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TikTok-Touristen belagern neuerdings Amsterdam und nerven die Anwohner

Vergiss Sex und Drogen! Jetzt fällt der nächste Touristentyp über Amsterdam her

Es ist eine Hassliebe, die Amsterdam seit Längerem mit seinen Touristen verbindet. Doch ein neues Touristen-Phänomen bringt ein Stadtteil nun vollends an seine Grenzen: Fresstouristen.
11.09.2023, 16:43
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Ein Artikel von
t-online

Amsterdam ist ein Touristenmagnet. Seit jeher zieht die Stadt in den Niederlanden massenweise Gäste an. Ihre Attraktionen sind zahlreich, ihre Bewohner aufgeschlossen, die Atmosphäre galt lange Zeit als liberal.

Doch inzwischen sieht sich die Stadtverwaltung immer häufiger genötigt, gegen die Besucher vorzugehen. Denn viele Gäste kommen nach Amsterdam, um dort zu kiffen, zu saufen oder sich in den Bordellen herumzuschlagen.

Und neuerdings kommen sie auch, um zu essen.

Und Fotos von ihren Fressattacken auf Social-Media zu stellen.

Dieses neue Phänomen macht den Geschäftsleuten und Anwohnern der «De 9 Straatjes» zu schaffen, einem Teil der Amsterdamer Innenstadt, der momentan gerade bei jungen Touristen als besonders angesagt gilt.

Im Zentrum des Ess-Rummels steht ein kleines Geschäft namens «Fabel Friet», wie der britische «Guardian» berichtet. Dort stehen tagsüber regelmässig grosse Menschenansammlungen auf der Strasse und warten darauf, endlich jene Fritten probieren zu können, die von einigen als die «besten Fritten in ganz Amsterdam» besungen werden.

Viele der vornehmlich jungen Kulinariker zücken schon ihr Handy, bevor sie die Fritten überhaupt im Mund hatten. Da zu sein und zu warten, ist für sie schon ein Ereignis. Sobald die heisse und fettige Ware dann in der Hand liegt, wird munter drauflos gefilmt, dabei fallen schon mal einige der in üppigen Spezialsaucen badenden Kartoffelstäbchen zu Boden.

Fressen und gefressen werden

Die sozialen Medien, Instagram oder TikTok sind voll von kurzen Filmchen und Bildern von Horden an Fast-Food-Jüngern, die zu «Fabel Friet» pilgern. Genannt wird dies Flash crowds – mehr oder weniger spontane Menschenansammlungen. Das gefällt inzwischen selbst dem Besitzer nicht mehr, obwohl die Prominenz ihm vermutlich einen ordentlichen Umsatz beschert. Mitinhaber Floris Feilzer sagt dem «Guardian»:

«Wir haben die Nase voll davon, bei TikTok gefeiert zu werden.»

«Uns geht es darum, die besten Produkte anzubieten, wir haben ein Herz für unser Geschäft und für die Nachbarschaft. Und die Nachbarn kommen eigentlich gerne zu uns.»

Doch die Nachbarn zeigen ich zunehmend genervt von dem Andrang. So finden sich in immer mehr Fenstern Warnschilder mit der Aufschrift. «Kein Platz für Picknick. Bitte setzt Euch woanders hin!» Und ein Geschäftsmann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt der Reporterin:

«Das hier ist eigentlich ein wunderschöner Ort, aber jetzt ist alles voll von diesen schmatzenden Leuten.»

Er fürchtet derweil auch um seine eigene Kundschaft, denn die könnte ob der mampfenden Touristenhorden wegbleiben.

Das Phänomen ist nicht neu. Amsterdam hat es auch nicht exklusiv. Der Trend ist nur das jüngste Symptom eines ins Kraut schiessenden Overtourism, also zu deutsch übermässigen Tourismus. Masshalten, das gilt für's Essen ebenso wie für das Aufsuchen fremder Orte. Wer sich dort nicht benimmt, bekommt schnell Ärger. Deshalb warnt die Amsterdamer Stadtverwaltung bereits, man beobachte die Entwicklung sehr genau und behalte sich eventuelle Massnahmen vor, um die Menschenmassen einzudämmen.

«Es ist wie eine Heuschreckenplage»

Dass die Stadt ernst machen kann, hat sie bereits bewiesen, als sie die illegale Vermietung von Wohnraum an Touristen über Plattformen wie Airbnb durch scharfe Auflagen eindämmte. Der Amsterdamer Marketingexperte Joris Demmers glaubt hingegen, dass das Phänomen der futternden Flash crowds wesentlich schwieriger zu regulieren ist. Er warnt gerade die Ladenbesitzer davor, sich angesichts des Ansturms wirtschaftlich zu übernehmen. Er sagt:

«Es ist wie eine Heuschreckenplage: Die Leute kommen, fallen über einen Ort her, dann gibt es plötzlich nicht genug Kapazitäten, und wenn diese dann aufgestockt werden, sind die Leute schon wieder an den nächsten Ort gezogen. Das macht es schwierig, nachhaltigen Erfolg zu genieren.»

Die Amsterdamer Stadtverwaltung versucht stattdessen, die Touristenströme von der Innenstadt weg in die Aussenbezirke der Metropole zu leiten. Dummerweise bewerben die Algorithmen in den sozialen Medien jedoch bevorzugt das, was die Masse schätzt. Da bleibt wohl für die Amsterdamer nur eins: Abwarten und Fritten essen, bis der ganze Rummel sich von selbst erledigt hat.

(t-online, cc)

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148 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Unicron
11.09.2023 12:26registriert November 2016
Mich beeindruckt manchmal vor allem die Geduld der Leute.
Auch in Zürich sieht man das oft, zb an Street Food Festivals, da hat es Stände wo dutzende Leute anstehen um irgend welche ganz normalen Momos zu kaufen, während der Grossteil der anderen Stände kaum Kundschaft hat.
Stehen die Leute so gerne an, oder ist es soooooo wichtig genau das zu bekommen was man sich vorstellt? Holt halt was anderes.
Auch die riesigen Schlangen an den Glaceständen wenn es mal etwas wärmer ist, das wär mir sowas von zu blöd 30min anzustehen für ein Soft Ice.
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lu_ch
11.09.2023 12:22registriert Mai 2017
Habe gestern per Zufall widereinmal Idiocracy gesehen. Der Film lag falsch, wir sind bereits jetzt an den im Film prohezeiten Zeitpunkt angekommen.
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Tsherish De Love aka Flachzange
11.09.2023 12:55registriert September 2020
Schon lustig wie die Lemminge den Influencern folgen. So ziemlich überall in den Niederlanden oder Belgien gibt es gute Fritten mit einer grossen Auswahl an Saucen, nicht nur bei diesem Laden.
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