Der Topfavorit will nicht. In einer Blitzumfrage des Instituts YouGov unter Mitgliedern der britischen Konservativen vom letzten Donnerstag hatte Verteidigungsminister Ben Wallace alle potenziellen Rivalinnen und Rivalen hinter sich gelassen. Er hatte sich mit schnellen und umfassenden Waffenlieferungen an die Ukraine profiliert und Führungsqualitäten gezeigt.
Doch eben, Wallace möchte sich nicht um die Nachfolge von Boris Johnson als Partei- und Regierungschef bewerben. Er wolle sich auf seinen jetzigen Job konzentrieren, teilte der 52-Jährige auf Twitter mit. An Möchtegerns, die Johnson beerben wollen, fehlt es ohnehin nicht. Rund ein Dutzend Frauen und Männer haben Interesse am Parteivorsitz angemeldet.
Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich um Distanz zu jenem Mann bemühen, der bei den Tories bis vor Kurzem als unverzichtbar galt. Doch Boris Johnson hat sich mit seinen Lügen und seinem chaotischen Regierungsstil letztlich unmöglich gemacht. Und mit abgestürzten «Hoffnungsträgern» haben die Konservativen schon immer kurzen Prozess gemacht.
Rasch soll es auch bei der Nachfolgeregelung gehen. Zum Verfahren zugelassen wird nur, wer bis Dienstagabend von mindestens 20 Unterhaus-Abgeordneten unterstützt wird. Schon am Mittwoch findet ein erster Wahlgang in der Fraktion statt. Bis zum 21. Juli, dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause, soll das Feld auf zwei Namen reduziert werden.
Danach sind die rund 160’000 Tory-Mitglieder am Zug. Am 5. September, wenn die Abgeordneten aus den Ferien zurück sind, wird der neuen Premierminister oder die Premierministerin bekannt gegeben. Das sind die meistgenannten Namen:
Nach dem Verzicht von Ben Wallace ist der 42-jährige Ex-Finanzminister, der als politisch moderat gilt, die Nummer eins in den Wettbüros. Damit ist Sunak fast gesetzt für einen der Finalplätze. Er hat bislang die meisten Unterstützer, darunter Vizepremier Dominic Raab, und könnte erster indischstämmiger Premierminister Grossbritanniens werden.
Die 49-jährige Ex-Verteidigungsministerin hat als eine der ersten das Quorum von 20 Abgeordneten erreicht. Zuletzt lag sie bei den Buchmachern gleichauf mit Rishi Sunak. Penny Mordaunt gilt als ideologisch «flexibel» und in der Partei gut vernetzt. Helfen könnte ihr, dass sie sich 2019 gegen Boris Johnson als Parteichef ausgesprochen hatte.
Der 55-Jährige wurde von Johnson zum Nachfolger von Rishi Sunak als Schatzkanzler ernannt und machte dem Premier nur zwei Tage später klar, dass es vorbei war. Zahawi ist irakischer Kurde. Er kam als Flüchtlingskind nach Grossbritannien und befürwortet dennoch eine harte Migrationspolitik. Er ist ein Vertreter des rechten Parteiflügels.
Die 46-jährige Aussenministerin war lange eine Favoritin der Parteibasis. In letzter Zeit ist ihr Stern ein wenig verblasst. Für viele Tories hat sich Liz Truss zu aufdringlich bemüht, die Partei-Ikone Margaret Thatcher zu imitieren, etwa indem sie sich in einem Panzer ablichten liess, wie die ehemalige Premierministerin während des Falkland-Kriegs.
Als Vorsitzender der aussenpolitischen Kommission des Unterhauses gehört der 49-Jährige nicht zu den Top-Promis in der britischen Politik. Unterschätzen darf man Tugendhat aber trotz fehlender Regierungserfahrung nicht. Er war stets ein Kritiker von Boris Johnson. Nachteilig könnte sein, dass er dem «linken» Flügel angehört und als Brexit-Skeptiker gilt.
Die ehemalige Staatssekretärin für Gleichstellung ist eine Art «Geheimfavoritin». Die 42-Jährige wird vom einflussreichen Ex-Minister Michael Gove unterstützt und gilt als stramm rechts. Es scheint jedoch fraglich, ob die gebürtige Nigerianerin über genügend Rückhalt bei der eher weissen, älteren und ländlichen Basis der Konservativen verfügt.
Ihre Kandidatur angemeldet haben auch Ex-Aussenminister Jeremy Hunt, der 2019 in der Endauswahl gegen Boris Johnson unterlegen war, jetzt jedoch nur als Aussenseiter gilt, sowie der frühere Gesundheitsminister Sajid Javid. Nur geringe Chancen haben Generalstaatsanwältin Suella Braverman und Staatssekretär Rehman Chishti.
Unklar war lange, ob Innenministerin und Migrations-Hardlinerin Priti Patel antreten würde. Am Dienstagnachmittag erklärte sie ihren Verzicht. Klar ist jedoch, dass das grosse Bewerberfeld zu einem Kampf auf Biegen und Brechen führt. Laut Medienberichten wurden sogar Dossiers mit «schmutziger Wäsche» an die Labour-Opposition weitergereicht.
Im Zentrum der Schlammschlacht steht Favorit Rishi Sunak. Ihm wird vorgeworfen, dass er als Finanzminister die Steuern erhöht und damit gegen die «Tory-Orthodoxie» verstossen hat. Die Website für seine Kampagne hatte er schon im Dezember 2021 registrieren lassen, weshalb er von Boris Johnsons Umfeld als «verräterischer Drecksack» beschimpft wird.
Kritik gab es auch, weil Sunaks Ehefrau, die Tochter eines indischen Milliardärs, dank eines speziellen Status kaum Steuern bezahlt. Mit ähnlichen Vorwürfen sieht sich Nadhim Zahawi konfrontiert. An die Medien wurden Informationen geleakt, wonach die Behörden gegen ihn wegen Geschäften in Steuerparadiesen ermitteln. Zahawi dementierte nur lauwarm.
Jeder gegen jede – so scheint derzeit das Motto bei den Tories zu lauten. Bis Ende nächster Woche dürften einige schmutzige Details publik werden. Und auch in der Ferienzeit ist ein heisser Wahlkampf zwischen den beiden Finalisten zu erwarten.
Dies sind Larry vs. John, denn die beiden würden dieses ausgesuchte Horrorkabinett betreffend Kompetenz und Integrität alleweil in den Schatten stellen.