabonner «Assembleia da República». Portugiesische Medien sprechen von einem «historischen Ergebnis», von «Desaster» und «Ungewissheit». Der TV-Sender CMTV sieht eine «existenzielle Bedrohung» für die Traditionsparteien, die Zeitung «El País» aus dem Nachbarland Spanien sogar eine «Revolution».
Montenegros Aliança Democrática (AD) kam bei der dritten Neuwahl seit 2022 auf knapp 33 Prozent der Stimmen - rund vier Punkte mehr als bei der letzten Wahl im März 2024. Im Fokus steht jedoch Chega, das mit über 22,5 Prozent der Stimmen mindestens 58 der 230 Parlamentssitze erobert.
Die Sozialisten (PS), die vor einem guten Jahr noch mit absoluter Mehrheit regiert hatten, kommen bei etwas mehr Stimmen als Chega ebenfalls auf 58 Sitze. Aber: Die vier Sitze, die nach der Zählung der Auslandsstimmen noch vergeben werden, gehen traditionell mehrheitlich an die Rechtspopulisten.
«Wir schreiben Geschichte. Von nun an wird in Portugal nichts mehr wie vorher sein», rief Chega-Chef André Ventura - von einigen Medien «Hurrikan» getauft - unter dem ohrenbetäubenden Jubel seiner Anhänger. Man habe «das seit 50 Jahren herrschende Zweiparteiensystem getötet» - und werde bald auch die Regierung stellen, versprach der 42-jährige Rechtsprofessor, der immer wieder gegen Minderheiten hetzt. Immerhin hat sich Chega seit 2019 von 1,3 auf sieben Prozent, dann auf 18 Prozent und jetzt auf über 22,5 Prozent gesteigert.
Des einen Freud, des anderen Leid: PS-Chef Pedro Nuno Santos teilte nach dem schlechtesten Ergebnis seiner Partei seit 1987 noch am späten Abend mit, er werde den Vorsitz abgeben. Den hatte er nach dem Rücktritt des damaligen Noch-Regierungschefs António Costa erst seit Anfang 2024 inne.
Bei der AD herrscht mehr Freude. Doch die absolute Mehrheit verpasste man erneut. Eine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten hatte Montenegro zuletzt weiterhin ausgeschlossen. Die Brandmauer steht am Tejo-Fluss ähnlich stabil wie in Deutschland. Anders als in Deutschland gilt aber eine Koalition zwischen den beiden Traditionsparteien nahe der Mitte als ausgeschlossen. Dem Urlaubsland droht daher wieder eine instabile Minderheitsregierung.
Die dritte Parlamentsneuwahl seit 2022 war nötig geworden, weil Montenegro im März ein von ihm selbst gestelltes Misstrauensvotum deutlich verloren hatte. Der 52 Jahre alte Anwalt war von der Opposition aufgrund undurchsichtiger Geschäfte eines Familienunternehmens in die Enge getrieben worden. Alles deutet nun darauf hin, dass die Affäre ihm wenig geschadet hat.
Dem Land aber wohl schon: Seit Montenegros Pleite im Parlament hat Portugal nur noch eine geschäftsführende Regierung mit begrenzten Befugnissen. Mehrere wichtige Vorhaben liegen auf Eis. Darunter die Privatisierung der Fluggesellschaft TAP, an der auch die Lufthansa interessiert ist.
Der AD-Sieg verspricht zwar Kontinuität. Doch die Bildung der neuen Regierung dürfte - wie 2024 - wieder einige Zeit in Anspruch nehmen. Um von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa erneut zum Kandidaten fürs Amt des Regierungschefs ernannt zu werden, muss Montenegro die Zustimmung mehrerer Parteien, darunter der Sozialisten erhalten. Der einzige mögliche Koalitionspartner ist die liberale Iniciativa Liberal, die jedoch mit weitem Abstand Platz vier belegte.
Bei den Vorwürfen gegen Montenegro geht es um die Firma Spinumviva, die 2021 gegründet wurde. Das Beratungsunternehmen soll von der Position des Ministerpräsidenten profitiert haben, um Verträge mit Privatfirmen zu unterzeichnen. Die Opposition sprach von Interessenkonflikten.
Auch wenn dem Wähler die Affäre offenbar weitgehend egal war und im Wahlkampf vor allem Themen wie Einwanderung und Kriminalität im Mittelpunkt standen: Ausgestanden ist diese Affäre für Montenegro wohl noch lange nicht. Es ist davon auszugehen, dass die linksgerichtete Opposition weiterhin auf eine parlamentarische Untersuchungskommission bestehen wird. Nach einer anonymen Anzeige beschäftigt sich auch die Staatsanwaltschaft mit dem Fall.
(dab/sda/dpa/con)