International
Italien

«Dies ist möglicherweise die grösste Tragödie, die sich jemals im Mittelmeer ereignet hat»

Erneutes Flüchtlingsunglück mit bis zu 700 Toten: Europas Politiker fordern nun mehr Rettungsboote auf dem Mittelmeer.
Erneutes Flüchtlingsunglück mit bis zu 700 Toten: Europas Politiker fordern nun mehr Rettungsboote auf dem Mittelmeer.Bild: REUTERS TV/REUTERS

«Dies ist möglicherweise die grösste Tragödie, die sich jemals im Mittelmeer ereignet hat»

19.04.2015, 18:0419.04.2015, 18:41
Mehr «International»

Europa wird von einer neuen Flüchtlingskatastrophe erschüttert. Vor der Küste Libyens sind nach Angaben der UNO rund 700 Menschen ertrunken - so viele wie nie zuvor beim Untergang eines Schiffes mit Flüchtlingen. Nach Angaben einer Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR berichteten Überlebende, dass möglicherweise weit mehr als 700 Menschen an Bord des Schiffes gewesen seien.

Nun suchen Helfer von zahlreichen zum Unglücksort gefahrenen Schiffen nach Überlebenden. «Sie suchen buchstäblich unter den im Wasser treibenden Leichen nach Überlebenden», sagte der Regierungschef von Malta, Joseph Muscat.

«Dies ist möglicherweise die grösste Tragödie, die sich jemals im Mittelmeer ereignet hat», sagte Muscat. Unter den Toten seien Kinder, Frauen und Männer. Insgesamt 17 Schiffe waren am Sonntag am Unglücksort rund 110 Kilometer vor der Küste Libyens im Einsatz.

Das Flüchtlingsschiff mit rund 700 Menschen an Bord war in der Nacht zum Sonntag gekentert. 28 Menschen wurden von einem Handelsschiff gerettet, laut dem UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR gibt es wohl keine weiteren Überlebenden.

Das eigentliche Drama ereignete sich offenbar, als die rund 700 Flüchtlinge beim Eintreffen eines zu Hilfe kommenden Frachters alle auf eine Seite des kenternden Schiffes eilten.

Muscat sagte, die Tragödie sei ein weiterer Beweis, dass Italien und Malta mehr Unterstützung von den europäischen Partnern benötigten. Zwar gebe es «ermutigende Signale», es müsse aber gehandelt werden, forderte er.

«Eine Tragödie ereignet sich im Mittelmeer», sagte Muscat. «Es wird eine Zeit kommen, zu der Europa für seine Untätigkeit verurteilt wird, so wie es verurteilt wurde, als es beim Genozid wegschaute.»

Krisensitzung der EU

Die Europäische Union berief eine Krisensitzung ein. Die EU-Kommission äusserte sich am Sonntag in Brüssel «zutiefst betroffen» von dem Unglück mit Hunderten Toten.

Die EU kündigte eine Dringlichkeitssitzung der Innen- und Aussenminister der EU-Länder an. Dabei solle es vor allem darum gehen, mit den Herkunfts- und Transitländern daran zu arbeiten, die Flüchtlinge von der gefährlichen Reise über das Mittelmeer abzuhalten.

Italiens Regierungschef Matteo Renzi sagte alle Termine ab und reiste nach Rom zurück, wo er für den späten Nachmittag ein Ministertreffen einberief. Frankreichs Präsident François Hollande telefonierte mit Renzi. «Wir haben darüber beraten, wie wir rasch handeln können», sagte Hollande laut dem französischen Sender «Canal Plus».

Italiens Innenminister Angelino Alfano berichtete EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos über die neue Flüchtlingstragödie im Mittelmeer. Der EU-Kommissar wird am Donnerstag in Rom zu Gesprächen erwartet.

«Flüchtlinge sind Männer und Frauen wie wir, Brüder auf der Suche nach einem besseren Leben.»
Papst Franziskus

Kritiker werfen der EU seit langem Tatenlosigkeit angesichts des Massensterbens im Mittelmeer vor. Zu diesen Kritikern zählt auch Papst Franziskus. Er rief die internationale Gemeinschaft am Sonntag auf, angesichts der sich häufenden Flüchtlingstragödien «entschieden und schnell» zu handeln.

Mit Blick auf das Unglück sagte er beim Angelus-Gebet vor den Gläubigen auf dem Petersplatz, es seien «Männer und Frauen wie wir, Brüder auf der Suche nach einem besseren Leben». Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einer «von Menschen gemachten Tragödie».

Keine Rettungsmission

Italien hatte im vergangenen Herbst die Rettungsmission «Mare Nostrum» eingestellt, weil sich die EU-Partner nicht an der Finanzierung des Marineeinsatzes beteiligen wollten. Seitdem läuft unter Führung der EU-Grenzschutzagentur Frontex die deutlich kleinere Mission «Triton», die aber vorwiegend der Sicherung der EU-Aussengrenzen und nicht der Rettung der Flüchtlinge dient.

Einige EU-Staaten hatten Italien vorgeworfen, mit «Mare Nostrum» die Flüchtlinge zu der gefährlichen Überfahrt ermutigt zu haben. Kritiker werfen der EU nun aber vor, mit «Triton» den Tod von Flüchtlingen in Kauf zu nehmen. (sda/apa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
18 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
amore
19.04.2015 12:53registriert Februar 2014
So ähnlich wie die UNO seinerzeit den Juden einen Staat zur Verfügung gestellt hat, könnte man z.B. In Libyen eine sehr grosse Fläche aussondern und darauf so quasi einen Flüchtlingsstaat errichten. Mit unserem Geld und Know-how errichten wir Spitäler, Bäckereien, Ausbildungseinrichtungen etc. Dadurch bekämen alle eine Arbeit. In diesem Staat würden natürlich nur echte Flüchtlinge aufgenommen. So könnte man jedenfalls die Tragödien im Mttelmeer beenden.
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
zombie1969
19.04.2015 10:22registriert Januar 2014
Europa kann nicht die Probleme unfähiger Regierungen weltweit lösen und es ist dem Normalbürger nicht zuzumuten, immer höhere Kosten zu bezahlen.
Europa sollte sich an der Flüchtlingspolitik von AUS orientieren: Weltweit Anzeigen, die klar erklären, dass illegale Flüchtlinge niemals aufgenommen, zwar aus Seenot gerettet, dann aber umgehend zurück geschickt werden. Zusätzlich Videos in 100 Sprachen, die das Gleiche erklären.
Diese harte, ehrliche und klare Linie müsste durchgezogen werden, bis sich rumspricht, das man sinnlos sein Leben riskiert, um als Flüchtling nach Europa kommen zu wollen.
00
Melden
Zum Kommentar
18
Regierungschef an Flüchtlinge: «Kommen Sie zurück!» + Schweiz hat 99 Millionen eingefroren
Rebellen haben die syrische Hauptstadt Damaskus eingenommen und die Regierung von Baschar al-Assad gestürzt. Die aktuellsten News zum Konflikt im Liveticker.
Zur Story