Gustavo Petro stahl Milch aus Getränkelastwägen, um sie in Armenvierteln zu verteilen, und schloss sich noch als Teenager der Guerilla-Organisation M-19 an. Tagsüber studierte Petro Wirtschaft, nachts liess er sich zum Kämpfer ausbilden und schlief neben gestohlenen Waffen.
Jetzt ist Gustavo Petro, der ehemalige Guerillero, Präsident von Kolumbien – der erste Linke an der Spitze Kolumbiens seit einem Jahrhundert. Obwohl er im Wahlkampf mehrfach betonte, er sei progressiv und nicht links.
Seine linke Herkunft ist unbestritten, spätestens seit dem Eintritt in die M-19.
Die M-19 machte immer wieder mit bewaffneten Aktionen auf sich aufmerksam. Am 6. November 1985 kam es zu einer der gewalttätigsten Aktionen der jüngsten Geschichte Kolumbiens. Mit über 5000 gestohlenen Waffen stürmten rund 35 Kämpfer der M-19 in den Justizpalast der Hauptstadt Bogota und nahmen 300 Geiseln in ihre Gewalt.
Nach 27 Stunden heftiger Kämpfe mit der kolumbianischen Armee endete das blutige Ereignis mit über 100 Toten, darunter viele Richter und einige Zivilisten. Petro war an der Aktion nicht beteiligt – er sass zu dieser Zeit im Gefängnis.
Die Überzeugungen der M-19 teilte Petro aber früh. Die Guerilla-Organisation ging aus Präsidentschaftswahlen vom 19. April 1970 hervor. Die Guerilleros waren überzeugt, dass damals massiver Wahlbetrug begangen wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war Petro zehn Jahre alt und vom Betrug felsenfest überzeugt. Politisch interessiert war der Junge aber schon, als er im Alter von sieben Jahren seinen Vater über den Tod des argentinischen Revolutionsführers Ernesto Che Guevara weinen sah.
Bestürzt über die Armut des Landes trat er mit 17 Jahren M-19 bei. Neben seinem Studium hatte er sich einer militärischen Ausbildung unterzogen. Bei bewaffneten Operationen sei er laut eigenen Angaben nie dabei gewesen, er habe hauptsächlich von der Armee geklaute Waffen bei sich gehortet.
Dies wurde ihm 1985 zum Verhängnis. Aufgrund illegaler Kundgebungen wurde die Nationalarmee auf ihn aufmerksam. Ohne jeglichen Haftbefehl – wie er selbst sagt – wurde er von Behörden festgehalten, gefoltert und während 18 Monaten in vier verschiedenen Gefängnissen untergebracht.
Petro streitet bis heute ab, Teil des Hauptentscheidungskreises der M-19 gewesen zu sein: «Mein Interesse war der Aufbau eines regionalen Dialogs, nicht die Teilnahme an einer Militäroperation.» Er betont auch immer wieder, dass M-19 nichts mit der marxistischen FARC, die aus den Tiefen des kolumbianischen Dschungels heraus operiert, zu tun hatte.
Nach seiner Freilassung zog er sich trotz des blutigen Ereignisses im Justizpalast nicht aus der M-19 zurück. Er verschwand im Exil und tauchte erst wieder auf, als die M-19 Friedensverträge 1990 mit der Regierung unterzeichnete.
Die Gruppierung legte ihre Waffen erst nieder, als die Regierung einer Verfassungsänderung zustimmte, die sich stärker auf Menschenrechte konzentriert. Der Friedensprozess gilt bis heute als einer der erfolgreichsten in der langen Konfliktgeschichte des Landes.
Für Petro war es der Auftakt seiner politischen Karriere – eine Karriere, die ihn – 32 Jahre später – als ersten linken Präsidenten Kolumbiens in die Geschichtsbücher führte.
«Es ist Geschichte, die wir in diesem Moment schreiben. Eine neue Geschichte für Kolumbien, für Lateinamerika, für die Welt», sagte Petro in seiner ersten Rede.
Petro definiert sich selbst als progressiven Politiker in einem traditionellen und rechten Land. Zuoberst auf seiner Agenda steht die Bekämpfung der Korruption und der Umweltschutz. «Wenn wir in Kolumbien eine Ära des Friedens einleiten wollen, müssen wir das Korruptionsregime stürzen», sagte Petro bei der Abschlusskundgebung seiner Kampagne in Bogotá. Der Ex-Guerillero ist einer der ersten Staatschefs in der Region, die den Klimawandel ins Zentrum ihrer Politik gerückt haben.
Ausserdem möchte er neue Ölprojekte stoppen und neue Steuerformen vorantreiben. «Mein Ziel ist es nicht, die Reichen zu verarmen, sondern die Armen zu bereichern.»
Rund ein Drittel Kolumbiens gilt als sehr arm. Wirtschaftlich aber läuft es in Kolumbien derzeit gut. Mit voraussichtlich rund sechs Prozent Wachstum ist Kolumbien bereits im zweiten Jahr die am stärksten wachsende Wirtschaft in ganz Lateinamerika. Um seine Ziele zu erreichen, wird die Wirtschaft weiter brummen müssen. Es dürfte deshalb auch der entscheidende Faktor sein, wie lange Gustavo Petro an der Macht bleibt.
Durchsetzen konnte sich Petro gegen den rechtsgerichteten Millionär Rodolfo Hernandez, der sich selbst «Ingenieur Rodolfo Hernandez» nennt – und Albert Einstein schon mit Adolf Hitler «verwechselte».
«Ich bin ein Anhänger eines grossen deutschen Denkers. Sein Name ist Adolf Hitler», sagte Hernandez 2016 in einem Interview mit dem Radiosender RCN. Als er 2021 als Präsidentschaftskandidat antrat, meinte er, sich damals geirrt zu haben. Derjenige, den er wirklich zitieren wollte, sei Albert Einstein.
Im Wahlkampf machte er sich erneut auf sich aufmerksam – als TikTok-Opa.
Denn anders als Petro führte Hernandez keinen traditionellen politischen Wahlkampf. Er setzte auf Technologie und Neue Medien. Statt an Debatten teilzunehmen, wollte er die Wähler über die Smartphones erreichen. Er ging nicht nur viral mit einem Interview, bei dem er sich im Pyjama per Videokonferenz befragen liess, sondern auch mit seinen TikTok-Videos – die ihm den Namen «TikTok-Opa» einbrachten.