Es ist eines der Themen, welches die amerikanische Bevölkerung spaltet: der Schwangerschaftsabbruch. Entweder man ist «Pro Life» oder «Pro Choice» – gegen oder für eine Abtreibung.
Schon im Juni letzten Jahres hatte der Supreme Court das seit fünfzig Jahren existierende Recht auf Abtreibung («Roe v. Wade») gekippt. Mit der Entscheidung des Supreme Courts bekamen Bundesstaaten das Recht, Abtreibungen massiv zu beschränken oder ganz zu verbieten. Es folgten heftige Demonstrationen im ganzen Land.
Nun beginnt ein weiteres dunkles Kapitel für das «Land of the Free». Diesmal geht es um die Abtreibungspille Mifepriston:
Matthew Kacsmaryk ist ein konservativer Christ und Bundesrichter im Bundesstaat Texas. Er wurde vom damaligen Präsidenten Donald Trump zum Richter ernannt. Am Freitag setzte er per einstweiliger Verfügung die Zulassung des Wirkstoffes Mifepriston, der in Medikamenten für einen Schwangerschaftsabbruch verwendet wird, landesweit aus.
Laut Kacsmaryk hat die US Food and Drug Administration (FDA) ihre Befugnisse überschritten, als sie vor rund 20 Jahren die Verwendung von Mifepriston genehmigte, da es «schwere Nebenwirkungen» für Frauen haben könne.
Doch nicht nur Nebenwirkungen sind Kacsmaryk ein Dorn im Auge: Weil das Medikament auch per Post verschickt werden darf, war es für viele Frauen in konservativen Gliedstaaten eine Möglichkeit, das Abtreibungsverbot zu umgehen. Und dieses Schlupfloch möchte der Richter in Texas nun stopfen. In seiner Begründung bezog er sich auf ein 150 Jahre altes Gesetz, das den Postversand von Mitteln, die einen Schwangerschaftsabbruch hervorrufen können, verbietet.
Der Beschluss soll Ende dieser Woche bereits in Kraft treten.
Gegen die Zulassung des Medikaments geklagt hat im vergangenen November in Texas die Alliance Defending Freedom, eine äusserst konservative und christliche Gruppe. Sie bezieht sich bei ihrer Klage auf Studien, laut denen Frauen nach der Einnahme von Mifepriston an Blutungen und Krämpfen litten. Nach einem Schwangerschaftsabbruch seien Nebenwirkungen wie Blutungen und Krämpfe jedoch normal, bestätigt die FDA.
Nach Angaben der US-Arzneimittelbehörde wurde die Pille seit ihrer Zulassung im Jahr 2000 von mehr als 5,6 Millionen Frauen genutzt. In weniger als 1500 Fällen habe es Komplikationen gegeben, bei denen ein Zusammenhang mit Mifepriston hergestellt werden konnte.
Auch die New York Times hat mehr als hundert Studien zur Wirksamkeit von Mifepriston durchsucht. In 99 Prozent der Fälle habe es keine ernsthaften Komplikationen gegeben. Das Medikament sei sicher, schreibt die Zeitung.
Trotzdem hat der konservative Richter am Freitag den Prozess zugunsten der Alliance Defending Freedom entschieden – und eben die Zulassung des Wirkstoffes ausgesetzt.
Nur eine Stunde nach dem Urteil in Texas fällte Bundesrichter Thomas Rice im Gliedstaat Washington eine gegensätzliche Entscheidung: Die FDA dürfe keine Änderungen bei der Zulassung von Mifepriston in den USA vornehmen. In Washington hatten 18 demokratische Justizminister gegen das Verfahren in Texas geklagt.
Am Montag hatte das amerikanische Justizministerium Berufung gegen das Urteil aus Texas eingelegt. Die Kläger hätten kein Recht auf die Aussetzung der Zulassung, da sie nicht persönlich von allfälligen negativen Wirkungen des Medikaments betroffen seien, lautet die Begründung.
Nun wird der Streitfall wahrscheinlich vor dem Supreme Court landen. Doch da hat das konservative Lager von Ex-US-Präsident Donald Trump eine klare Mehrheit von sechs der neun Richter.
Mehr als die Hälfte aller Abtreibungen in den USA wird medikamentös durchgeführt. Kommt es zu einem landesweiten Verbot von Mifepriston, wird damit auch der Schwangerschaftsabbruch in den Gliedstaaten erschwert, in denen er eigentlich erlaubt ist.
Auch Präsident Joe Biden kritisiert die Entscheidung des texanischen Richters. Kacsmaryk habe seine eigene Gesinnung über das Fachwissen der FDA gestellt, twittert Biden. «Wir werden dagegen kämpfen. Die Vizepräsidentin und ich wollen das Recht der Frauen auf einen Schwangerschaftsabbruch schützen. Punkt.»
We're going to fight it.
— President Biden (@POTUS) April 8, 2023
The Attorney General has announced @TheJusticeDept will file an appeal and seek an immediate stay of the decision.
And Congress must restore the protections of Roe v. Wade.@VP and I are committed to protecting a woman’s right to an abortion. Period.
Auch einige liberale Staaten haben am Montag angekündigt, einen Vorrat an Abtreibungspillen anzulegen. Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom erklärte, der Bundesstaat habe bis zu zwei Millionen Dosen eines alternativen Medikaments sichern können. Und damit ist er nicht allein. Auch Maura Healey, die demokratische Gouverneurin von Massachusetts, gab am selben Tag bekannt, dass ihr im Nordosten gelegener Bundesstaat bereits einen für ein Jahr ausreichenden Vorrat an Mifepriston zurückgelegt habe. Der nordwestliche Bundesstaat Washington hatte schon in der vergangenen Woche erklärt, genug Mifepriston für drei Jahre gelagert zu haben.
NEW: Yet another extremist judge is stripping women of their freedom --this time by blocking access to a pill that provides safe medication abortions.
— Gavin Newsom (@GavinNewsom) April 10, 2023
CA will not stand idly by. We have secured up to 2 million pills of Misoprostol, a safe and effective medication abortion drug.
Auch die Pharmabranche protestiert gegen den Entscheid des texanischen Richters. Mehrere hundert Konzernchefs verurteilten das Verbot der Abtreibungspille am Montag in einem Schreiben. «Die Entscheidung ignoriert Jahrzehnte von wissenschaftlichen Belegen und juristische Präzedenzfälle», erklärten sie. Das Urteil untergrabe die Autorität der US-Arzneimittelbehörde FDA bei der Zulassung von Medikamenten und schaffe so «Unsicherheit für die gesamte Biopharmaindustrie».
Auch in der Schweiz wird der Wirkstoff Mifepriston für einen Schwangerschaftsabbruch verwendet. Hier heisst das Medikament Mifegyne. Gemäss dem Bundesamt für Statistik werden fast drei Viertel aller Abbrüche auf diese Weise durchgeführt.
Eigentlich will ich ja kotzen, aber das wäre Foodwaste.